Weizenernte bei Martin Richrath aus Erftstadt

00:23 Min. Verfügbar bis 11.08.2026

Regionaler Weizen: Wenn Nachhaltigkeit zur Herausforderung wird

Rhein-Erft-Kreis | Landwirtschaft

Stand: 11.08.2024, 09:19 Uhr

Woher stammt das Mehl in meinem Sonntagsbrötchen? Bei vielen Bäckereien lässt sich das nur schwer sagen. Denn der Weizen wird weltweit in gigantischen Mengen geerntet und rund um den Globus transportiert. Ein Landwirt aus Erftstadt will das ändern.

Von Katja Stephan

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Der Weg des Weizens

Ein Getreidefeld am Waldrand. Der Weizen leuchtet goldgelb, der Himmel darüber ist strahlend blau. Hinter einer Staubwolke zieht ein Mähdrescher langsam seine Bahnen. Am Steuer: Martin Richrath. Der Landwirt aus Erftstadt ärgert sich. Denn er hat keine Ahnung, wo der Weizen, den er gerade erntet, am Ende landet. "Ich finde das paradox, dass mein Weizen über die Autobahn nach Frankreich oder Spanien gekarrt wird. Auf der anderen Seite der Autobahn kommt aber gleichzeitig Weizen aus Spanien oder Frankreich nach Deutschland, wird hier zu Mehl verarbeitet und dem Verbraucher vorgesetzt. Da stimmt doch irgendwas nicht.

Ein Mann steht vor einem Weizenfeld und lächelt in die Kamera

Martin Richrath auf einem seiner Weizenfelder

Eigentlich produzieren die Landwirte in Deutschland genug Weizen, um die Bevölkerung zu versorgen. Allerdings sei dies überwiegend Futterweizen, also Weizen mit einem niedrigeren Eiweißgehalt, der sich nicht zum Backen eignet, erklärt Thomas Böcker von der Landwirtschaftskammer Rheinland. "Deshalb importiert Deutschland qualitativ hochwertigeren Brotweizen aus anderen Ländern, vor allem aus Osteuropa. Gleichzeitig exportieren wir überschüssigen Futterweizen in Länder mit hohem Viehbestand, zum Beispiel nach Belgien und die Niederlande und Brotweizen in Länder mit zu geringer Eigenproduktion wie zum Beispiel nach Marokko oder Saudi-Arabien", so der Handelsexperte.

Auf welchem Teller das Getreide von Landwirt Richrath am Ende landet, hängt also vor allem von der Qualität ab. Wird es als Brotweizen in einer der Großmühlen in NRW zu Mehl verarbeitet, kann es je nach Vertriebsweg im Rheinland, aber auch im Rest der Welt verkauft werden. Woher das Getreide in seiner Mehlpackung kommt, erfährt der Verbraucher nicht. Warum Landwirt Richrath das ändern möchte, zeigen wir auch bei WDR Lokalzeit Land.Schafft.

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Ein Projekt mit Höhen und Tiefen

Im Kampf für lokalen Weizen hat sich Richrath zwei andere Landwirte aus Erftstadt als Mitstreiter gesucht: Jörg Hoffsümmer und Thomas Neisse. Die Drei blicken über das Weizenfeld, an dem sie gerade stehen. Und erinnern sich. Denn hier fing 2019 alles an. Damals gründeten sie einen Verein: "Rheinbauern".

Drei Männer stehen vor einigen Traktoren in einer Scheune

Drei Landwirte mit dem gleichen Ziel: Ein Markt für regionalen Weizen

Die Rheinbauern sind eine Erzeugergemeinschaft aus mittlerweile rund 15 Landwirten. Jeder von ihnen baut auf einem Teil seiner Flächen Weizen für die Rheinbauern an.

So arbeiten die Rheinbauern

  • Sie verzichten auf Pflanzenschutzmittel und legen Blühstreifen an.
  • Sie lassen ihren Weizen in einer Mühle in der Region zu Mehl verarbeiten, das in Hofläden oder an regionale Bäckereien verkauft wird. Dadurch soll die Wertschöpfung in der Region bleiben.
  • Sie stellen an den Feldrändern Schilder auf mit Informationen zum jeweiligen Landwirt, der dort Rheinbauern-Weizen anbaut. So wollen sie beim Verbraucher Verständnis für ihre Arbeit und Interesse für ihr Getreide wecken.

2019 säten Richrath und seine Kollegen das erste Mal Rheinbauern-Weizen. In den Folgemonaten mussten sie lernen, auf Pflanzenschutzmittel zu verzichten und das Unkraut mechanisch unter anderem mit einem sogenannten Striegel zu bekämpfen. Für Richrath war das eine besondere Zeit:

Besonders die Gemeinschaft war für die Bauern wichtig

00:32 Min. Verfügbar bis 11.08.2026

Landwirte wie die Rheinbauern sorgen mit ihrer Arbeit dafür, dass Deutschland sich mit vielen Lebensmitteln selbst versorgen kann, also nicht auf Importe angewiesen ist. Laut des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft war dies 2022 bei Fleisch, Milch, Kartoffeln, Zucker und Getreide der Fall. Gemüse, Obst, Eier und Honig mussten hingegen aus dem Ausland hinzugekauft werden.

Bei Obst beispielsweise lag der Selbstversorgungsgrad 2022 bei unter 30 Prozent. Der Großteil wurde aus Spanien importiert, laut Statistischem Bundesamt 1,6 Millionen Tonnen. NRW sei beim Gemüse innerhalb Deutschlands einer der größten Produzenten. Auch Kartoffeln, Milch, Zucker und Schweinefleisch stammen laut Handelsexperte Böcker zu einem großen Teil aus NRW. 

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Die schwierige Suche nach Partnern

Nachdem sie den Weizen ausgesät hatten, standen die Rheinbauern vor der nächsten Herausforderung: Sie mussten eine Mühle in der Nähe finden, die ihr Getreide zu Mehl verarbeitet. Das Problem: Für industrielle Mühlen ist die Menge zu klein. Denn der Rheinbauernweizen muss getrennt gemahlen und gelagert werden; ein aufwendiger Prozess. Kleine Mühlen gibt es nur noch wenige in NRW, denn es wird immer schwieriger, mit den großen Handelsmühlen zu konkurrieren. Innerhalb der letzten 40 Jahre ist die Zahl der Mühlen laut Verband deutschlandweit um 80 Prozent gesunken.

Nach langer Suche wurden die Rheinbauern rund 40 Kilometer Luftlinie entfernt fündig. Hier in Neunkirchen-Seelscheid liegt die Horbacher Mühle. Familie Dobelke mahlt seit über 100 Jahren Korn auf schonende Weise. Das Getreide stammt von Landwirten aus der Region. 2019 klingelte das Telefon: Richrath stellte sein Rheinbauernprojekt vor und fragte nach, ob die Horbacher Mühle den Weizen mahlen wolle. Familie Dobelke wollte.

Zusätzlich versuchten die Rheinbauern, Bäcker in der Region von ihrem Weizenmehl zu überzeugen. Wieder mit Schwierigkeiten. Die Großbäckereien zeigten kein Interesse am Rheinbauernmehl, viele kleine Betriebe kämpften mit ihrer Existenz und wollten den Versuch nicht wagen.

Der Geschäftsführer der Bäckerinnung Köln/Rhein-Erft, Peter Ropertz, kennt noch weitere Gründe, die die Verwendung von Rheinbauern-Mehl schwierig machen. "Der höhere Preis ist ein wesentlicher Faktor", so Ropertz. In der Tat kostet das Mehl 20 Prozent mehr als konventionelles Mehl. Ein Brötchen kann in der Folge 40 Cent kosten. "Die Bäcker brauchen außerdem eine verlässliche Menge an Mehl. Bei den Rheinbauern produzieren aber nur wenige Landwirte. Da kann ein schlechtes Erntejahr zum Problem werden. Das Risiko verteilt sich dann auf wenige Schultern." Thomas Böcker von der Landwirtschaftskammer gibt außerdem zu bedenken, dass Geschmacks- oder Qualitätsunterschiede beim Mehl für den Verbraucher schwerer zu erkennen sind. "Deshalb ist er möglicherweise auch nicht bereit, mehr Geld dafür auszugeben."

Drei Personen gehen durch einen vorgefertigten Weg auf einem Weizenfeld

Die Rheinbauern wollen regionales Mehl in den Broten

Schließlich hatten die Rheinbauern 2020 doch noch Erfolg: Peter Weber, der eine kleine Bäckerei in Erftstadt-Friesheim betreibt, probierte das Rheinbauern-Mehl aus - und ist bis heute begeistert. "Das Mehl ist viel griffiger. Es fühlt sich an, als wäre es gesiebt, also richtig gut. Es ist auch nur ein halbes Jahr haltbar, also richtig frisch. Allerdings ist es etwas schwieriger zu verarbeiten. Man muss den Teig genau im Blick behalten, braucht Zeit und Ruhe. Das ist für Großbäckereien vermutlich schwierig."

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Die Idee hat ihren Preis

"Die ersten zwei Jahre liefen richtig gut. Es war Corona, die Leute hatten Zeit zu backen und auch genug Geld, um für unser Mehl etwas mehr auszugeben", erzählt Richrath. Doch mit dem Ukrainekrieg und der Inflation kam die Wende. Der Absatz brach ein. "Wir haben deshalb dieses Jahr keinen Rheinbauern-Weizen geerntet". Noch sind die Lager voller Getreide aus der letzten Ernte. Das soll erst verbraucht werden.

Eine offene Hand, in welcher Weizenkörner liegen.

Das Weizen unterscheidet sich leicht von den handelsüblichen Weizen

Um ihre Kosten zu decken, müssen die Landwirte für ihren Rheinbauern-Weizen einen höheren Preis nehmen als für konventionelles Getreide. Denn die Erträge sind im Schnitt 20 bis 30 Prozent geringer als im konventionellen Anbau. Hinzu kommt der größere zeitliche Aufwand beim Anbau. Und auch die Horbacher Mühle produziert zu deutlich höheren Kosten als eine Industriemühle. Die Folge: Ein Paket Mehl kostet im Hofladen 2,30 Euro. Im Discounter bezahlt der Verbraucher für die gleiche Menge 0,64 Euro.

Seit Projektstart hat Richrath 10.000 Euro investiert. Das Geld ist weg. "Ich muss mir darüber im Klaren sein, auch als Verbraucher: Wenn ich was für die Umwelt tue, kostet das Geld. Ich als Erzeuger kann das nicht alles auf meine Kappe nehmen."

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Warum Aufgeben keine Option ist

Bei aller Enttäuschung: Etwas Entscheidendes habe sich verändert, seitdem sie Rheinbauern-Getreide auf ihren Feldern anbauen, erzählen Richrath und seine Kollegen. 

Bei den Erftstädtern ist Martin Richrath mittlerweile gut bekannt

00:20 Min. Verfügbar bis 11.08.2026

Im Oktober werden die Rheinbauern wie jedes Jahr wieder Weizen säen. Spätestens dann müssen sie entscheiden, ob sie konventionell anbauen - oder auf einem Teil ihrer Flächen noch einmal auf Pflanzenschutzmittel verzichten und Rheinbauern-Getreide anbauen. Bis dahin wollen sie versuchen, den Absatz anzukurbeln und Bäcker aus der Region für ihr Projekt zu gewinnen.