Holocaust-Überlebende Eva Weyl sitzt in einem Klassenzimmer. Sie trägt ein Headset. Im Hintergrund sieht man schwarz-weiß Aufnahmen von ihr als Kind.

Holocaust-Überlebende Eva Weyl: "Ihr seid meine Zweitzeugen"

Wesel | Heimatliebe

Stand: 12.04.2025, 08:56 Uhr

Die Holocaust-Überlebende Eva Weyl wird nicht müde, über die Schrecken des Naziterrors aufzuklären: Die Niederländerin tourt durch die Schulen in NRW und erzählt ihre Geschichte als verfolgte Jüdin. So macht die fast 90-Jährige auch die Schüler und Schülerinnen der Gesamtschule Hamminkeln zu ihren "Zweitzeugen".

Von Petra Vennebusch

Eva Weyl ist da, um Spuren zu hinterlassen. Sie zeigt auf den Wachturm des Konzentrationslagers auf der Wand hinter ihr. "Mehr als drei Jahre waren wir gefangen. In diesem Konzentrationslager in den Niederlanden. Fast drei Jahre standen wir wöchentlich auf der Todesliste. Denn alle Juden mussten in die Arbeits- und Vernichtungslager." Im Saal des Altenheims in Hamminkeln-Dingden ist es mucksmäuschenstill.

Zeitzeugin Eva Weyl spricht über ihre Zeit im Konzentrationslager

00:48 Min. Verfügbar bis 12.04.2027

Mit hochgestecktem grauem Haar, dunkelrotem Lippenstift und buntem Schal sitzt die 89-Jährige auf einem Podest, vor ihr 100 Oberstufenschüler der Gesamtschule Hamminkeln und Teilnehmer der Akademie Klausenhof. Schule und Akademie veranstalten unter dem Motto "Niemals ist jetzt" einen Projekttag, um die Erinnerungen an die Vergangenheit wachzuhalten.

Als Zweitzeuge die Erinnerungen weitergeben

Als "Zweitzeugen" sollen die jungen Menschen diese Erinnerungen an andere weitergeben. Das Projekt wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über das Programm "Gesellschaftlicher Zusammenhalt - Vor Ort. Vernetzt. Verbunden" gefördert.

Die 89-Jährige wirft im Saal des Altenheims das Bild ihrer Eltern und von sich als kleines Mädchen mit blonden Zöpfen an die Wand. 1935 waren ihre Eltern als deutsche Juden nach Arnheim emigriert. Dort kam Weyl zur Welt. Im Januar 1942 verändert sich diese Welt von einem auf den anderen Tag. Die Sechsjährige und ihre Familie werden in das niederländische Lager Westerbork gebracht. Ein Durchgangslager, von wo jüdische Menschen in andere Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht wurden.

Alltag mit Stacheldraht und Angst um das eigene Leben

"Wir kommen in die Baracke. Ein Lärm, ein Dreck, ein Geschrei, es ist eiskalt. Und ich seh das und ich sag’: Mutti, ich bleib' hier nicht! Es war der schlimmste Moment", erzählt die Holocaust-Überlebende.

Dreimal sollte die Familie Weyl in ein Vernichtungslager deportiert werden. Dreimal hatte sie großes Glück und bekam Aufschub. Von den mehr als 100.000 Menschen, die hier per Zug deportiert wurden, überleben nur 5000. Als das Lager am 12. April 1945 befreit wird, leben hier noch etwa 900 jüdische Häftlinge.

In der anschließenden Fragerunde meldet sich Oberstufenschülerin Hannah. "Hatten Sie Hoffnung, zu überleben?" Emotional schildert Weyl, wie normal das Leben für sie als Kind im Lager war, mit Schule, Krankenhaus und Theater. Aber: "Meine Eltern hatten Angst. Meine Eltern konnten aber nicht glauben, dass in den Vernichtungslagern im Osten des Landes getötet wurde. Es war in ihrer Vorstellung etwas Unmögliches, dass man das tat."

Eine Gruppe von Schülern und Schülerinnen hat sich vor einem Haus versammelt.

Durch die Erzählung von Eva Weyl werden die Schüler und Schülerinnen zu "Zweitzeugen"

Die Schüler haben viele Fragen und bekommen viele Antworten. Die 16-jährige Hannah Tümmers ist beeindruckt: "Sehr bewegend war der Moment, wo sie uns in die Lage versetzt hat, vor den Zügen zu stehen. Diese Angst zu erleben, die sie damals gefühlt hat. Sie hat meinen größten Respekt." 

Naziterror vor der eigenen Haustür

Gemeinsam besuchen die Schüler nach ihrem Vortrag mit Weyl das Humberghaus in Dingden. Hier hatte die einzige jüdische Familie des Dorfes gelebt. Auch sie wurde vertrieben, verfolgt und ermordet. Weyl ist sichtlich bewegt. "Es rührt mich sehr, dass so viele nach Westerbork gekommen sind, wo ich war. Dass eine Familie in diesem Dorf so fanatisch verfolgt wurde von den Nachbarn, das finde ich so furchtbar."

Warum Eva Weyl trotz des Traumas über ihre Erfahrungen spricht

00:40 Min. Verfügbar bis 12.04.2027

Auch die Schülerinnen und Schüler sind nachdenklich geworden. Fynn Terhorst schaut sich im Humberghaus alles genau an: die Metzgerei der Familie, der Laden mit dem alten Safe. "Man fährt hier so oft am Haus vorbei. Wenn man über die Menschen nachdenkt, die hier ermordet wurden, ist das ein bedrückendes Gefühl", sagt er. Für die Schüler ist heute ein sehr erkenntnisreicher und bewegender Tag. Für die 89-jährige Weyl ist es Antrieb, weiterzumachen. Allein in diesem Schuljahr hat sie 80 Vorträge geplant.

Über dieses Thema haben wir auch am 27.03.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Duisburg, 19.30 Uhr.