Pfarrer Hans Mörtter steht vor einem Kreuz und lächelt leicht in die Kamera

Streitbar, kultig, Kölsch – Hans Mörtter ist Pfarrer im Unruhestand

Köln | Heimatliebe

Stand: 21.02.2024, 13:16 Uhr

Pfarrer Mörtter ist ein Kölner Südstadt-Original und seit Kurzem in Ruhestand. Anstatt sich jedoch zurückzulehnen, wirbelt er weiter sein Veedel auf – zum Leid der einen, zur großen Freude der anderen.

Von Florian Vitello

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Der Pfarrer mit der Pfeife

Die Kellnerin des Filos trifft Hans Mörtter bei Minustemperaturen draußen an einem Stehtisch vor dem Eingang der Kneipe an. Er trägt eine leichte Wildlederjacke und stopft Tabak in seine Pfeife. Mörtter zu finden war nicht schwer: Seit 40 Jahren ist das der Stammplatz des inzwischen pensionierten evangelischen Pfarrers. Von hier aus hat er den Überblick. Vorüberziehende grüßen ihn, die Gäste des Filos grüßen ihn. Viele wollen kurz ein Wort über die Lutherkirche mit ihm austauschen, der er eigentlich gar nicht mehr vorsteht.

Hans Mörtter sitzt vor der Kneipe Filos und raucht Pfeife

Hans Mörtter steht an seinem Stammtisch und raucht Pfeife. Von hier hat er das ganze Veedel im Blick

Zu sehr ist der Name Mörtter mit der evangelischen Gemeinde Köln verwurzelt, die fünf Kirchen und 17.000 Mitglieder zählt. Mörtters Kirche gilt unter ihnen als "das emotionale und politische Herz der Südstadt – von hier pulsieren Nachbarschaftshilfe und Glaube, freie Gottesdienste und Hilfe für Menschen in Not, kulturelle Veranstaltungen, Konzerte, Lesungen, Märkte und Karneval", schreibt die Gemeinde. Dass die Lutherkirche ein solches Aushängeschild werden würde, war nicht von Anbeginn klar. "Als ich Ende der 80er hierherkam, besuchten nur noch 23 betagte Damen den Gottesdienst. Zum Glück neige ich als Rheinländer nicht zu Depressionen", erinnert Mörtter. Er machte sich sofort an die Arbeit.

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In unserem Veedel hält m'r zosamme

Um neue Gemeindemitglieder zu gewinnen, setzt er vor allem auf Bündnisse und Freundschaften. "Ich habe gesagt, wenn keiner hier aus den Kneipen in die Kirche kommt, dann komme ich halt in die Kneipe". Viel weiter als das Filos brauchte er jedoch nicht zu gehen. "Da waren sie schnell neugierig, haben viele Fragen gestellt. Und wenn du erklärst, warum du ein Sommerfest organisierst oder Spenden sammelst, dann hilft man sich gerne".

Wenn Mörtter heute fragt, antwortet das Veedel. Das hat nicht zuletzt mit seiner kompromisslosen Öffentlichkeitsarbeit zu tun. Ein großer Tabubruch. Mörtter ist furchtbar laut und steht gerne im Rampenlicht. Und das als Evangele im katholischen Rheinland. Einmal debattiert er bei Center TV mit einem verkleideten Hape Kerkeling darüber, ob Weihnachten abgeschafft gehört. Mörtter ist natürlich gegen das Abschaffen, immerhin organisiert er seit 17 Jahren mit Ehrenamtlichen die Weihnachtswunschaktion. Letztes Jahr allein wurden dank der Spenden der Südstadt-Gemeinde 484 Wünsche von 282 Kindern erfüllt, die sonst keine Geschenke erhalten hätten.

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Streiten für die gute Sache

Die Weihnachtswunschaktion ist nur eine von vielen verschiedenen Veranstaltungen, für die die Lutherkirche umgestaltet wird. Um das zu ermöglichen, ließ Mörtter in seiner Anfangszeit bereits die Bänke der Kirche zersägen. "Damit wir die rein- und raustransportieren können für Partys, Ausstellungen oder um Gespräche im Kreis zu führen". Der Pfarrer schafft in der Kirche Platz für Kunst - und die Kunst kommt zur Kirche. So ziert seit Anfang der 1990er eine Banane von Thomas Baumgärtel den Turm.

Pfarrer Mörtter erklärt, was es mit der Banane an der Kölner Lutherkirche auf sich hat

01:08 Min. Verfügbar bis 21.02.2026

Mit seinen Ideen eckte er damals häufiger an. Als er mit 31 Jahren als Pfarrer beginnt, ist seinen Vorgesetzten schnell klar, Mörtter geht unkonventionelle Wege und er scheut nicht vor Konfrontation, wo er sie für nötig hält.

Für die gute Sache streitet er sogar gerne. Ob mit dem Baudezernat der Stadt Köln über Wohnraum für Obdachlose oder mit politisch Verantwortlichen über Asylpolitik. Mörtter ist jemand, der gerne diskutiert und auch schwafelt, dann aber sofort anpackt. Gerade erst war er auf Samos. Mehr als 300 Geflüchtete sitzen perspektivlos und unter menschenunwürdigen Umständen auf der griechischen Insel fest.

Berührungsängste hatte er dabei nie. Schon früh machte er Jugendarbeit, im Studium unterstützte er Wohnungslose. Als junger Seelsorger kümmerte er sich dann um Verletzte des kolumbianischen Bürgerkriegs. "Wir müssen hinsehen bei dem, was auf der Welt passiert", sagt der ehemalige Pfarrer.

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Einsatz für die Ärmsten: Alle Menschen sind wertvoll

Mörtter macht weit mehr, als nur hinzusehen. Für die Geflüchteten sammelt er Geld, setzt sich in der Südstadt gegen Abschiebungen ein. Für die Wohnungslosen bietet er als Vorsitzender des Vringstreff e.V. Beratungen "in Wiener-Caféhaus-Atmosphäre" an und kämpft dafür, dass für sie das Fahren ohne Ticket keine harten Strafen nach sich zieht. Und er will Unterkünfte in Köln bauen, nach finnischem Vorbild.

Pfarrer Hans Mörtter im Flüchtlingscamp auf Samos

Mit der Kölner Organisation Refugees Foundation e.V. war Pfarrer Mörtter 2020 im Flüchtlingscamp auf Samos

Von Samos reiste er nach Helsinki, um das Prinzip "Housing First" aus erster Hand kennenzulernen. Dabei erhalten Menschen bedingungslos eine dauerhafte Unterkunft und anschließend unterstützende Dienstleistungen. "Ein Dach über dem Kopf gibt einem Menschen seine Würde zurück. Jemanden allein seinem Schicksal zu überlassen, ist nicht nur moralisch ekelhaft, es ist auch ökonomisch blamabel", sagt er.

Wenn es sein muss, kann Mörtter für soziale Themen auch finanzielle Argumente vorbringen. "Da, wo 'Housing First' Regierungspolitik wurde, ist Obdachlosigkeit verschwunden. Das spart Milliarden an Kosten für Krankenhäuser, Gefängnisse oder Notunterkünfte und bringt viele auch wieder in Arbeit". Der Aspekt der Nächstenliebe ist ihm aber wichtiger als Geld. Menschen zu zeigen, dass sie wertvoll sind, das ist Mörtters Herzensangelegenheit in allem, was er tut.

Dafür holt er auch die vielen prominenten Kölnerinnen und Kölner mit ins Boot, die in der Südstadt weitgehend ungestört ihr Leben leben. Ob nach einer durchzechten Nacht mit Jürgen Becker, einem Plausch mit Frank Schätzing oder einer Tasse Tee in Bettina Böttingers Wohnung 17 – wenn es einen wichtigen Anlass gibt, seien alle ganz rheinisch-unprätentiös zur Stelle. "In Köln ist egal, wer du Wichtiges bist. Besonders in der Südstadt sind wir wie eine Familie. Wir geben aufeinander acht und stehen immer zusammen".

Kontaktstelle für sein großes Netzwerk sind dabei "die kleinen Lädchen". Sein Vater war selbst Metzgermeister, die Mutter machte den Thekenverkauf. Er und seine zwei Geschwister halfen aus, daher weiß er um ihren Wert. "Wir kannten unsere Kunden persönlich, bei uns konnten die einsamen Damen was erzählen". Mörtter kauft bei "Obs un Jemös", lässt sich bei seinem Buchhändler "Matternus" beraten und die Schuhe bei "Kölner Urgewächs Frank" reparieren. "Aber ich brauche dann zwei Stunden für vielleicht vier Läden. Ständig bleibe ich irgendwo stehen, weil jemand schwaade will".

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Jecker Pfarrer mit Netzstrümpfen und Decke Trumm

Spätestens an Karneval kommt das Veedel dann andersrum bei Mörtter zusammen. Beim "Fastelovend Joddesdeens" in der Lutherkirche steht der Pfarrer in Netzstrümpfen statt Talar vor der Gemeinde. Neben ihm seine Frau als Funkenmariechen. Anschließend wird die Tanzfläche eröffnet und DJs legen auf. "Aber volle Dröhnung bis fünf Uhr morgens". Manche Gemeindemitglieder sind entsetzt. Mörtter stört das wenig, er feiert durch. Auch den Südstadt-Zug führt er an mit seinem Lieblingsinstrument, der Decke Trumm (große Trommel). "Ich liebe es, den Rhythmus vorzugeben und dabei die Erde zu verkörpern".

Zu sehen sind Pfarrer Mörter und seine Frau in bunter Verkleidung beim alljährlichen Karnevalsgottesdienst.

Pfarrer Hans Mörtter beim Karnevalsgottesdienst

Alljährlicher Höhepunkt der Session ist Mörtters inzwischen stadtweit bekannte Trauerrede auf den Nubbel. Anders als bei herkömmlichen Zeremonien an Veilchendienstag wird sein Nubbel nicht zum Sündenbock. "Das ist ein gefährliches Motiv, dessen sich schon die Nazis bedient haben". Stattdessen wird er wiedergeboren wie Phoenix aus der Asche. Mörtters Nubbel sei "einer von uns" und einer der aufbegehrt. Er schaue genau hin, was die Mächtigen machen.

Vielleicht wird Mörtter aber selbst bald zu den "Mächtigen" gehören: als neuer Oberbürgermeister Kölns. Ganz unterschiedliche Menschen haben ihn immer wieder aufgefordert, sich zu bewerben, sagt der ehemalige Pfarrer. Auch eine Findungskommission habe ihn angesprochen. Also fasste Mörtter den Entschluss, zu kandieren. Er sei zwar ein "alter Sack, aber bereit die Stadt zu rocken".

Über dieses Thema berichteten wir auch im WDR-Fernsehen am 18.09.2023: Lokalzeit aus Köln, 19.30 Uhr.