Rind auf dem Biohof Ketteler in Borken

Hofnahe Schlachtung - eine "tiergerechte" Art des Tötens?

Borken | Landwirtschaft

Stand: 07.08.2023, 16:45 Uhr

Im Transporter zum Schlachthof, das ist für die meisten Nutztiere der letzte Weg. Einige Landwirte setzen dagegen auf den Weideschuss und die Hofschlachtung. Aber ist das der bessere Weg? Sechs Fakten.

Von Stefan Weisemann

Eng zusammengepfercht stehen sie Seite an Seite. Bewegungsfreiheit praktisch gleich null, manchmal stundenlang. Zwischendurch stecken sie ihre Nasen durch eines der schmalen Gitter an den Seitenwänden. Solche Transporte von Rindern gehören zum Alltag auf deutschen Straßen. Genauso wie Transporter mit Schweinen oder Hühnern. Das Ziel der Transporte: Der Schlachthof.

In Deutschland wurden im letzten Jahr mehr als 750 Millionen Nutztiere geschlachtet, der Großteil davon Hühner. Immer wieder stehen die Bedingungen unter denen die Tiere getötet werden in Deutchland und auch in NRW in der Kritik. Einige wenige Landwirte setzen allerdings auf eine andere Art des Tötens und Schlachtens, etwa auf den Weideschuss.

Was ist der Weideschuss?

Dabei wird ein Rind direkt auf der Weide getötet, auf der es oft sein ganzes Leben verbracht hat. Zusätzlich setzen manche Landwirte auf die mobile Schlachtung: Dabei müssen die Tiere ihren Hof nicht verlassen. Sie werden in einem speziellen Anhänger vor Ort getötet. Wie die beiden Verfahren ohne Viehtransport ablaufen, zeigen wir bei WDR Land.Schafft.

Welche Vor- und Nachteile haben der Weideschuss und die mobile Schlachtung direkt auf dem Hof? Warum machen das nur wenige Landwirte? Und warum gelten die Verfahren als die "humanste" oder "tiergerechteste" Art des Tötens?

1. Die Tiere sterben zuhause

"Ich bin davon überzeugt, dass es eine gute Sache ist, was wir hier machen", sagt Hubert Ketteler. Seine Familie betreibt in Borken einen Biohof. "Ich mag gar nicht mehr daran denken, was früher war. Damals haben wir die Tiere lebendig von der Weide geholt und im Transporter weggebracht. Das war wesentlich schlimmer für Mensch und Tier."

Heute sterben die Rinder direkt auf Kettelers Hof per Weideschuss. Das bedeutet: Die Tiere bleiben auf der Weide, auf der sie oft schon geboren wurden und ihr ganzes Leben verbracht haben. Während sie wie üblich über die Weide laufen oder Gras fressen, werden sie durch einen gezielten Schuss betäubt. Anschließend folgen der tödliche Schnitt durch die Kehle und das Ausbluten in einer speziellen Box. Für den Transport zum nahen Schlachthof bleiben die Tiere in dieser Box.

Die anderen Rinder aus der Herde bekommen den Schuss wohl nicht großartig mit. "Bisher sind die anderen Tiere immer ruhig daneben stehen geblieben, keines ist weggelaufen", erzählt Paul Sieler, der in Wenden im Kreis Olpe eine kleine Herde mit Galloway-Rindern als Hobby hält. "Es läuft alles ruhig ab, das überträgt sich auch auf die Tiere", sagt er.

2. Die Tiere haben weniger Stress

Der Transport zum Schlachthof bedeutet für die Tiere Stress, egal ob Rind, Schwein oder Huhn. Am Schlachtof angekommen bleibt die Situation schwierig: "Da ist verschiedenes Personal, verschiedene Stimmen, die sich gegenseitig rufen, Kühlmaschinen, die klappern. Das sind viele Gerüche, Umgebungen, die das Tier einfach nicht kennt", sagt Klaus Bonkhoff aus Ascheberg. Er nutzt auf seinem Hof die mobile Schlachtung vor Ort.

Auch Bonkhoff geht davon aus, dass die Rinder von ihrem bevorstehenden Tod nicht viel merken. "Die Tiere sind an sich ruhig, sie zeigen keine nervösen Anzeichen, die ein Rind normalerweise hat, sprich Schaum vor dem Mund oder ständiges Muhen", sagt er. In einem mobilen Betäubungsstand werden die Tiere betäubt und dann direkt in einen Schlachtanhänger gebracht. Dort erfolgt ein Kehlenschnitt.

Eine Box aus Metall, die als mobiler Betäubungsstand dient, daneben ein grüner Schlachtanhänger

Der mobile Betäubungsstand

Bekannt ist inzwischen, dass zu viel Stress für die Tiere auch einen großen Einfluss auf die Qualität des Fleisches hat. Bei Stress schütten die Tiere Adrenalin aus. Ihr Fleisch kann dadurch zäher und trockener werden. Mehr Tierschutz, bessere Fleischqualität - für Bonkhoff ist die mobile Schlachtung daher eine "Win-Win-Situation".

3. Die Auflagen für "tiergerechtere" Schlachtung sind streng

Die Vorteile beim Weideschuss und der mobilen Schlachtung scheinen also zu überwiegen. Warum gibt es trotzdem nur sehr wenige Landwirte, die diese Verfahren einsetzen? Anrufe unserer Redaktion beim Rheinischen Landwirtschaftsverband und bei der Landwirtschaftskammer NRW ergaben, dass sich bislang kaum Landwirte in Deutschland oder NRW für diese Tötungs- beziehungsweise Schlachtungsmethoden entschieden haben. Auch der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband musste suchen, um überhaupt einen Ansprechpartner zum Thema zu finden. Die Empfehlung: mit Paul Sieler aus Wenden zu sprechen.

Laut Sieler liege es an den vielen und sehr strengen Auflagen. Denn Grundvoraussetzung für den Weideschuss ist, dass die Tiere das ganze Jahr über auf der Weide leben müssen, also auch im Winter. Nur auf wenigen Höfen ist das der Fall.

Zudem darf der nächste Schlachthof, wenn man nicht auf die mobile Schlachtung setzt, maximal eine Stunde Fahrtzeit entfernt sein. Ansonsten kann das Fleisch schnell ungenießbar sein. Dabei müssen vor allem immer mehr kleinere Schlachthöfe schließen, weil die Auflagen immer strenger werden.

Für den Weideschuss braucht es außerdem einen Waffenschein, ein großkalibriges Gewehr und die passende Munition. Dazu kommt eine spezielle Zusatzausbildung, die Kurse dafür sind selten. Von der Vorbereitung bis zur Durchführung muss alles genau dokumentiert werden.

Zuletzt dürfen immer nur einzelne Rinder aus der Herde getötet werden. Auch bei der mobilen Schlachtung gibt es Begrenzungen: Maximal drei Tiere dürfen nacheinander getötet werden. Keine Option also für große Höfe mit hunderten Tieren.

4. "Tiergerechte" Schlachtung ist teuer

Der "tiergerechtere" Tod ist auch ein teurerer Tod. Wird ein Rind herkömmlich in einem großen Schlachthof geschlachtet, kostet das laut Landwirt und Schlachter Bonkhoff rund 60 Euro, bei der mobilen Schlachtung sind es rund 400 Euro. Unter anderem muss ein Tierarzt dabei sein, beim Weideschuss genauso wie bei der mobilen Schlachtung. Dafür fallen Kosten an.

Im Gegenzug lässt sich das Rindfleisch zu einem höheren Preis verkaufen. Auf dem Hof in Borken sind es zum Beispiel 17,50 Euro pro Kilogramm. Das gibt es im Discounter teilweise deutlich günstiger. In Borken sind die Kunden bereit, den höheren Preis zu zahlen: Es gibt eine Warteliste für das Fleisch. Wissen, wo es herkommt, lautet die Devise.

5. "Tiergerechte" Schlachtung wird Ausnahme bleiben

"Für kleine Betriebe ist der Weideschuss eine gute Alternative", sagt Sieler, "aber es ist keine Lösung für die gesamte Landwirtschaft". Zu hoch die Auflagen, zu hoch die Ausgaben, zu groß der Aufwand. In NRW gibt es deshalb bisher nur eine Handvoll Landwirte, die auf den Weideschuss setzen.

Dabei muss es nicht bleiben. Sieler schlägt vor, dass Weideschuss und Hofschlachtung finanziell stärker gefördert werden - anstatt dafür zusätzliche Gebühren zu verlangen. Außerdem könnten sich Landwirte zusammentun, um zum Beispiel einen Transportanhänger zu kaufen. Am Ende werden es aber trotzdem weiterhin nur wenige Höfe sein, die auf die "tiergerechtere" Tötung setzen können.

6. Auch "tiergerechte" Schlachtung ist umstritten

Sind der Weideschuss und die mobile Schlachtung also die "tiergerechtere" Art des Tötens? Ja, sagen die Landwirte, die darauf setzen. "Das Tier ist hier geboren, es kennt sich hier aus und dadurch, dass es nicht weiß, dass es ausgesucht wurde, ist es die ruhigste Möglichkeit ein Tier zu töten", sagt Bio-Bäuerin Tanja Ketteler.

Tierschützer haben da eine ganz andere Meinung. Die Tierschutzorganisation PETA zum Beispiel meint, dass die Methoden in erster Linie das "schlechte Gewissen der Verbrauchenden" beruhigen sollen. Das lenke "von dem millionenfachen Leid der Tiere in Zucht- und Mastanlagen sowie in Schlachthöfen ab."

Der Tierarzt Dr. Ernst Schüren begleitet den Weideschuss regelmäßig auf dem Hof in Borken. "Besser kann ein Tier eigentlich nicht sterben. Die müssen halt sterben, damit wir Fleisch bekommen", sagt Schüren.