Fotograf Andreas Heinicke zählt runter: "Drei, Zwei, Eins." Luft anhalten. Keine Regung mehr. Für sechs bis acht Sekunden. Was hier passiert, hat so rein gar nichts mit unserem heutigen Verständnis von Fotografie zu tun. Denn Heinicke benutzt für seine Porträts keine moderne Digitalkamera mit Serienbildfunktion sondern eine alte Lochkamera. Für ein Bild hat er genau einen Versuch.
Es sind Bilder wie aus einer anderen Zeit. Schwarz-weiß mit einem ausgeprägten Sepia-Ton. Die Fotografien haben fast etwas Mystisches. Der Fokus gestochen scharf, die Ränder mit einer leichten Unschärfe belegt. Dieser Effekt kommt vom Objektiv aus dem Jahr 1928, erzählt Heinicke nicht ohne Stolz. "Das Besondere daran ist, da sind fünf Glaslinsen drin, und eine davon lässt sich über einen Ring separat verstellen. Und die bringt eine Weichzeichnung in das Bild. Das kann man so mit normalen Fotos gar nicht machen."
Das besondere Foto
Sein heutiges Motiv ist Nadine Viermann. Sie ist hier ins Mindener Atelier gekommen, um ein Porträtfoto von sich machen zu lassen. "Normale Fotos hat man schnell. Handy raus und klick," sagt Viermann. Bei Heinicke erhofft sie sich ein Porträtbild, das abseits vom Mainstream ist. "Ich kannte die Art der Fotografie zwar vorher nicht, aber es hat mich sehr angesprochen."
Und Andreas Heinicke weiß, was er tut. Seit rund vier Jahren widmet er sich nun schon der Kollodium-Nassplattenfotografie - wie das Verfahren mit der Lochkamera eigentlich heißt.
Fotografieren als Handwerk
Um den Bildausschnitt festzulegen, bewegt Heinicke die schwere Kamera immer wieder vor und zurück, bis Nadine bildfüllend in Szene gesetzt ist. Hilfsmittel, die das Fotografieren erleichtern könnten, gibt es hier nicht. "Mein Zoom ist ganz mechanisch. Ich schiebe die Kamera nach vorne und nach hinten. Das ist mein Zoom."
Für die richtige Schärfe im Bild verschwindet Heinicke unter einem großen schwarzen Tuch, das an der Rückseite der Kamera angebracht ist. "Das ist ziemlich tricky, das exakt einzustellen." Die Lochkamera hat nämlich keinen Sucher, wie wir ihn von modernen Kameras kennen. Das Motiv wird auf eine Mattscheibe geworfen, und die kann Heinicke nur erkennen, wenn es um ihn herum möglichst dunkel ist.
Bloß nicht zu viel Licht: Andreas Heinicke muss für die Fotos unter einen dunklen Vorhang abtauchen
Lange Vorbereitung für einen kurzen Augenblick
Nach einigem Hin und Her ist es endlich soweit. Heinicke legt die eigentliche Fotoplatte in die Kamera, die jetzt belichtet werden soll. Die mit flüssigen Chemikalien benetzte Glasscheibe duldet keinen langen Aufschub. Nach dem Einlegen hat Heinicke nur sehr wenig Zeit, um das eigentliche Foto zu schießen. "Ich habe maximal eine Minute Zeit, bevor die Fotoplatte anfängt zu trocknen. Und wenn das jetzt zu lange dauert, ist alles dahin."
Andreas Heinicke bei der Arbeit
00:38 Min.. Verfügbar bis 18.04.2025.
Er nimmt den Auslöser in die Hand. Jetzt heißt es für Nadine absolut still sitzen. Keine Regung mehr. Sogar die Luft muss Nadine anhalten. Für mindestens sechs Sekunden. So lange dauert es nämlich bis die Fotoplatte belichtet ist. Würde Nadine sich jetzt minimal bewegen oder gar ausatmen, das Bild wäre verwackelt. Die ganze Arbeit umsonst. Doch alles klappt. Andreas Heinicke kann aufatmen und Nadine endlich ausatmen. Viel Vorbereitungszeit für einen kurzen Fotomoment.
Abkehr von der Inflation der Bilder
Für Heinicke ist aber genau diese Vorbereitung, der relativ lange Weg zu einer Fotografie, das reizvolle an seiner Arbeit. Früher, so erzählt er uns, war er ein ganz normaler Fotograf. "Ich habe über Jahrzehnte fotografiert wie jeder andere Fotograf auch." Mit den immer besser werdenden Handykameras kam auch die Inflation der Bilder, so Heinicke. "Heute fahren die Leute nach Mallorca und kommen mit 1.700 Bildern auf einem Stick zurück, und die Bilder guckt man sich später nicht mal mehr an. Das hat mich so traurig gemacht, dass ich mich komplett von der Fotografie verabschiedet hatte."
Heinicke gab seine ganzen Fotoapparate und Objektive ab und hatte eigentlich überhaupt keine Lust mehr, jemals wieder zu fotografieren. Durch einen Zufall wurde er auf die Nassplattenfotografie aufmerksam. "Und da habe ich gesagt, wow, was man da alles beeinflussen kann. Das ist meine Welt. Das will ich machen." Er kaufte sich seine erste Holzkamera für Nassplattenfotografie und begann wieder zu fotografieren.
Ein Foto für die Ewigkeit
Der Erfolg stellt sich bei dieser handwerklichen Fotografie nur langsam ein. Auch für einen ausgebildeten Fotografen. "Bis man wirklich sagen kann, dass gute Bilder dabei rauskommen, da musst du schon deine ersten tausend Platten belichtet haben."
Zum Glück hat es bei dem heutigen Porträtfoto von Nadine auf Anhieb geklappt. Heinicke nimmt Nadine in seine Dunkelkammer mit. Die Glasplatte taucht er immer wieder in verschiedene Flüssigkeiten. Spült sie ab, taucht sie wieder ein. Und ganz langsam, wird Nadines Foto sichtbar. "Faszinierend. Ich bin gerade sprachlos, was hier passiert", sagt Nadine, während sie Heinicke über die Schulter schaut.
Das fertige Porträt-Bild von Nadine
00:32 Min.. Verfügbar bis 18.04.2025.
Nadine ist vom Endergebnis begeistert. Gute drei Stunden hat der gesamte Prozess vom eigentlichen Fotografieren bis zur Entwicklung gedauert. Eine ganz besondere Fotografie, die nicht irgendwo in einem digitalen Ordner verschwindet und in Vergessenheit gerät. Die Fotos von Andreas Heinicke können nicht knicken, verblassen und sind fast für die Ewigkeit. Wenn die Glasplatte nicht runterfällt.