Thomas Baumgärtel: Der Spraydosen-Rebell mit der Banane
Stand: 09.07.2023, 18:21 Uhr
In den vergangenen 40 Jahren hat sich Thomas Baumgärtel als "Bananensprayer" einen Namen gemacht. Wie hat er es geschafft, durch eine Banane zum Kölner Kult-Künstler zu werden?
Von Mirjam Ratmann
Thomas Baumgärtel: 600 Mark Strafe für eine Weltkarriere
Sie sind fast am Auto, da hören sie die Polizeisirenen. Dann rauscht die Kölner Polizei über die Hohenzollernbrücke an Thomas Baumgärtel und seinem besten Freund vorbei. "Lass uns mal gucken", sagt der Freund zu Baumgärtel. Der hat ein schlechtes Gefühl, doch sein Freund lässt nicht locker. Beide drehen um, gehen zurück zum Museum Ludwig. Dorthin, wo sie gerade hergekommen sind.
Die Polizei ist in dieser Nacht zum Museum gerufen worden, direkt neben den Kölner Dom. Unbekannte Personen würden am Eingang des Museums etwas installieren, habe jemand der Polizei gemeldet. Baumgärtel und sein Freund werden in der Nähe von der Polizei angehalten, auf das Auto geworfen und nach Waffen durchsucht.
Kurz darauf kommt per Funk die Entwarnung: keine Bombe, nur eine gesprayte gelbe Banane sei am Museum entdeckt worden. Baumgärtel hat Spraydose und Bananenschablone noch in der Hand.
Ungewöhnlicher Aufstieg: Eine Banane erobert die Kunstwelt
Wenn Baumgärtel von seiner ersten Spray-Nacht im Jahr 1986 erzählt, klingt es wie die Szene eines Krimis. Während der damals noch unbekannte Künstler, zu diesem Zeitpunkt Mitte 20, für die Aktion am Museum Ludwig 600 Mark Strafe zahlen musste, geben Galeristen und Privatpersonen heute weitaus mehr für seine Kunst aus.
Ob in der Kölner Innenstadt am Rudolfplatz oder dem Kölnischen Stadtmuseum, in Nippes oder im Agnesviertel - die Banane prägt das Stadtbild. In rund 4000 Kunstmuseen und Galerien weltweit, von New York bis Zürich, begrüßt die Banane Besuchende, wenn sie eine Galerie oder ein Museum betreten.
Warum eigentlich Bananen?
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Mit der Banane markiert Baumgärtel - seiner Ansicht nach - gute Orte der bildenden Kunst. "Ich will auch auf Orte aufmerksam machen, die kaum Beachtung finden", sagt der 63-Jährige. Über 600 Ausstellungen hat er mittlerweile gemacht, im Jahr kommt er auf zehn bis zwanzig. Dass er heute mit Bananen sein Geld verdient, verdankt er dem Zufall - und Ordensschwestern.
Die Kreuzigung
Mit 23 macht Baumgärtel seinen Zivildienst in einem katholischen Krankenhaus, irgendwo am Niederrhein. Sein Vater wünscht sich, dass Baumgärtel Medizin studiert. Jeden Morgen schaut Zivi Baumgärtel in den Zimmern nach den Patienten. In allen Zimmern hängt ein Holzkreuz mit einem gekreuzigten Jesus aus Porzellan an der Wand.
Doch an diesem Morgen, Anfang der 80er Jahre, findet er den Jesus in einem Zimmer in Scherben auf dem Boden. Baumgärtels erster Impuls, die Scherben wegzufegen, hält nicht lange. Stattdessen befestigt er seine bereits geöffnete Frühstücksbanane an dem Kreuz. Die Ordensschwestern sind empört. Die Patientinnen euphorisch.
Für Baumgärtel ist es eine Offenbarung: "In diesem Moment habe ich entschieden, dass ich etwas machen will, das genauso eine Reaktion hervorruft. Und dass ich Kunst machen will." Die Banane am Kreuz hat er übrigens immer noch. Inzwischen ist von dem Gelb nicht mehr viel übrig.
Der Grund, warum Baumgärtel heute Kunst macht: Eine gekreuzigte Banane
Pendeln zwischen Psychologie, Paris und Streetart
Um seinen Vater zu besänftigen, studiert Baumgärtel nicht nur Kunst an den Kölner Werkschulen, sondern zusätzlich Psychologie an der Uni Köln. Schon während seines Studiums nennen ihn Studierende "Bananensprayer". Inspiration für seine Schablonen-Graffiti-Kunst holt er sich von Street-Art-Künstlern aus Paris. Sechs Jahre sprayt er nachts illegal seine Bananen an Hauswände.
Inzwischen ist er nicht mehr anonym unterwegs und wird ab und zu auf der Straße erkannt, gerade in Köln. Hier lebt er seit fast 40 Jahren. Als er in den 1980er-Jahren studierte, sei Köln die aufstrebende Kunst-Metropole in Deutschland gewesen. Und obwohl er nun Verbindungen zu Galerien weltweit hat - Köln ist seine Heimat.
Kunst? Hauptsache politisch
Seit sechs Jahren ist er mit seinem Atelier in Köln-Dellbrück zu Hause, auf einem Gewerbegebiet direkt am S-Bahnhof. Auf 600 Quadratmetern lagert er seine Leinwände in Luftpolsterfolie eingeschlagen in meterhohen Metallregalen.
Blick von oben auf Thomas Baumgärtels Atelier
Die Luft ist stickig, darunter mischt sich der beißende Geruch von Aceton aus den Spraydosen. Auf einem Bild an der Wand hält die Kölner Komikerin Carolin Kebekus eine Banane in der Hand. Auch der Kölner Dom ist mehrfach Basis seiner Bilder. Verkehrsschilder, Kleidung, Baumaterial, Kabeltrommeln, Reisekoffer: Baumgärtel hat die Banane überall untergebracht.
"Wenn jemand politische Kunst macht, dann ich"
Den Namen "Bananensprayer" trägt er mittlerweile mit Stolz. Auf seinem schwarzen Jackett ist der Titel in weißer Schrift darauf gesprayt. Medien bezeichnen Baumgärtel gerne als "Kunst-Rebell": Er sprayte in Lützerath, um gegen Braunkohle zu protestieren, reiste erst kürzlich eine Woche durch die Ukraine, um Orte des Krieges zu markieren.
Bananensprayer Thomas Baumgärtel bei der Arbeit
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An einer Hausfassade auf der Aachener Straße in Köln hat er ein 15 Meter hohes Plakat mit einer Karikatur von Putin und der Aufschrift "put in prison" angebracht. "Wenn jemand politische Kunst macht, dann ich", sagt Baumgärtel. Er könne nicht einfach schöne Bilder machen, wenn so etwas wie der Krieg in der Ukraine passiere. Politische Ereignisse prägen seine Kunst - obwohl er auf viele davon verzichten könne.
Das XXL-Banner von Wladimir Putin hängt an der Aachener Straße.
Da ist der Putschversuch 2016 in der Türkei. Als Solidaritätsbekundung zu Jan Böhmermanns "Schmähgedicht" über Erdoğan sprayte Baumgärtel ein Bild mit Erdoğan, dem eine Banane aus dem Hintern ragt. "Ich wollte etwas machen, das wirklich unter die Gürtellinie geht", sagt er. Erdoğan-Anhänger waren erzürnt, schickten ihm Morddrohungen. Der Staatsschutz schaltete sich ein.
Provokation gehört zum Konzept
Ein Blatt vor den Mund nehmen will Baumgärtel nicht. Dass er provoziert, motiviert ihn. Als er vor einigen Jahren auf einen Galeristen traf, bei dem er einst eine Banane auf die Fassade gesprayt hatte, sei dieser ausgerastet und hätte ihm "Du bist dieses Arschloch" entgegen gebrüllt.
"Das war das beste Kompliment, das ich je bekommen habe", sagt Baumgärtel.