Reine: Ein Dorf, zwei Bundesländer
00:20 Min.. Verfügbar bis 31.01.2027.
Reine: Das wohl verrückteste Dorf Westfalens
Stand: 31.01.2025, 16:09 Uhr
Genau durch die Mitte des winzigen Dorfs Reine verläuft die Landesgrenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Die circa einhundert Einwohner haben zwei Postleitzahlen, zwei Postboten und zwei Bürgermeister. Willkommen im absurdesten Dorf des Bundeslandes NRW.
Von Luca Peters
Wenn sich Maik Frevert einen Kaffee machen möchte, muss er dafür das Bundesland wechseln. Die Küche des vierfachen Familienvaters ist Grenzgebiet. Die Anrichte mit dem Kaffeepulver steht in Niedersachsen, die Kaffeemaschine in Nordrhein-Westfalen.

Durch die Küche von Familie Frevert verläuft die Grenze
Frevert, 38 Jahre, ist in dem winzigen Dorf aufgewachsen, hat schon auf beiden Seiten der Grenze gelebt. Doch wo wohnt man eigentlich, wenn das eigene Haus mitten auf der Grenze steht? "Unsere Haustür liegt auf der niedersächsischen Seite. Und deswegen sind wir Niedersachsen", erzählt Frevert.
Doppelt verwaltet besser
In Reine zieht sich die Landesgrenze wie eine unsichtbare Markierung von Nord nach Süd einmal längs durch den Ort. Genau genommen gibt es das Dorf Reine sogar gleich zweimal. Die linke Hälfte des Ortes gehört zur lippischen Gemeinde Extertal und damit zu NRW, die rechte Hälfte zum Flecken Aerzen und damit zu Niedersachsen.
Um die knapp hundert Einwohner Reines kümmern sich deshalb zwei Müllabfuhren, die jeweils an unterschiedlichen Tagen kommen. Den einzigen Briefkasten im Ort leeren zwei Postboten, ein Niedersachse und sein westfälischer Kollege. Es gibt zwei zuständige Polizisten, zwei getrennte Stromkreise und selbstverständlich auch zwei Bürgermeister. Und keiner der beiden Herren will auf sein Stück Reine verzichten: "Für mich gibt es überhaupt keinen vernünftigen Grund, um das Dorf zusammenzulegen. Die Dorfgemeinschaft ist stark. Warum sollten wir so eine Besonderheit einfach wegnehmen?", sagt Frank Meier, Bürgermeister aus dem Extertal.
Warum Reine aus zwei Teilen besteht
Gelegentlich, und nur während der Schulzeiten, hält in Reine sogar mal ein Bus aus Niedersachsen. Der könnte durch den Ort hindurch und weiter ins lippische Westfalenland fahren. Stattdessen macht er auf der Grenze kehrt und setzt zurück in die niedersächsische Heimat.
Der Bus fährt in Reine nur zur Landesgrenze, dann dreht er um
00:13 Min.. Verfügbar bis 31.01.2027.
Grenzenlos ist in Reine eben nur der Blick ins Nachbarbundesland. Und das hat Tradition. Der Dorflegende nach könnte die Reiner Grenze sogar eine der ältesten in ganz Deutschland sein. Angeblich soll im Jahr 1250 ein Pilger an dem Hügel vorbeigekommen sein, wo heute das Dorf Reine steht. Er fand eine Kirche genau auf der Grenze zwischen den Machtbereichen der Grafen von Sternberg (heutiges NRW) und von Everstein (heutiges Niedersachsen). Das war vor fast 800 Jahren.
Seitdem war das Verhältnis zwischen den Reinern auf beiden Seiten der Grenze nicht immer das Beste. Weil sich die Dorfbewohner im Mittelalter nicht auf einen einzigen Gottesdienst einigen konnten, standen in der Kirche gleich zwei Altäre. Fortan kehrten sich die Lipper und die Niedersachsen beim Gebet die Rücken zu. Das letzte Mal, dass Reiner auf Reiner schossen, ist auch noch nicht so lange her. Als Preußen 1866 gegen die Österreicher in den Krieg zog, zogen die Reiner mit - allerdings auf unterschiedlichen Seiten. Ein Zwist, der das Dorf noch lange beschäftigt haben soll.
Den letzten Weg, geht man gemeinsam
Zurück im Grenzhaus der Freverts. Familienvater Maik versenkt seine Kaffeetasse in der Spülmaschine. Das Wasser zum Abwaschen kommt für den Niedersachsen aus Westfalen - wie für alle Reiner im Ort. "Ehrlich gesagt, die Grenze ist mir eigentlich ziemlich egal. Die ist einfach da", meint Frevert.

Die Grenze kann dem Zusammenhalt der Einwohner nichts anhaben
Und weil die Grenze in Reine nun mal da ist, und die Dorfbewohner heutzutage daran gar nicht mal mehr so schrecklich interessiert sind, ist auch der letzte Weg für alle Reiner derselbe. Denn Friedhof gibt es in Reine nur einen einzigen. Pech für die Niedersachsen: Der steht auf der anderen Seite der Grenze in Westfalen.
Über dieses Thema haben wir auch am 09.01.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ostwestfalen, 19.30 Uhr.