Die Villa Luhns in Wuppertal

Mutmacher aus Wuppertal: So will ein Ehepaar einen Stadtteil aufwerten

Wuppertal | Heimatliebe

Stand: 07.10.2024, 07:31 Uhr

Sabine Tunnat-Seidel und ihr Mann Ralf Seidel hätten sich eigentlich zur Ruhe setzen können. Stattdessen investiert das Ehepaar ein Vermögen in eine als No-Go-Area verschrienen Straße. Warum sie das gemacht haben.

Von Annette Hager

"Schwarzbach ist für viele Menschen eine No-Go-Straße, was ich wirklich nicht verstehe", sagt Sabine Tunnat-Seidel. Gerade steht sie in ihrer Küche, beugt sich gemeinsam mit ihrem Mann Ralf Seidel über Mappen und dutzende Planrollen. Bilder auf einem Tablet zeigen, wie es im Verwaltungsgebäude der ehemaligen Seifenfabrik Luhns einmal ausgesehen hat. Karge Hallen, beschmierte Wände, abblätternder Putz. 2019 war das. Heute, fünf Jahre später, ist das Verwaltungsgebäude kaum wiederzuerkennen.

Das Gelände der Villa Luhns aus der Luft aufgenommen

Das Gelände der Villa Luhns

Wer zum ersten Mal durch die Schwarzbach-Allee in Wuppertal-Oberbarmen fährt, ist vielleicht überrascht. Gebäude aus der Gründerzeit reihen sich aneinander, eine Mischung aus Industrie- und Altbaucharme. "In einem anderen Stadtteil stünden sie längst unter Denkmalschutz", ist sich Tunnat-Seidel sicher. Auf den ersten Blick ein Viertel mit viel Potenzial.

Doch die Schwarzbach gilt auch als prekäres Quartier. Nach Zahlen der Stadt beziehen rund ein Viertel der Menschen Bürgergeld. Wer genauer hinschaut, sieht neben den Altbauten auch den Leerstand, den Müll auf der Straße, den Schmutz, die Spielsalons und die Graffitis an den Hauswänden. In einer ohnehin armen Stadt mit über 1700 Wohnungslosen leben hier besonders viele Menschen, die eine Bleibe, Perspektive und Arbeit suchen.

Selber anpacken statt spenden

Dementsprechend wenig Verständnis oder gar Begeisterung gab es aus ihrem privaten Umfeld für die Pläne von Sabine Tunnat-Seidel und ihrem Mann, ausgerechnet hier ein großes Wohnprojekt umzusetzen. Ihr geht es um inklusiven und sozialen Wohnungsbau, ihm um Klimaeffizienz und beiden darum, zum Erhalt des Stadtbildes beizutragen. Die 63-jährige Sozialarbeiterin wünscht sich einen anderen Blick auf das Viertel und hofft, dass ihr Projekt dazu beitragen wird. Idealismus statt Renditestreben im armen Osten der Stadt.

Ralf Seidel erklärt, was ihm und seiner Frau beim Umbau der Villa Luhns wichtig war

01:00 Min. Verfügbar bis 07.10.2026

Während der Umbauarbeiten bekam das Gebäude eine neue Dämmung und eine Wärmepumpe, die Toiletten werden mit Regenwasser betrieben, eine Photovoltaik-Anlage sorgt für Strom und eine kontrollierte Lüftungsanlage regelt den Kälte-Wärme-Austausch möglichst energieeffizient. Um die Umwelt zu schonen, ließen sie die alte Bausubstanz restaurieren, statt abzureißen und neu zu bauen. Im Außenbereich ist der Betonboden verschwunden. Stattdessen entsteht ein Gemeinschaftsgarten mit insektenfreundlichen Pflanzen, einer Zisterne für die Bewässerung und ein Spielplatz.

Nach dem Verkauf eines Teils seiner Firma hatte IT-Unternehmer Ralf Seidel lange über eine sinnvolle Verwendung des Geldes nachgedacht. "Wenn man es spendet, dann ist es weg und man hat nichts mehr damit zu tun", sagt der 56-Jährige. Verschiedene Investitionsmöglichkeiten, Projekte und Objekte haben er und seine Frau daraufhin geprüft. Sie wollten etwas erhalten, aber darüber hinaus die Entstehung von Neuem verfolgen können. Dann stießen sie auf das Verwaltungsgebäude der ehemaligen Seifenfabrik Luhns. Und sie entschieden: In Wuppertal, der Stadt der Treppen, müsste es hier mal wieder aufwärts gehen.

Klimaschutz und Miteinander

Dass nach dem Kauf 2019 bis zum Einzug der ersten Mieter vier Jahre vergehen würden, ahnen beide damals noch nicht. "Lange Genehmigungszeiten, Corona, Probleme mit Handwerkern, immer neue Überarbeitungen im Bauantrag", erinnert sich Ralf Seidel: "Es war auch nervenzehrend."

Aber es hat sich gelohnt, und das gleich aus zwei Gründen. Zum einen übertrifft der Bau inzwischen viele Klimaschutz-Standards, zum anderen bringt er Menschen zusammen, die sonst wohl nie miteinander in Kontakt gekommen wären. "Es ziehen Menschen aus Bayreuth und Düsseldorf hier hin, genauso wie aus Nachbarstraßen, aus unterschiedlichsten Kulturen, Berufen und Altersklassen, mit und ohne Behinderung", sagt Sabine Tunnat-Seidel.

Zwei Frauen und ein Mann stehen an einem Tisch, auf dem Pläne liegen

Das Ehepaar Ralf und Sabine Seidel mit der Architektin Susann Köhler

In den 800 Quadratmeter, die sich auf acht Wohnungen verteilen, leben die Schauspielerin über dem Pizzabäcker, nebenan eine WG für Menschen mit Autismus. Sechs der acht Wohnungen sind Sozialwohnungen.

Die Mieter sollen dabei über ihr Zuhause mitentscheiden. Noch vor dem Einzug hatten die Seidels sie zu einem Workshop eingeladen, bei dem alle ihre Ideen zum geplanten Naturgarten einbringen konnten. Seit zwei Monaten leben die Menschen in ihren Wohnungen und schwärmen bereits vom familiären Miteinander. Die Eheleute Noori, die mit zwei schwerstbehinderten erwachsenen Töchtern hier endlich eine barrierefreie Wohnung gefunden haben, blühen regelrecht auf: "Wir haben ein gutes Leben!"

Nilofar und Abaidullah Noori erzählen, warum es ihnen so viel bedeutet, hier wohnen zu können

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Während Oberbürgermeister, Kommunalpolitiker und Quartiersentwickler begeistert das Gelände besuchen, hofft Sabine Tunnat-Seidel auf Nachahmer. Sie spricht ihnen Mut zu: "Erhalten statt abreißen, dafür gibt es auch viele Fördermöglichkeiten."

Über das Thema haben wir am 05.08.2024 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Wuppertal, 19.30 Uhr.