Enten als Entspannungstherapie: Wie ein 13-Jähriger im Ehrenamt aufblüht

Rhein-Kreis Neuss | Füreinander

Stand: 04.10.2024, 17:32 Uhr

Mel-Daniel Schreiber war gewalttätig und aggressiv. Das ging so weit, dass der 13-Jährige von seiner Schule flog. Wie ihm die ehrenamtliche Arbeit mit Vögeln dabei geholfen hat, seinen inneren Kompass neu auszurichten.

Von Johannes Hoppe

Ganz ruhig kniet Mel-Daniel Schreiber mit einer Kiste Salat zwischen den Enten, Hühnern und Gänsen im Federheim in Neuss. Wer ihn so im Umgang mit den Tieren sieht, dem fällt es schwer, sich vorzustellen, dass der 13-Jährige vor einigen Monaten seine ehemalige Schule verlassen musste. Mel hatte andere geschlagen, fuhr bei Beschwerden über ihn immer wieder aus der Haut. Er rupft den Salat im Korb noch ein wenig kleiner und hält die grünen Blätter einigen Hühnern hin. Ein Versuch, den Tieren zumindest ein bisschen von dem zurückzugeben, was sie für ihn getan haben.

Mel-Daniel Schreiber mit den Hühnern, Enten und Gänsen im Federheim in Neuss 00:33 Min. Verfügbar bis 04.10.2026

Mel fehlte in der Vergangenheit häufig die Impulskontrolle. Bis vor zwei Jahren hatte er ein riesiges Problem mit seinen Aggressionen. "Bei mir kam schnell sehr viel Wut im Körper hoch. Ich wurde aggressiv, habe Leute auch geschlagen. Ich hatte nichts im Griff." Verstoßen Kinder und Jugendliche immer wieder gegen soziale Normen und Werte und fallen durch Gewalt auf, sprechen Psychologen auch von einer Störung des Sozialverhaltens. Eine deutschlandweite Studie geht davon aus, dass das etwa bei sieben Prozent der Jungen und etwa drei Prozent der Mädchen auftritt. Eigene Zahlen für NRW gibt es in der Forschungsarbeit nicht. Bei rund drei Millionen Minderjährigen im Bundesland dürften aber mehrere zehntausend mit ähnlichen Problemen wie Mel in ihrem Alltag kämpfen.

Ein Engagement, das beflügelt

Der Teenager ist mit der Fütterung fertig und fegt in einem Vogelstall Stroh zusammen. Auch das gehört zu seinen Aufgaben. Der 13-Jährige arbeitet seit gut anderthalb Jahren ehrenamtlich im Federheim. Zu dem Job kam er im Winter 2022. Damals saß Mel gelangweilt zu Hause und fragte seine erwachsene Schwester Stefanie Moonen, ob sie ihm nicht eine Arbeit besorgen könne. Moonen arbeitete seit einigen Jahren im Federheim als leitende Tierpflegerin und nahm Mel mit. Ab diesem Zeitpunkt änderte sich sein Leben. Seitdem verbringt er jede freie Minute mit den Tieren. Und das tut ihm gut. Für ihn ist es eine Art Therapie.

Seine Schwester, seine Eltern und auch seine Lehrer bestätigen, dass er in kritischen Situationen viel lockerer reagiert. Auch, wenn er immer noch wütend wird, wie er sagt. "Immer wenn ich sauer werde, habe ich das Federheim im Kopf und kann so meine Aggressionen wieder runterfahren." Dass die Arbeit mit Tieren einen positiven Effekt haben kann, ist nicht neu. Auch der Deutsche Tierschutzbund weist auf die Steigerung von Wohlbefinden, Selbstvertrauen, Gesundheit und Verantwortungsbewusstsein hin.

Mel-Daniel Schreiber gefällt die Abwechslung bei der Arbeit mit den Tieren | Bildquelle: WDR

Am liebsten füttert Mel die Vögel, Hühner und Enten, sagt er. Die sieben Wochen alten Warzenenten haben es ihm besonders angetan. "Das sind einfach süße Tiere, die Küken. Man kann sich sogar mit ihnen anfreunden." Wie so eine Freundschaft aussehen kann, zeigt der 13-Jährige auch bei Sachsenente Sultan. Der Erpel lässt sich den Schnabel streicheln und watschelt Mel hinterher. Schwester Stefanie Moonen ist stolz auf ihren kleinen Bruder und dessen Händchen für die Tiere.

Welches Talent Stefanie Moonen bei ihrem Bruder Mel entdeckt hat 00:11 Min. Verfügbar bis 04.10.2026

Kein Wunder, dass sich der 13-Jährige im vor vier Jahren eröffneten Federheim als Tierpfleger ausbilden lassen möchte. Auch seine Schwester würde ihn gern als Azubi in Deutschlands erstem Tierheim nur für Federvieh anlernen, sagt sie. Zu tun gäbe es für ihn in jedem Fall genug. Rund 160 Enten, Gänse, Schwäne, Puten und Hühnern leben hier.

Bis Mel die Ausbildung anfangen kann, muss er aber erst einmal die Schule beenden. Im Moment geht er auf eine Förderschule. Doch die Arbeit mit den Tieren hatte einen so positiven Einfluss auf ihn, dass er womöglich bald auf seine alte Schule zurückkehren kann.

Über dieses Thema haben wir am 25.09.2024 auch im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Düsseldorf, 19.30 Uhr.