Eine Hand im Handschuh reicht einer anderen Hand eine Schüssel mit Suppe.

Ruhrpott zeigt Herz: Wie sich die "FairSorger" um Bedürftige in Essen kümmern

Essen | Ehrenamt

Stand: 05.07.2024, 16:25 Uhr

Sie kriegen mehr als einhundert Menschen satt: Mehrmals die Woche sind Ehrenamtliche in Essen im Einsatz, um obdachlose und bedürftige Menschen mit einer warmen Mahlzeit und dem Nötigsten zu versorgen. Wir haben Mitglieder des Vereins "FairSorger Essen e.V." bei ihrer Arbeit begleitet.

Von Jana Brauer

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Mit Maggi oder ohne?

"Mit Maggi oder ohne?" In einer Plastikschale wartet eine dampfende Portion Kartoffelsuppe mit Würstchen. "Mit", antwortet ein Mann, streckt seine Hand aus und nimmt die warme Mahlzeit entgegen. Er bedankt sich, sucht sich einen Sitzplatz und beginnt zu essen. Die Frage nach der Extrawürze wird an diesem Mittwochabend noch viele Male gestellt werden. Und zwar so oft, bis alle satt und alle Töpfe leer sind.

Ein paar Stunden zuvor warten die silbernen Suppentöpfe im Laderaum eines weißen Transporters noch auf ihren Einsatz. Rita Fröhlich-Eberl sitzt am Steuer des Wagens und schlängelt sich durch den Feierabendverkehr. "Wir liefern jetzt Lebensmittel aus und holen dann das Essen für heute Abend ab." Die 57-Jährige ist zweite Vorsitzende des Vereins "FairSorger Essen e.V.". Dreimal die Woche organisiert das Team aus Ehrenamtlichen eine Essensausgabe für obdachlose und bedürftige Menschen. 2016 hat sich der Verein gegründet. Seitdem ist Fröhlich-Eberl dabei. Die gelernte Krankenschwester lebt in Oberhausen und kommt für ihr Ehrenamt mehrmals die Woche nach Essen.

Was macht die Arbeit mit Bedürftigen mit Rita Fröhlich-Eberl?

01:28 Min. Verfügbar bis 05.07.2026

"Das hier ist die Kantine im Haus des Handwerks", sagt Fröhlich-Eberl und parkt auf einem Hinterhof. Sie holt eine schwarze Styroporbox aus dem Auto und übergibt sie an Küchenchefin Ramona Kosobudzki. In der Kiste befinden sich Lebensmittel, die ein Supermarkt gespendet hat. Kosobudzki hebt den Deckel und inspiziert die Ware: "Daraus zaubere ich ein Menü." Seit der Corona-Pandemie kocht sie jede Woche ehrenamtlich für die "FairSorger". Damals musste sie ihren Betrieb schließen. "Das war für mich die Rettung", erinnert sich Kosobudzki. "Mein Sohn und ich haben auch davon gelebt. Es hat uns geholfen und das gibt man gerne weiter."

Zwei Ehrenamtliche checken Lebensmittel

In der Box befinden sich diese Woche unter anderem Spinat, fertige Knödel und Ravioli

Montags, mittwochs und freitags geben die "FairSorger" eine warme Mahlzeit und Lebensmittel aus. An bestimmten Tagen auch Hygieneartikel, Kleidung und nützliche Gegenstände wie Rucksäcke oder Isomatten. Der Verein lebt von Geld- und Sachspenden. Zum Team gehören Studierende, Berufstätige oder auch Menschen im Ruhestand. Sie alle vereint der Drang, etwas Gutes zu tun. Über die Jahre ist der Verein zu einem festen Bestandteil der Obdachlosenversorgung in Essen geworden. Die Ehrenamtlichen wollen für die Menschen da sein, wenn andere Anlaufstellen geschlossen haben. Mit Berichten auf ihrer Facebook-Seite geben sie außerdem Einblicke in das Leben der Bedürftigen. 2023 haben sie für ihr Engagement die Ehrenamtsmedaille des Landtags NRW und die Ehrenplakette der Stadt Essen verliehen bekommen.

Rita Fröhlich-Eberl sitzt mittlerweile wieder im Auto. Die Kartoffelsuppe ruft. Auch die wird ehrenamtlich aus Spenden gekocht. Etwa 40 Liter hat Jessica Klossas zubereitet. Sie ist Inhaberin des Restaurants "Lekka" in Essen. "Ich freue mich, dass ich Lebensmittel retten und damit noch Menschen glücklich machen kann." Die Suppe wird in die Töpfe gefüllt und im Auto verstaut. 

Was wünscht sich Rita Fröhlich-Eberl in Zukunft für die Obdachlosenhilfe?

01:16 Min. Verfügbar bis 05.07.2026

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Wir sind wie Familie

"Wir sind füreinander Familie", betont Fröhlich-Eberl, wenn sie über das Team spricht. Der harte Kern der Ehrenamtlichen kennt sich seit Jahren. Der Umgang miteinander ist direkt, aber herzlich. Typisch Ruhrpott eben. Gleiches gilt für die Begegnungen mit ihren Gästen. So nennen die "FairSorger" die Menschen, die zu ihnen kommen. Fröhlich-Eberl kümmert sich viel um Organisatorisches. "Mein Handy klingelt manchmal in einer Tour", sagt sie und lacht. Hin und wieder ist sie aber auch "mit auf dem Platz". So wie an diesem Mittwochabend.

Die Essensausgabe findet unter freiem Himmel am Rande der Essener Innenstadt vor der St. Gertrud Kirche statt. Auf einem großen, steinernen Treppenabsatz bauen die Ehrenamtlichen aus Biertischen und Bänken mehrere Stationen auf. Eine für die Suppe, eine für Getränke, eine für Nachtisch und einen Abschnitt für die Lebensmittelausgabe. Nach und nach kommen immer mehr Ehrenamtliche dazu, bis es am Ende fast 20 Helferinnen und Helfer sind. "Das ist hier wie ein Ameisenhaufen. Jeder weiß, was er zu tun hat", meint Ingrid Steinhauer-Sarr und lächelt. Die 68-jährige Rentnerin ist erste Vorsitzende des Vereins und von Beginn an dabei.

Ingrid Steinhauer-Sarr von den FairSorgern Essen.

Früher hat Ingrid Steinhauer-Sarr Obdachlose mit einem Suppenfahrrad versorgt

Um 19.30 Uhr stehen die Gäste bereit. Aufgereiht in Warteschlangen. "Einen wunderschönen guten Abend", ruft Steinhauer-Sarr. Die "FairSorger" führen Buch über ihre Gäste, teilen ihnen Nummern zu und haken diese bei Erscheinen auf einer Liste ab. Es sind überwiegend Männer unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Nationalität. Die einen leben auf der Straße, andere haben zwar eine Wohnung, kommen mit dem Geld aber nicht hin. So auch Christian, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte. 

"Ich bin 2017 nach Essen gekommen und dann in die Obdachlosigkeit geraten", erzählt Christian. Heute hat er wieder ein Dach über dem Kopf, kommt aber trotzdem noch regelmäßig vorbei. "Wenn man pleite ist, kommt man hier hin, weil man gut aufgehoben ist." Mittlerweile ist es ein Ort, an dem er Freunde trifft. Das Engagement der Ehrenamtlichen findet er toll.

An manchen Tagen kommen mehr als 100 Bedürftige zur Essensausgabe. Besonders gegen Monatsende wird es voll. An diesem Abend sind es 57 Gäste. Der Himmel ist blau, die Luft kühl. Sie suchen sich zuerst Lebensmittel aus. Verstauen Brötchen, Wurst, Obst und Gemüse in ihren Taschen. Dann gibt es Suppe, etwas zu trinken und Nachtisch. Die einen setzen sich zum Essen an einen Tisch, andere auf die Treppen vor der Kirche. Die Atmosphäre ist ruhig und unaufgeregt, die Abläufe eingespielt.

So geht es während einer Ausgabe der "FairSorger" zu

00:26 Min. Verfügbar bis 05.07.2026

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Früher Gast, heute Teammitglied

Die Ehrenamtlichen und ihre Gäste kennen sich. Persönliche Bindungen entstehen, es wird über Probleme gesprochen und nach Möglichkeit geholfen. Besonders groß ist die Freude, wenn ein Gast nicht mehr auf Unterstützung angewiesen ist. So ist es auch bei Michael gewesen. Früher Gast, heute Teammitglied. Er habe eine schwere Zeit gehabt, erzählt der 55-Jährige. "Ich habe mir gesagt, wenn ich wieder auf den Beinen stehe, will ich was zurückgeben."

So sieht Engagement aus:

Fotogalerie

Zwei Männer, die nebeneinander in die Kamera lächeln

Früher Gast, heute ehrenamtlicher Helfer: Im Sommer ist Michael (rechts im Bild) schon seit vier Jahren Teil der "FairSorger". Neben ihm steht Teammitglied Marc.

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Früher Gast, heute ehrenamtlicher Helfer: Im Sommer ist Michael (rechts im Bild) schon seit vier Jahren Teil der "FairSorger". Neben ihm steht Teammitglied Marc.

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Die Gäste bekommen einen Ausweis für die Essensausgabe.

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In einem ehemaligen Ladenlokal haben die "FairSorger" ihr Lager. Ein Lagerteam bereitet hier dreimal die Woche die Ausgaben vor.

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Der Platz im Lager wird langsam knapp, deshalb wird aktuell ein größeres gesucht.

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Die Ehrenamtlichen haben eine Gedenkstätte für verstorbene Gäste neben einem der Eingänge der St. Gertrud Kirche eingerichtet.

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Ein eingespieltes Team: Die Aufgabenverteilung ist klar, die Handgriffe geübt - schnell ist alles aufgebaut und bereit für die Gäste.

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 Deftige Gerichte sind bei den Essensausgaben besonders beliebt bei den Gästen.

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Süßes darf aber auch nicht fehlen. Teammitglied Christoph kümmert sich um die Backwaren.

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Gegen 21 Uhr sind die Suppentöpfe und eine ganze Flasche Extrawürze leer. Alle Lebensmittel sind verteilt. Die Teammitglieder bauen ab und die Gäste verstreuen sich langsam. Alles ist gut gelaufen. "FairSorger"-Vorsitzende Steinhauer-Sarr steht in der Abenddämmerung vor der Kirche und wirkt zufrieden: "Man macht etwas Sinnvolles und ich habe jedes Mal ein gutes Gefühl, wenn ich nach Hause gehe."

Über dieses Thema haben wir am 27.09.2023 auch im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr