Ein Mann mit Kappe schaut in die Kamera

Wohntraining für Obdachlose: Endlich wieder richtig wohnen und leben

Bonn | Heimatliebe

Stand: 23.08.2024, 07:10 Uhr

Die Tür hinter sich zumachen und allein sein. Das ist ein neues Gefühl für Frank Faßbender. Er ist trockener Alkoholiker, saß lange im Gefängnis und hatte keine Wohnung. Jetzt hat er sein eigenes Apartment im Wohntraining in Bonn. Und will sein Leben komplett umkrempeln.

Von Paula Randerath

Frank Faßbender hockt auf dem Boden seiner kleinen Wohnung. Es ist altes Parkett, ganz typisch für die Gründerzeithäuser in der Bonner Innenstadt. Er klebt Sticker auf Leinwände, schneidet Motive von Tattoos und Uhren aus selbst ausgedruckten Blättern aus und sortiert alles zu einer großen Collage. Sein größtes Bastelprojekt bisher. Damit möchte er eine Wand dekorieren. In seiner eigenen Wohnung.

Zum ersten Mal seit langer Zeit kann Faßbender selbst entscheiden, wie er sich einrichten möchte. Der 58-Jährige saß zwei Jahre lang im Gefängnis, dann landete er in einer Notunterkunft für Wohnungslose. Betrieben vom "Verein für Gefährdetenhilfe" in Bonn. Als der Verein das Wohntraining ins Leben ruft, sieht Faßbender seine Chance. Sein Ziel: Neustart mit eigenem Zuhause.

Das Gefühl plötzlich im eigenen Zuhause zu sein

00:20 Min. Verfügbar bis 23.08.2026

Zusammen mit zwölf anderen Menschen lebt Faßbender seit Oktober in dem Haus in der Bonner Kaiserstraße. Alle haben jeweils ein eigenes Apartment, sogar mit eigenem Badezimmer. Das unterscheidet das "Wohntraining" von anderen Unterkünften für Wohnungslose. Es ist das erste dieser Art in Bonn.

Schwierige Schritte zurück ins Leben

In NRW waren im Jahr 2023 laut Sozialministerium rund 108.600 Menschen wohnungslos. Sie hatten also keinen Mietvertrag für eine Wohnung. Allerdings wohnt der Großteil dieser Menschen bei Bekannten, in Unterkünften oder in zur Verfügung gestellten Wohnungen. Also nicht dauerhaft auf der Straße.

Die Zahl der Wohnungslosen in NRW ist in den letzten beiden Jahren enorm gestiegen, weil auch Flüchtlinge dazu gezählt werden. In Bonn ist der Trend ähnlich. Hier waren 2023 offiziell rund 3800 Menschen ohne Wohnung. Die Bonner Caritas schätzt, dass etwa 80 von ihnen dauerhaft auf der Straße leben.

Wieder alleine in einer eigenen Wohnung leben, einen geregelten Alltag haben. Das ist für viele dieser Menschen schwierig. Auch für die zwölf Bewohner im Wohntraining in Bonn. Wieder regelmäßig einkaufen gehen, Termine regeln, die Post öffnen - all das müssen sie erst wieder lernen. Unterstützung kommt jeden Tag von den Sozialarbeitern des "Vereins für Gefährdetenhilfe".

Erst, wenn das alles sitzt, folgen weitere Schritte ins Leben. Das Team hilft Faßbender und den anderen unter anderem, einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Und am Ende auch eine eigene Wohnung. Denn nach zwei Jahren im Wohntraining sollen die Bewohner ausziehen.

Die Freiheit, sich selbst zu finden

Durch seinen neu geregelten Alltag hat Faßbender jetzt Zeit, sich neu zu erfinden. Dazu gehört auch sein größtes Hobby: das Radfahren. Jedes Wochenende tourt er mit seinem besten Freund von Bonn bis Remagen oder durch das Siebengebirge.

Ein Mann reinigt ein Fahrrad

Für das Rennrad hat Faßbender lange gespart. Stolz und liebevoll hebt er es in einen Fahrradständer und macht es sauber. Ganz akribisch, fast jede Woche. So dauert es nicht lange, bis das Rad wieder blitzeblank ist. "Wie beim Motorradfahren ist das Freiheit. Den Raum einfach zu haben, tun und zu lassen, was ich will", sagt Faßbender.

Der Kampf um Normalität

Doch einfach ist das Leben im Wohntraining nicht. Denn eine eigene Wohnung bedeutet auch: Erstmals einen Rückzugsort haben. Zeit finden, nachzudenken. Für die meisten Bewohner ist das ziemlich hart. Auch für Faßbender, sagt die Leiterin des Wohntrainings Imke Freischem: "Die größte Wirkung, die wir haben, ist: Sicherheit zu geben. Ein Gefühl, wie 'Hier bin ich willkommen und Zuhause'. Das ist die Basis. Und daraus folgt: 'Wenn ich hier willkommen bin, kann ich an meiner Thematik arbeiten.'"

Diese Thematik ist bei Faßbender der Alkohol. Seinetwegen ist er abgestürzt: "Der Auslöser ist einfach: Ich wollte mich betäuben. Ich bin abgerutscht, weil ich mich nicht aufgenommen gefühlt habe in der Gesellschaft." Nach einer schweren Kindheit flüchtet Faßbender in die "Subkultur", wie er es nennt. Die endet mit Pillen-Deals. Faßbender landet im Gefängnis. Seit vier Jahren ist er trocken, aber leicht fällt ihm der Verzicht immer noch nicht.

Warum der Alkohol Faßbender Sorgen macht

00:27 Min. Verfügbar bis 23.08.2026

"Mir bleibt nichts anders übrig, als weiterzukämpfen", sagt Faßbender. Jetzt will er es ganz schaffen: raus aus der Abhängigkeit des Staates. Dass das nicht leicht wird, weiß er. "Man muss nicht träumen. Wenn ich wohin komme für eine Wohnung, dann stehen da 30 Mann. Aber ich bin tätowiert, habe eine negative Schufa und im Lebenslauf viel Gefängnis. Die nehmen mich nicht." Trotzdem vertraut er auf sich und das Wohntraining. Denn in den letzten Monaten hat er schon viel geschafft.

Über dieses Thema haben wir auch am 22.04.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Bonn, 19.30 Uhr.