Die Lebensader Düsseldorfs vom Müll befreien
Stand: 16.04.2024, 13:06 Uhr
Der Rhein ist die Lebensader Düsseldorfs. Darum will Victoria Blocksdorf seine Strände und Wiesen von Plastik befreien. Dabei war ihr Weg hin zur Müllsammlerin alles andere als vorgezeichnet.
Von Florian Vitello
Zeit im Fluss - Müllgeschichte(n) aus dem Rhein
Ein großgewachsener Mann mit breiten Schultern nähert sich vom Ufer. Er lächelt, denn beim Müllsammeln hat er einen besonderen Fund gemacht: den Kopf eines alten Rasierers. Bei seiner Markteinführung 1965 handelte es sich um den ersten Rasierer mit Einzug-Mechanismus, um die Klingen zu versenken und Verletzungen zu vermeiden. Fast 60 Jahre später wird das ehemalige Design-Gerät an den Düsseldorfer Rheinwiesen angespült und sieht dabei aus wie neu.
"Da sieht man einmal mehr, das Zeug hält ewig", sagt Victoria Blocksdorf, die den Rasierer entgegennimmt. "Kunststoff ist nicht biologisch abbaubar. Unser Müll wird uns leider überleben". Es handelt sich lange nicht um das älteste Fundstück, das der 42-jährigen Gründerin von Blockblocks Cleanup mit ihrem Team untergekommen ist.
Diesen Rasierer finden Victoria und ihre Helferinnen und Helfer am Rhein
Seit 2019 existiert die gemeinnützige GmbH mit zwei Teilzeitkräften und 20 Ehrenamtlichen im Kernteam. Einmal im Monat organisieren sie jeweils zweistündige Müllbeseitigungsaktionen für freiwillige Helferinnen und Helfer an verschiedenen Flussläufen Düsseldorfs. Fast immer stoßen dabei Neugierige spontan dazu. Über 50 Tonnen Müll haben sie in dieser Zeit bereits gesammelt, damit dieser nicht ins Meer gelangt.
Der Vintage-Rasierer hätte gut in die Sonderausstellung "Zeit im Fluss. Müllgeschichte(n) aus dem Rhein" gepasst, die sie 2023 im Schifffahrtmuseum Düsseldorf eingerichtet hatten. Die Exponate im historischen Schlossturm zeugten davon, wie achtloses Wegwerfverhalten der Vergangenheit Auswirkungen bis in Gegenwart und Zukunft haben. Eine Pril- und eine Vitell-Flasche aus den 50er-Jahren, Gewehrteile und sogar die Verpackung eines Entgiftungsmittels aus dem Zweiten Weltkrieg gehörten zu den außergewöhnlichsten Funden.
Ich kündige!
Obwohl die wöchentlichen Reinemachaktionen an Rhein, Düssel, Kittelbach und Brückerbach in Düsseldorf inzwischen bekannt sind, war für ihre Initiatorin der Weg in die Gemeinnützigkeit lange nicht vorgezeichnet: Blocksdorf machte Abitur am Görres-Gymnasium an der Kö, studierte Kommunikationsdesign und gestaltete zwölf Jahre lang das Erscheinungsbild großer Unternehmen. Sie arbeitete mehr als 60 Stunden die Woche, verdiente gutes Geld. Bis sie schließlich auf einer Weltreise mit ihrem Mann ein einschneidendes Erlebnis hatte.
"Wir waren auf Hawaii. Die Natur war atemberaubend schön. Aber unweit einer Stelle, wo Wale aus dem Wasser sprangen, fanden wir ein riesiges Müllnetz." Sie schwor sich, etwas gegen die Verschmutzung der Meere zu unternehmen. Symbolisch trennte sie damals eine blaue Plastikschnur aus dem Netz und band sie sich ums Handgelenk. So wollte sie ihre Mission immer im Bewusstsein halten. Zurück in der Heimat machte sie sich gleich ans Werk. Dafür kündigte sie sogar ihren Job.
Victoria Blocksdorf hat die Verschmutzung der Meere nicht losgelassen
00:39 Min.. Verfügbar bis 16.04.2026.
Besonderen Wert legte sie von Beginn an auf die Bekämpfung des globalen Müllproblems im lokalen Rahmen. "Hier vor Ort fließt der Rhein, dessen Wasser später im Meer landet. Über 300 Tonnen Müll sind jedes Jahr darunter. Den Teil davon, der aus Düsseldorf kommt, können wir also auch hier vor Ort verhindern."
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Ihr Wechsel von der Werbeindustrie hin zum Einsatz für die Umwelt führte zu gemischten Reaktionen. "In einer Branche, in der Schein und Oberflächlichkeiten zelebriert werden und nur zählt, was sich am besten verkauft, stieß ich mit meiner Entscheidung für mein Öko-Ding bei manchen auf Unverständnis." Dass ihr darüber auch einige den Rücken zukehrten, war bitter für Blocksdorf. Entmutigen ließ sie sich nicht. "Umso mehr wollte ich erreichen, dass beim Müllsammeln niemand allein ist oder sich blöd fühlen muss."
Von den Rheinwiesen bis ins Veedel
Tatsächlich finden sich schnell Gleichgesinnte. Das Engagement für die Umwelt ist eine sinnstiftende Aufgabe für sie, aus der eine starke Gemeinschaft hervorgeht. "Das Beste an den Cleanups ist, dass wir wie eine Familie zusammengewachsen sind. Ich habe zwar ein paar frühere Weggefährten verloren, aber dafür unzählige starke, wunderbare Menschen dazugewonnen." Über die Cleanups hinaus recyceln Blocksdorf und ihre Freiwilligen in ihrer eigenen Werkstatt den gesammelten Plastikmüll zu neuen Produkten, halten Vorträge oder treffen sich auf ein Alt in der Stadt, zu Konzertbesuchen oder zum Sport.
- Zum Beitrag: "Das Müllseum in Köln - Wie Müll aus dem Rhein Kunst wird"
Um letztere kümmert sich Blocksdorf bei jedem Cleanup-Event persönlich. Bevor es losgeht, ruft sie alle Freiwilligen zusammen und feuert die Gruppe mit einem Megafon an. An den Rheinwiesen in Niederkassel wird sie dabei von einer wütend klingelnden Radfahrerin unterbrochen, die sich über den Menschenauflauf ärgert. In der Gruppe bricht schallendes Gelächter aus. "Die meisten Menschen reagieren aber sehr positiv auf unsere Arbeit", sagt Blocksdorf.
Nach einer La-Ola-Welle werden alle Freiwilligen mit Greifern, Handschuhen, ausgedienten Kaffeesäcken, Eimern und alten Joghurtbechern zum Kronkorken sammeln ausgestattet. Blocksdorf selbst zieht mit einer Grillzange los. "Lasst uns heute auf die Kleinteile achten, die werden besonders oft vergessen". Schon nach wenigen Minuten füllt sich ihr Eimer.
Victoria Blocksdorf findet allerlei, was hier eigentlich nicht hingehört
00:34 Min.. UT. Verfügbar bis 16.04.2026.
Blocksdorf findet es erstaunlich, dass viele den Müll gar nicht mehr bemerken und zwischen leeren Flaschen, Tüten oder benutzten Grillschalen picknicken würden. Sie mahnt zu mehr Verantwortung, allein schon aus Eigeninteresse. "Machen wir die schönsten Orte unserer Heimat, wie unsere wunderbaren Rheinstrände, nicht kaputt. Lasst uns unseren Abfall wieder mitnehmen."
Nach getaner Arbeit posieren die Helferinnen und Helfer noch mit dem gesammelten Müll
Nach dem Rasierer finden die Freiwilligen noch weitere ältere Plastikteile. Zwei Stunden sammeln sie am Ufer, im Gebüsch und unter der Theodor-Heuss-Brücke. Zwischendurch stoßen immer wieder neugierige Passanten dazu. Einige machen spontan mit. Am Ende kommen 214 Kilo Unrat zusammen, darunter ein verrostetes Metallfass und eine Sandkastenmuschel. "Das ist noch wenig im Vergleich", sagt Blocksdorf.
Auf die Frage, ob sie die Arbeit frustriere, winkt sie ab. Jeder noch so kleine Handgriff habe eine große Wirkung und sei die Anstrengung wert, wenn damit ein Tier weniger leiden müsse. Knapp 1000 Menschen im Jahr erscheinen zu den Cleanups. Aktuell bringt sich Blocksdorf in Gespräche mit dem Oberbürgermeister und Workshops der Stadt für ein nachhaltigeres Düsseldorf ein. Ideen hat sie viele.