Bernd Telgmann, ein Mann mit grauen Haaren und schwarzer Winterjacke, kniet vor einer Stallbox mit vier Rindern

Rindervirus in Heek: Landwirt Bernd Telgmann kämpft ums Überleben

Borken | Landwirtschaft

Stand: 02.02.2025, 08:29 Uhr

Für Menschen ist das Rinderherpes-Virus ungefährlich. Für Rinder aber hochansteckend. Das Kreisveterinäramt Borken hat die Gemeinde Heek zur Sperrzone erklärt, nachdem es dort immer wieder zu Ausbrüchen kam. Für Landwirt Bernd Telgmann existenzbedrohend.

Von Markus Wollnik

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Was ist Rinderherpes?

Bedrückt führt Bernd Telgmann durch den Stall. Seit gut einem halben Jahr stehen alle Buchten leer. Dem Familienvater fällt es sichtbar schwer, über das zu sprechen, was vielen Rinderhaltern in Heek inzwischen wie ein böser Fluch vorkommt. Heek ist traditionell eine Hochburg der Rindermast, hier leben mehr Kühe und Mastbullen als Menschen. Seit Anfang des Jahres 2024 gab es in der Gemeinde immer wieder Ausbrüche von Rinderherpes, von BHV1, wie Veterinäre sagen.

Rinderherpes bedeutet, dass betroffene Tiere an fiebrigen Nasen- und Luftröhren-Entzündungen erkranken können. Bei Kühen kann das Virus zu einem Rückgang der Milchleistung oder auch zu Fehlgeburten bis hin zum Tod führen. Wegen der gehäuft auftretenden Fälle ordnete das Kreisveterinäramt Borken im Frühjahr eine Umfeldanalyse an. "Wir wurden seit 2019 immer wieder stichprobenartig untersucht, immer negativ", sagt Landwirt Bernd Telgmann. "Deshalb sagte unser Tierarzt: Wir fangen bei dir an, da dürfte nichts sein".

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Plötzlich ein leer geräumter Hof

Doch dann kam alles anders. Bei den ersten Stichproben waren acht Mastbullen positiv und mussten getötet werden. Bei weiteren Untersuchungen stellte sich heraus: von 300 Tieren waren weit mehr als die Hälfte BHV1-positiv. Sie alle mussten notgeschlachtet, der gesamte Betrieb geräumt werden.

Die Räumung des Betriebs war für Bernd Telgmann ein schwerer Schlag

00:48 Min. Verfügbar bis 02.02.2027

"Das ist wie ein Alptraum", berichtet der 44-Jährige. "Da kommt jemand, schüttelt dich, stellt dich auf den Kopf und geht weg". So habe er sich gefühlt, als er plötzlich vor leeren Ställen und einem leer geräumten Hof stand. Statt 400 hält er zur Zeit nur 200 Mastrinder der Rassen Limousin und Charolais. Von den Ausbrüchen des Rinderherpes-Virus im Frühjahr hat sich Hof Telgmann bis heute nicht erholt.

Auch wirtschaftlich war es ein schwerer Schlag für die Telgmanns. Da die Tiere noch längst nicht schlachtreif waren und die Tierseuchenkasse nur den aktuellen Wert der Tiere erstattete, entstand ein Minus von einer Viertelmillion Euro. Ob die Ertragsausfallversicherung einspringt, ist noch völlig offen.

Eine leere und saubere Stallbox eines auf einem landwirtschaftlichen Hof

Die Stallboxen wurden grundgereinigt und desinfiziert - trotzdem stehen sie leer

Im Sommer schöpfte der Landwirt dann neue Hoffnung. Nach gründlicher Desinfektion und dem Austausch aller organischen Materialien wie Holz in den Ställen, kaufte er 200 Jungrinder. Doch mitten in den Neustart platzte Ende September 2024 die "Tierseuchenverfügung" des Kreises Borken. Plötzlich war Heek Sperrgebiet. Seitdem muss jeder Besuch auf dem Hof dokumentiert, Ställe dürfen von Fremden nur noch in Schutzanzügen betreten werden. "Ich gehe überall mit, nur nicht in einem Punkt", sagt Telgmann. Was er kritisiert: Er darf jetzt nur noch Jungrinder kaufen und auf den Hof bringen, die negativ auf BHV1 getestet sind.

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Nur (k)eine Lösung in Sicht

"Faktisch macht das so gut wie kein Viehverkäufer, die haben alle Angst vor positiven Befunden und den dann folgenden Maßnahmen", sagt Telgmann. Seine Hoffnung richtet sich nun auf einen Pachtstall, zweieinhalb Kilometer vom Hof entfernt. Der steht seit einem Vierteljahr leer, noch nie hat es hier BHV1-Fälle gegeben. Warum nicht diesen Stall als Quarantänestall herrichten und zugekaufte Tiere erstmal hier auf das Virus testen? 

Doch beim Kreis Borken stößt der Vorschlag auf wenig Begeisterung. Wegen "der Gefahr von weiteren BHV1-Nachweisen" und dem "dann folgenden Verlust des BHV1-Freiheitsstatus für den gesamten Kreis Borken", schreibt das Kreisveterinäramt. Tatsächlich gilt Deutschland seit 2017 offiziell als frei von der Rinderseuche, mit entsprechenden Handelserleichterungen. Und das NRW-Landwirtschaftsministerium rechnet vor: "Ein Verlust des Freiheitsstatus hätte schwerwiegende, wirtschaftliche Folgen für die gesamte Rinderhaltung in der Region". 1750 Rinderhalter mit circa 200.000 Rindern wären betroffen. So sind es in Heek nur 105 Rinderhalter mit etwa 10.000 Tieren.

Vier braun-weiße Rinder stehen nebeneinander in einer Stallbox und strecken ihre Köpfe raus

Die jungen Rinder sind nicht vom Rinderherpes-Virus betroffen, sichern dennoch nicht die Existenz des Hofs

Inzwischen haben Viehhändler für die Rinderhalter in Heek zwar zwei Untersuchungsställe eingerichtet, aber der am nächsten gelegene ist immer noch 45 Kilometer von Telgmanns Hof entfernt. Der Mäster hat Bauchschmerzen. "Was, wenn dort ein neu erworbenes Rind positiv getestet wird?" Für ihn wäre das ein Horrorszenario. Und er wisse auch nicht, ob in dem Fall seine Versicherungen einspringen würden. "Viel zu riskant, dann lasse ich lieber bei mir zu Hause die Ställe leer".

So wie alle Rinderhalter in Heek, richtet auch Bernd Telgmann seine Augen auf den 31. März 2025. Denn dann läuft die Tierseuchenverfügung des Kreises Borken aus. Die nächste Sorge ist dann, ob es zu einer Verlängerung kommt. Denn noch müssen viele Tiere aus dem Sperrgebiet getestet werden.

Gerade bei Mastbullen ist es für die Veterinäre schwierig und gefährlich, Blutproben zu ziehen. Stattdessen werden jetzt stichprobenartig sogenannte Fleischsaftproben nach der Schlachtung von den Tieren genommen und ins Labor eingeschickt. Hier stehen noch viele Ergebnisse aus. Für Telgmann hängt viel davon ab. "Es ist unsere Existenz, die auf dem Spiel steht", sagt der Landwirt. "Ohne Tiere im Stall geht es nicht. Dann ist, so schade es ist, irgendwann Schluss."

Über dieses Thema haben wir auch am 28.01.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19:30 Uhr.