Appell im Römerlager in der Eifel

00:17 Min. Verfügbar bis 17.09.2026

Auf den Spuren der Römer in Nettersheim

Städteregion Aachen | Heimatliebe

Stand: 17.09.2024, 07:29 Uhr

In Nettersheim in der Eifel entdeckten Archäologen vor 15 Jahren das römische Dorf Marcomagus. Wenn die Gruppe von Tobias Koehn hier ihr Lager aufschlägt, wird die Vergangenheit wieder lebendig. Über eine außergewöhnliche Faszination und ein ungewöhnliches Hobby.

Von Heiko Jaeckel

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Reise in die Zeit um das Jahr 316

Eine Stimme schallt durch das römische Militärlager. Allerdings nicht im Befehlston, sondern wie die eines Lehrers. Sie gehört Tristan Koehn. Der 37-Jährige aus Unna trägt die Rüstung eines Centenarius, eines römischen Offiziers. Neben ihm haben sich weitere römische Soldaten aufgereiht. "Das, was ich jetzt anhabe, wiegt 13 Kilo", erklärt Koehn einer Besuchergruppe, "dazu kommt der Helm mit sieben Kilo und das Kettenhemd mit 17 Kilo." Auf das Kettenhemd verzichtet er an diesem Tag. Zu heiß ist die Sonne, zu schwer das Hemd.

Fast 500 Jahre haben die Römer das Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens besiedelt und geprägt. Von Kleve bis Bad Münstereifel gibt es historische Funde zu ihrem Wirken. Der Niedergermanische Limes, ein Grenzwall, der sich bis in die Niederlande und nach Rheinland-Pfalz zieht und sich rund 230 Kilometer durch NRW schlängelt, gehört heute sogar zum UNESCO-Welterbe. Tristan Koehn möchte diese Zeit erlebbar machen. Und er ist nicht allein.

Koehn ist Mitglied der "Comitatenses Truncensimani": Eine Gruppe aus 15 Personen aus NRW und Baden-Württemberg, die sich die Römer im Rheinland zum Vorbild nimmt und nachstellt. Das Hobby heißt Reenactment. Einmal im Monat gehen Koehn und seine Gruppe auf Zeitreise - treten ausschließlich in Museen und bei Veranstaltungen auf, bei denen es um die echte Geschichte geht. Alles soll möglichst authentisch sein. Hier in Nettersheim in der Eifel fällt ihnen das leicht. Denn hier gab es vor 1700 Jahren tatsächlich ein römisches Militärlager, genannt Kastell.

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Die Entdeckung von Marcomagus

Vor zehn Jahren waren Koehn und seine Gruppe zum ersten Mal hier und hatten ihr Lager etwa 50 Meter vom Kastell entfernt aufgeschlagen. "Ich erinnere mich noch genau, wie überwältigt ich damals von der Landschaft war", erzählt Koehn. Die etwa brusthohen, rekonstruierten Kastell-Mauern liegen im Urfttal bei Nettersheim. Mitten in der Natur an einem Wanderweg, unweit des Flusses, dem das Tal seinen Namen verdankt. Auf einem Hügel auf der anderen Seite der Urft wurden schon 1909 die Reste eines Tempelbezirks aus dem zweiten Jahrhundert entdeckt: die Görresburg.

Einen Wegweiser, der auf einer Wiese steht. Im Hintergrund ein Zeltlager.

Das Römerdorf liegt an der Strecke des Eifelsteigs

Genau 100 Jahre dauerte es, bis Archäologen weitere Mauerreste am Hang des Flusses und im Tal fanden. Es waren Teile des historischen Ortes Marcomagus: Ein Dorf an der Römerstraße von Trier nach Köln, das in historischen Karten eingezeichnet war. Bis zu seiner Entdeckung aber gingen Forscher davon aus, es läge unter dem einige Kilometer entfernten, aber ähnlich klingenden Ort Marmagen.

Rekonstruierte Grundrisse eines römischen Hauses, darum eine Wiese

Die rekonstruierten Grundrisse eines Römerhauses

Seit 2014 ist das Grabungsgelände von Marcomagus als archäologischer Landschaftspark für Besucher zugänglich. Regelmäßig finden hier Veranstaltungen rund um die Römer statt. Doch schon bald könnte es weitere Grabungen geben. Denn bei neuen Bodenuntersuchungen mit moderner Technik wurden in tieferen Erdschichten weitere Mauerreste entdeckt. Möglicherweise Spuren aus der Zeit, als die Römer hier ankamen?

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Eine geschichtsbegeisterte Familie

In diesem Sommer durfte Koehns Gruppe ihr Zeltlager zum ersten Mal direkt im Kastell aufschlagen. Näher dran an der Vergangenheit geht es kaum. Immer wieder lässt der 37-Jährige seinen Blick über das Gelände schweifen. Als Kind war er erst von Rittern, dann von den Römern begeistert. Dass er das auch noch als Erwachsener ist und dermaßen intensiv, liegt in der Familie. "Mein Bruder ist Historiker und meine Eltern stehen da drüben", sagt er und zeigt auf eines der Zelte, vor dem ein älteres, römisch gekleidetes Paar steht.

Eine Frau in einem dunklen Umhang zeigt einer Gruppe Holzlöffel

Evelin Koehn erklärt römisches Spielzeug und Löffel

"Vor 13 Jahren bin ich zum ersten Mal mit ihnen zu einem Römerlager mitgefahren, und seitdem lässt es mich nicht mehr los." Er selbst interessiert sich vor allem für die militärische Geschichte und die Waffen. Wenn er nicht hunderte Jahre in die Vergangenheit reist, arbeitet er als Einsatztrainer einer Sonderbehörde, die für Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern und Straftätern zuständig ist. 

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Hobby-Römer und Wissenschaftler - passt das?

Das Kastell in Nettersheim diente als eine Art Zollstation an der Römerstraße. Folgt man ihr den Hügel hinauf, sieht man heute die rekonstruierten Grundrisse der sogenannten Streifenhäuser. Dort lebten die Dorfbewohner. Im Tal fanden die Archäologen auch Reste von Öfen für die Eisenerzgewinnung.

Entdecker dieses Ortes waren Archäologen der Universität Köln unter Leitung von Salvatore Ortisi. Der 58-jährige Archäologe aus Bayern ist ein Spezialist für römische Geschichte in ganz Deutschland. "Aber für mich ist das hier der spannendste Grabungsplatz", sagt er.

Salvatore Ortisi erzählt, warum Marcomagus so besonders ist

00:40 Min. Verfügbar bis 17.09.2026

Anders als manche seiner Kollegen hat er keine pauschalen Vorbehalte gegenüber Gruppen wie der von Koehn. Der Hobby-Römer kennt das auch anders. "Einige halten das, was wir machen, für Klamauk", erzählt er, "aber es gibt auch solche, die sich von Hobbyisten Fundstücke wie Waffen oder Gefäße nachbauen lassen. Die testen dann, ob sie wirklich dem Zweck gedient haben können, den die Archäologen vermuten." Experimentelle Archäologie nennt sich das. Koehn glaubt: "Wenn Historiker und Archäologen noch mehr mit unserer Szene zusammenarbeiten würden, dann könnte man wissenschaftlich schon viel weiter sein."

Originalgetreue Kleidung und Waffen

Zurück in Marcomagus: Inzwischen sind weitere Besucher im Lager eingetroffen. Sie wundern sich, dass die Soldaten gar nicht so aussehen, wie man sie aus Kinofilmen kennt - und erst recht nicht wie bei Asterix. "Die Truppen, die hier Dienst taten, kamen von überall her und hatten deshalb keine einheitliche Kleidung", erklärt ihnen Koehn, "oft bestanden sie sogar aus Einheimischen." Auch für das auf Laien eher untypisch wirkende Schuhwerk hat er eine Erklärung.

Über die Schuhe der Römer kann Tristan Koehn einiges erzählen

00:30 Min. Verfügbar bis 17.09.2026

Alles, was die Mitglieder der "Comitatenses Truncensimani" tragen, ist den Originalen aus der Zeit um 370 nachempfunden, der römischen Spätantike. Alles selbst hergestellt. "Wir haben sogar zwei Leute in der Gruppe, die schmieden können, einer spezialisiert auf Schwerter, einer auf Messer", erzählt Koehn. Aber was ist, wenn Forscher wieder mal auf neue Erkenntnisse stoßen? "Tja, wenn man das Hobby vernünftig macht, dann muss man eben ständig umdenken, umlernen und die eigene Ausrüstung umbauen."

Die Geschichte der Römer begeistert Koehn noch immer, genauso wie damals als Kind. Geschichte erlebbar, greifbar machen, das ist sein Ziel. "Aber würde ich in der Zeit auch leben wollen? Nein! Denn auf Sachen wie Internet, Krankenversicherung, Rente und eine richtige Badewanne könnte ich nicht verzichten."