Rang Haider: Der Jackson Pollock von Bochum?
Stand: 09.07.2024, 08:39 Uhr
Rang Haider liebt es, zu drippen. Also Farbe auf die Leinwand zu schleudern. Was am Anfang nach viel Chaos aussieht, formt sich in stundenlanger Arbeit zu beeindruckenden, knallbunten Portraits.
Von Ann-Kristin Pott
Vom Spritzer zum Kunstwerk
Die Leinwand liegt auf dem Boden, bemalt mit unterschiedlichen Grüntönen. Davor hockt ein junger Mann mit kurzen, schwarzen Haaren und silbernem Piercing im Ohr. Die schwarze Kleidung ist mit Farbklecksen übersät. In seiner rechten Hand hält er einen Spachtel, den er in lila Farbe tunkt. Dann schleudert er die Farbe mit einer dynamischen Armbewegung auf die Leinwand. Der lila Farbklecks klatscht auf die grüne Fläche. Der 30-Jährige geht einen Schritt zurück und gibt den Spachtel einer Frau mit blondem Zopf. Rang Haider heißt der junge Künstler, der ihr erklärt, dass diese Technik "Drippen" heißt.
Für diese "Drip-Technik" war auch Jackson Pollock bekannt. Er gilt als einer der berühmtesten Künstler des abstrakten Expressionismus. Sein "Action Painting" hat ihn in den 1950er Jahren international berühmt gemacht. Pollock legte seine Leinwände auf den Boden und tropfte oder schleuderte Farbe mit Pinseln oder aus Bechern darauf. Es entstanden Gemälde, die sich aus abstrakten, unkontrollierten Klecksen zusammensetzen. Die Technik hat Rang Haider inspiriert.
So funktioniert die Drip-Technik
01:06 Min.. Verfügbar bis 09.07.2026.
Kunst schafft Kultur
Rang Haider ist im Irak geboren. Bis er drei Jahre alt ist, lebt er mit seiner Familie in Sulaimaniyya. Dann wird es wegen des Kriegs zu gefährlich. Die Familie flüchtet nach Bochum zu Verwandten. Seitdem lebt Haider in der Ruhrgebietsstadt. Er besucht regelmäßig die Familie im Irak. Nach dem Abitur überlegt er zurückzugehen, in die Politik: "Ich habe die Missstände dort gesehen und wollte das ändern. Bis ich verstanden habe, als Einzelner kannst du nichts ändern." Stattdessen beginnt Haider zu malen und Kommunikationsdesign in Düsseldorf zu studieren. Die meiste Zeit arbeitet er als freischaffender Künstler, denn "auch Kunst kann etwas bewirken. Kunst schafft Kultur."
Techniken und Farblehre hat er sich selbst beigebracht. In der bildenden Kunst kann sich Rang Haider am besten ausdrücken. Bevor er anfängt zu malen, weiß er oft nicht, was am Ende dabei herauskommt. Das ergibt sich erst im Malprozess. Das vermittelt Haider auch in den Workshops. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen "einfach machen". Gemalt wird in seinem eigenen Stil und im Stil der Künstler, die ihn geprägt haben. Neben Jackson Pollock sind das auch Claude Monet, Pablo Picasso, Jean-Michel Basquiat und Gerhard Richter.
"Nichts ist aufregender als weiße Leinwände"
00:23 Min.. Verfügbar bis 09.07.2026.
Inspiration auf Reisen und im Ruhrgebiet
Neben bekannten Künstlern findet Haider Inspiration auf Reisen und im Ruhrgebiet - die Struktur von rostigem Metall, die Zechen und Industrie faszinieren ihn. Genau wie die Bochumer Ruhr-Universität. Auf den ersten Blick sieht die Uni trist und grau aus, überall Betonplatten. Aber Haider sieht mehr als das, sieht Lichtspiele und verschiedene Farben. Vor allem die Wände voller Party-Plakate inspirieren ihn. Teilweise sind die Plakate eingerissen oder wurden überklebt. Dadurch sind mehrere Schichten entstanden. Haider sieht darin Collagen.
Das Prinzip des Abreißens, Überlagerns und Verzerrens hat er auf seine Malerei übertragen. Er fügt Farbe auf die Leinwand hinzu und verzerrt sie mit dem Spachtel. Die Technik erinnert an Gerhard Richters Werke. Der Künstler hat bis zu 30 Farbschichten mit dem Spachtel auf die Leinwand gebracht und teilweise wieder abgekratzt. Auch Rang Haider arbeitet gern mit dem Spachtel: "Je nachdem, wie du den Spachtel hältst, ob du fest oder leicht drückst, es entstehen andere Strukturen. Es kommt auf deine Bewegung an und das ist interessant."
Was macht die Kunst von Rang Haider aus?
00:27 Min.. Verfügbar bis 09.07.2026.
Ordnung im Chaos finden
Die Bewegung spielt für Rang Haiders Malerei eine große Rolle. Beim Malen kommt sein ganzer Körper zum Einsatz. Mal arbeitet er in der Hocke, mal im Stehen. Dann geht er wieder in die Knie. Mit dem anderen Fuß stößt er sich, wie beim Sprinten, ab. Haider dreht seinen Oberkörper und schleudert die Acrylfarbe voller Energie, mit einer schnellen Armbewegung aus einem Plastikbecher direkt auf die Leinwand. Danach zieht er mit einem Rakel, also einem großen Spachtel, die Farbkleckse glatt.
"Auf den ersten Blick erzeuge ich großes Chaos. Aber in diesem Chaos fühle ich mich wohl", sagt der 30-Jährige. Während des Malens läuft laut Musik. Jazz, Punk-Rock, Deep House. Je dynamischer die Musik, desto dynamischer sind die Bewegungen, mit denen Haider die Farbe auf die Leinwand klatscht.
Meditativ wird es, wenn Rang Haider die Portraits in die Farbklecks-Flächen einarbeitet. Die Haut der Gesichter besteht aus bunten Farben. Haider arbeitet gerade dünne, weiße Pinselstriche in die roten Lippen einer Frau ein, damit sie noch realistischer wirken. Er verwischt das Weiß mit den Fingern. Die Augen der Frau leuchten türkis-grün, ihre Haut besteht aus pinken Farbklecksen. "Wenn ich Portraits male, male ich sehr fein und ruhig. Wenn ich abstrakt male, bin ich total wild. Ich brauche diese Abwechslung in der Malerei."
So entstehen Details auf Rang Haiders Bildern
00:50 Min.. Verfügbar bis 09.07.2026.
Vom großen Traum der weiten Welt
Ausschließlich von seiner Kunst leben kann Rang Haider noch nicht. Jedenfalls hat er kein regelmäßiges Einkommen und studiert nebenbei. Aber der 30-Jährige bekommt viele Anfragen über Instagram. Da postet er Videos und Bilder von seiner Kunst. Auch das Bochumer Projekt "Tapetenwechsel" hat ihm geholfen. Dort konnte Rang Haider ein leerstehendes Ladenlokal als Atelier nutzen und im vergangenen Jahr dort seine Bilder ausstellen und Malkurse geben. Aktuell stellt Rang Haider zehn seiner Gemälde in den Schaufenstern eines bekannten Bochumer Modehauses aus.
Rang Haiders großer Traum ist, international auszustellen
Wie seine Zukunft aussieht? Mal sehen, sagt Haider: "Ich plane mein Leben jetzt nicht so krass. Das geschieht alles sehr spontan." So spontan wie die Entstehung seiner Bilder. Aber einen Traum hat der 30-Jährige doch: "Weltweit auszustellen. Zum Beispiel im Centre Pompidou in Paris oder Guggenheim-Museum in New York. Und dort den Stil, den ich mir erarbeitet habe, auszustellen und weitere bedeutende Werke zu schaffen."