Wie der Maibaum nach Westfalen kam

Ausgerechnet Jöllenbeck: Wie der Maibaum nach Westfalen kam

Bielefeld | Heimatliebe

Stand: 02.05.2023, 09:24 Uhr

Bisher glaubten Historiker, dass die Maibaum-Tradition lange einen großen Bogen um Westfalen gemacht hat. Doch eine uralte Überlieferung im Bielefelder Kirchenarchiv lässt nun das Gegenteil vermuten. Die Geschichte eines Überraschungsfunds.

Von Luca Peters

Die Lösung des Rätsels um die westfälische Maibaum-Tradition liegt verborgen hinter schweren Sicherheitstüren. Und er ist der einzige Mann, der weiß, wo es sich befindet: Dr. Lutz Volmer. Der Historiker dreht an einem Stahlschloss in den Gemäuern des Archivs der evangelischen Landeskirche in Bielefeld. Dahinter sieht es aus wie in einem Schuhgeschäft. Überall Kartons, alles fein säuberlich sortiert. Bestandsangaben, Ortsmarken, Archivnummern. Volmer zieht den Karton mit der Nummer 933 heraus. Das muss es sein.

Westfalens Maibaum-Vergangenheit: Ganz anders als gedacht?

Das Aufstellen eines Maibaums im Frühling hat in Deutschland eine lange Tradition und geht wahrscheinlich auf alte germanische Riten zurück. Maibaum, das kommt nicht vom Monat Mai, sondern vom heute ungebräuchlichen Wort Maien, was so viel wie junge Tannenzweige bedeutet.

Der erste Maibaum soll bereits im Jahr 1224 von einem Zisterziensermönch in Aachen aufgestellt worden sein. In Westfalen konnte sich die Tradition lange nicht durchsetzen, so glaubte man zumindest. Denn bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass die ersten Maibaumfeste hierzulande um das Jahr 1900 im Kreis Siegen-Wittgenstein stattgefunden haben. Doch dieses Stück Landesgeschichte muss nun vermutlich neu geschrieben werden.

Was Jöllenbeck mit einem jahrhundertealten Streit zu tun hat

Volmer sitzt an einem Schreibtisch im Bielefelder Kirchenarchiv. Vor ihm liegt ein dicker Wälzer aus zerfleddertem Leder, eng beschrieben in altdeutscher Kurrentschrift, jahrhundertealt. "Successoribus" heißt das Buch. Zu Deutsch: für die Nachfolger. Beschrieben wird darin der Streit einer Gemeinde mit ihrem Pfarrer Johann Heimann im ostwestfälischen Jöllenbeck anno 1680.

Der Original-Wortlaut im "Successoribus"

00:20 Min. Verfügbar bis 02.05.2025

Es geht um sogenannte Injurien, heute würde man wohl Beleidigungen dazu sagen. Wer wen beleidigt haben soll, ist nicht überliefert. Der Sieger des Prozesses ist allerdings sehr wohl bekannt, es ist die Gemeinde von Jöllenbeck, nicht der Pfarrer. Als Symbol ihres Sieges setzte sie einen Maibaum vor die örtliche Gaststätte, gleich neben dem Wohnhaus des Pfarrers. Der Maibaum als Protest-Symbol des Volkes gegenüber den Mächtigen. Es ist der erste und einzige Beweis dafür, dass Westfalens Maibaum-Tradition deutlich älter ist als bisher gedacht - und seinen Ursprung wohl in Jöllenbeck hat.

Der Jöllenbecker Maibaum ist ein Stück Tradition. Darauf bin ich stolz. Martin Wübbenhorst

Der Maibaum heute: Parkplatz statt Pfarrhaus

Ein Ortsbesuch in Jöllenbeck heute: Früher nicht mehr als eine Ansammlung von Bauernhöfen, heute ein Stadtteil im Speckgürtel von Bielefeld. Auf einer Landstraße verfrachten Martin Wübbenhorst und Uwe Biermann gerade den riesigen Kranz des Maibaums auf einen Anhänger. Sie haben vor etwas mehr als 20 Jahren das längst eingeschlafene Jöllenbecker Maibaum-Fest wieder zu neuem Leben erweckt. Da wussten sie noch nichts von der kolossalen Entdeckung im Bielefelder Kirchenarchiv. Der Maibaum, das sei ein Stück Heimat und Tradition, sagen sie, und fahren davon.

Gefeiert wird auch mehr als 350 Jahre nach dem Triumph der Jöllenbecker immer noch in der Ortsmitte. Nur eben nicht mehr vor der uralten Gaststätte, denn die gibt es längst nicht mehr, sondern auf dem rostroten Parkplatz eines Discounters. Nicht so tragisch, meinen Biermann und Wübbenhorst. Man muss eben mit der Zeit gehen.

Über dieses Thema berichten wir auch im WDR Fernsehen in der Lokalzeit Südwestfalen am 28.04.2023 um 19:30 Uhr.