Der blaue Transporter rollt langsam auf den Hof. Der 64-jährige Carlo Stertmann steht schon an der Stalltür. Der kräftige Mann mit der schwarzen Arbeitshose und dem grauen Pullover begrüßt den Fahrer mit Handschlag, sie kennen sich seit Jahren. Regelmäßig werden mit dem LKW Ferkel abgeholt. In einem Mastbetrieb werden sie dann bis zum Schlachtgewicht von ungefähr 110 bis 120 Kilogramm gemästet. Aber heute ist alles anders. Heute gehen stattdessen fast alle Muttertiere vom Hof und kommen zum Schlachter. Das Ende einer kleinen Ära.
Die Schweine gehen, die Hühner kommen
Rückblick. In den 90er-Jahren übernimmt Stertmann den Hof von seinem Schwiegervater. Gemeinsam mit seiner Frau baut er die Schweinehaltung Schritt für Schritt aus. Zuletzt sind es 280 Sauen, die beide täglich versorgen: Füttern, waschen und besamen, sodass nach rund drei Monaten gesunde Ferkel das Licht der Welt erblicken. Das ist Stertmanns Leben. Vor vier Jahren wird klar, dass sein Neffe den Betrieb übernehmen soll.
Hendrik Meier ist 25, gelernter Landwirt und packt seit Jahren im Betrieb mit an. Doch anders als sein Onkel kann sich Meier nicht für Schweine begeistern, sieht auch wirtschaftlich keine Zukunft. Stattdessen steigt er in die Hühnerhaltung ein. Wenn er übernimmt, müssen die Schweine weg.
Der 25-Jährige ist nicht der einzige Landwirt in Nordrhein-Westfalen, der aus der Schweinehaltung aussteigt Laut Statistischem Landesamt gab es im Mai dieses Jahres 5410 Betriebe mit Schweinehaltung. Im November des Vorjahres waren es noch 5680 Betriebe. Ein Rückgang um fast fünf Prozent. Und ein Abwärtstrend, der sich schon seit Jahren abzeichnet. Zu ihnen will auch Ulrich Averberg aus Ahlen bald gehören. Er setzt in Zukunft auf Algen statt auf Schweine. Seine Geschichte gibt es hier zu lesen.
Währenddessen öffnet Stertmann die Stalltür. Neugierig blickt ein Schwein um die Ecke, macht einige vorsichtige Schritte auf den nassen Asphalt vor dem Stall. "Komm, Mädchen, Autofahren!", ruft der Landwirt mit ruhiger Stimme. Langsam machen sich elf kräftige Sauen auf den Weg Richtung Rampe, die in den Transporter führt. Der Fahrer klappt den Hänger zu. Stertmann muss schlucken. "Jetzt bin ich doch ein bisschen wehmütig", sagt er leise. Der Transporter setzt sich in Richtung Schlachter in Bewegung. Der Landwirt hebt die Hand und winkt. Dann lächelt er etwas verlegen.
Ein neues Gesetz für Tierwohl - und seine Folgen
Laut Torsten Staack von der Interessengemeinschaft der Schweinehalter hat der Rückgang der Schweinebetriebe in NRW zwei Gründe. Zum einen sind die Preise für Energie und Futter stark gestiegen. Zum anderen müssen die Landwirte ab Sommer nächsten Jahres Angaben über die Haltung ihrer Tiere machen und dafür ihre Ställe teilweise erheblich modernisieren. Doch es fehle an Planungssicherheit beim Umbau der Ställe: "Wird mein Umbau genehmigt? Gibt es eine Förderung? Und was bekomme ich am Ende für meine Tiere? Bei derart unklaren Bedingungen spielen viele Banken nicht mit", beklagt Staack.
Auch Meier hätte wegen der neuen Kennzeichnungspflicht alles modernisieren und kräftig investieren müssen. Darin sah er keinen Sinn, zumal der Schweinepreis in den Corona-Jahren stark eingebrochen war. Auf dem Hof Stertmann stehen die Gebäude des Schweinestalls erstmal leer. Der Jung-Landwirt baut stattdessen gerade einen neuen Stall für 15.000 Legehennen in Freilandhaltung.
Das neue Tierhaltungskennzeichnungsgesetz ist im August in Kraft getreten und gilt zunächst nur für Schweinefleisch. Es werden fünf Haltungsformen unterschieden, die von Stall- bis zu Biohaltung reichen, je nachdem, wie viel Auslauf die Tiere haben. Der Verbraucher soll so auf einen Blick erkennen, wie das Schwein gehalten wurde. Dies gilt allerdings nur für landwirtschaftliche Betriebe aus Deutschland.
Für Staack liegt genau darin auch das Problem: "Der Verbraucher kann nur im Einzelhandel wirklich erkennen, wie das Tier gehalten wurde. Für die Gastronomie gilt das Gesetz bisher nicht. Es besteht die Gefahr, dass in diesem Bereich auf Fleisch aus dem Ausland zurückgegriffen wird, weil das deutlich günstiger ist. Was den Preis angeht, können die deutschen Landwirte mit den Betrieben aus anderen Ländern nicht mithalten." Staack warnt vor einer schleichenden Verlagerung der Fleischproduktion ins Ausland.
Obwohl es immer weniger Schweinehalter in Nordrhein-Westfalen gibt, werden die Regale in den Supermärkten voll bleiben. Verbraucher müsste sich nicht einmal auf steigende Preise einstellen, so Staack. Allerdings müsse man auf Produkte aus Deutschland bei diesen Entwicklungen zukünftig immer häufiger verzichten, warnt er.
Die neue Generation blickt voller Hoffnung in die Zukunft
Auch der Hof von Carlo Stertmann wird nach der Übernahme von Neu-Chef Hendrik Meier kein Schweinefleisch mehr für Verbraucher liefern. Stertmann will seinen Neffen beim Aufbau des Hühnerbetriebs dennoch unterstützten. Auch wenn er sich sicher ist, dass es für die Schweinehalter wieder aufwärts geht. "Wir haben in Nordrhein-Westfalen einen sehr hohen Standard, sehr gut ausgebildete Landwirte und eine gute Qualität. Und Ferkel werden gebraucht."
Allerdings sinkt die Nachfrage nach Fleisch stetig. Das bestätigt auch das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft. Demnach lag der Pro-Kopf-Verzehr im vergangenen Jahr bei rund 52 Kilo und damit acht Prozent niedriger als im Vorjahr. Vor allem auf Schweinefleisch verzichten die Deutschen immer häufiger. Der Trend zu vegetarischer Ernährung könnte ein Grund sein. Deswegen schaut Meier optimistisch auf die nächsten Jahre. Denn die Nachfrage nach Eiern ist hoch und wird es auch bleiben, hofft er.
Sein Onkel ist in der Zwischenzeit in den letzten Stall zurückgekehrt, in dem er noch Schweine hält. Drei Sauen liegen in ihren Boxen, mehrere Dutzend Ferkel flitzen aufgeregt durcheinander, als der Landwirt den Stall betritt. Es ist warm und laut und voller Leben. Noch zwei Wochen, dann wird Stertmann sich auch von ihnen verabschieden müssen. "Ich versuche das ganz nüchtern zu sehen. Es geht jetzt eben anders weiter geht auf dem Hof. Ich werde Hendrik zur Seite stehen. Es gibt ja immer was zu tun, darauf freue ich mich. Und wie sagt man als Rentner: Ich kann arbeiten. Aber ich muss nicht."