Dieser Mann baut Erftstadt nach der Flutkatastrophe wieder auf

Rhein-Erft-Kreis | Heimatliebe

Stand: 11.07.2024, 08:47 Uhr

Die weggespülte Kiesgrube, die vollgelaufene Bundesstraße: Erftstadt erlangte durch die Flutkatastrophe 2021 traurige Berühmtheit. Gerd Schiffer soll die Schäden des Hochwassers beseitigen. Zu Besuch beim Wiederaufbaumanager.

Von Julian Piepkorn

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Wie durch ein Wunder

Ein ganz normaler Beamter sei er bestimmt nicht, sagt Gerd Schiffer und schiebt hinterher: "Ich bin kein Schreibtischtäter." Viel zu außergewöhnlich ist sein Job: Er koordiniert im flutgeplagten Erftstadt den Wiederaufbau nach der Hochwasserkatastrophe. Wie weit er schon gekommen ist, will Schiffer an einem sonnigen Morgen zeigen. Er setzt sich in sein Auto, doch schnell kommen die Erinnerungen hoch. 

Im Sommer 2021 ließ heftiger Starkregen Flüsse und Bäche zu reißenden Strömen anschwellen. 49 Menschen verloren allein in Nordrhein-Westfalen ihr Leben. Ganze Ortschaften wurden von den Wassermassen verwüstet. Bis heute gilt es als Jahrhunderthochwasser. Das beschauliche Erftstadt, südwestlich von Köln, erlangte traurige Berühmtheit, nachdem Starkregen den Boden nahe einer Kiesgrube wegrutschen ließ. Gerd Schiffer soll für die Stadt nun die Wunden verarzten, welche die Flut vor fast drei Jahren aufriss.

Gerd Schiffer bei der Planung des Wiederaufbaus | Bildquelle: WDR / Julian Piepkorn

Straßen, Schulen, öffentliche Gebäude: Schiffer kümmert sich um alles, was der rund 50.000-Einwohner-Stadt gehört und was die Flut wegspülte. Er weiß, wofür es von der Bezirksregierung Geld gibt, wo Hilfe zu finden ist. Er sieht sich als Vermittler zwischen all den zerstörten Vereinen, Schulen, Kitas und der Bezirksregierung. 12,3 Milliarden Euro gibt es für den Wiederaufbau in NRW. Schiffer rechnet für seine Heimat mit mehr als 74 Millionen Euro. Eher mehr, denn die Preise steigen und noch immer sind nicht alle Schäden erfasst.

Schiffer lenkt seinen Wagen durch die Straßen von Erftstadt, kennt zu vielen Häusern eine Geschichte. Auf den ersten Blick sind heute keine Spuren der Katastrophe mehr zu sehen. Plötzlich zeigt der 54-Jährige aus dem Fenster, auf die frisch sanierte Bundesstraße. "Da unten sind die Autos versunken." Weggespült wie Papierschiffchen. Die Bilder gingen breit durch die Medien. In Erftstadt rechneten sie fest mit Toten. Am Ende starb niemand. Wie durch ein Wunder.

Fördergelder einholen, Baufirmen beauftragen, Fortschritt überwachen. Das ist sein tägliches Brot. Drei Mitarbeiter und der Beamte Schiffer arbeiten jeden Tag daran. Doch häufig waren sein Team und er einfach nur der Kummerkasten für die Betroffenen. "Hier bleibt natürlich keine Tür verschlossen", sagt Schiffer.

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Der Krater

Nur noch wenige Meter bis zur Kiesgrube im Ortsteil Blessem. Sie wurde zum Sinnbild der Katastrophe. Die Flut fraß sich in die Grube und verursachte einen riesigen Krater. Der Ortsrand von Blessem versank im Schlamm. Schiffer stoppt sein Auto. Rechts thront unversehrt die Burg Erft, weiter hinten rauscht die Autobahn. Er will zeigen, was noch hätte passieren können.

"Hier ging es zehn Meter steil runter", sagt Schiffer. "Wir hatten Angst, dass der ganze Ortsteil in den Krater rutscht." Früher kannte der 54-Jährige die Kiesgrube nur vom Fahrradfahren. Der Erft-Radweg schlängelt sich direkt daneben entlang. "In den Tagen nach der Flut bin ich dann mit dem Rad zwischen Rathaus und Kiesgrube hin und her. Mit dem Auto war ja kein Durchkommen."

 

Die Kiesgrube in Erftstadt nach der Flut 2021 00:33 Min. Verfügbar bis 11.07.2026

Schiffer zeigt auf einen grauen Betonturm in der Kiesgrube. "Das ist der Leuchtturm von Erftstadt", sagt er lachend. Bei Starkregen würde durch die Rohrleitungen im Inneren das Wasser aus der Grube abgeführt. Ein Drittel des Kraters haben Schiffers Leute bereits verfüllt. Auch die Häuser an der Abbruchkante sind wieder aufgebaut - mit Holzverkleidung und E-Ladesäule. 

Klar kennt Schiffer alle Anwohner mit Namen. Er hat dafür gesorgt, dass sie ihre persönlichen Gegenstände aus den abrissreifen Häusern erhielten. "Die sind mir aus Dankbarkeit um den Hals gefallen." Dabei ist das eigentlich gar nicht seine Baustelle. Aber er ist ja auch kein normaler Beamter.

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Der Kummerkasten

Es ist schon fast ein Zufall, dass Schiffer nun in seiner Heimat für den Wiederaufbau verantwortlich ist. In der Flutnacht leitete er den Krisenstab in der Nachbarstadt Brühl. Dort ärgerte sich der Beamte vor allem über vollgelaufene Unterführungen. Was in seiner Heimat los war, begriff er erst einen Tag später. Da klingelte das Telefon, es war die Bürgermeisterin. Er habe doch damals in seinem Wehrersatzdienst eine Ausbildung im Katastrophenschutz gemacht. "Sie wollte mich nur ausleihen", sagt Schiffer und lacht. "Tja, das ist jetzt doch etwas länger geworden."

Warum Gerd Schiffer mit anpackt 00:46 Min. Verfügbar bis 11.07.2026

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Die Heimatlosen

Schiffers Wagen rumpelt über schmale Landstraßen. Willkommen in Erftstadt-Ahrem. "Hier gibt es mehr Pferde als Einwohner", scherzt Schiffer und führt auf den Sportplatz. Das Spielfeld liegt in einer Senke. Wie eine Badewanne lief der Platz in der Flutnacht voll – und bewahrte die Ahremer wohl vor den Wassermassen.

Heute schieben sich große Bagger über das Spielfeld. Planieren, begradigen, Schäden beseitigen. Auch Nico Kremer schaut den Bauarbeiten zu. Der Vereinsvorstand sagt, seine Kicker seien in den letzten drei Monaten wie Nomaden gewesen. Heimatlos in der eigenen Stadt. "Fußball ist der Sozialkitt hier in Ahrem", sagt der junge Mann und zeigt auf das zerstörte Vereinsheim. "Wir haben ja nicht mal mehr eine Kneipe."

Die heruntergekommene Decke im Vereinsheim in Ahrem | Bildquelle: WDR / Julian Piepkorn

Er führt Schiffer ins Gebäude. Es riecht modrig, von den Wänden sprießen schwarze Schimmelpilze. Sie werden das Vereinshaus abreißen und durch einen Neubau ersetzen müssen, sagt Schiffer. Aber immerhin: Im Herbst soll auf dem Platz wieder gespielt werden können. Die Ahremer Fußballer kämen jede Woche hierher, um sich ihre Motivation zu holen. Sie kämpfen gegen den Abstieg. Der neue Platz, so hofft Vereinsmann Kremer, wäre ein gelungener Neuanfang.

Mut machen, zuhören, eine Perspektive geben: Auch das gehört zu Schiffers Aufgaben. Sie bauen wieder auf, teils an der gleichen Stelle, wo das Wasser hüfthoch stand. Klar sind die Baustandards strenger geworden. Aber hilft das? "Es ist wie beim Würfeln, wenn die Sechs kommt", sagt Schiffer. "Es ist nicht auszuschließen, dass das morgen wieder passiert."

Aber warum macht er das, wenn er weiß, dass der Natur im Fall der Fälle nichts entgegenzusetzen ist? "Es geht nicht nur darum, Schäden an Häusern oder gar Tote zu verhindern", sagt Schiffer. Es gehe um den Glauben an den demokratischen Staat, der seine Bürger schützen kann. "Ich will mir nicht vorwerfen, nicht alles, was irgendwie möglich ist, getan zu haben."

In zwei Jahren könnte sich Schiffer in den Ruhestand versetzen lassen. Bis dahin ist sein Posten in Erftstadt befristet. Schiffer guckt entgeistert und sagt: "Mit 56 Jahren in Rente gehen? Dafür ist hier noch viel zu viel zu tun."