Alain trägt ein rot karriertes Hemd vor einem Keyboard. Neben ihm sitzt sein Musiklehrer

Mehr als ein Hobby: Wie Alain seine Leidenschaft für Musik entdeckte

Rhein-Sieg-Kreis | Füreinander

Stand: 01.02.2025, 15:19 Uhr

Ab der Rente nur noch zuhause auf dem Sofa sitzen? Das ist Alain Dilliér zu langweilig. Er hat sich in der Musikschule in Troisdorf angemeldet. Dass er heute Musik machen kann, ist nicht selbstverständlich.

Von Svenja Smolarek

Der Zeigefinger zittert leicht, als Alain Dilliér die ersten Töne des Schneewalzers anspielt. Sein Blick liegt dabei konzentriert immer abwechselnd auf den Noten und der Tastatur des Keyboards vor ihm. Ab und zu erwischt der 62-Jährige noch eine falsche Taste, die Finger wollen ihm nicht immer gehorchen. Doch mit jedem weiteren Ton entspannt sich der Rentner ein kleines Stückchen mehr.

Musik kennt kein Alter

Immer mehr Menschen entscheiden sich mit Beginn des Ruhestands ein Instrument zu lernen. Dilliér ist einer von ihnen. Laut dem Verband deutscher Musikschulen gab es im Jahr 2023 rund 353.000 Schülerinnen und Schüler in NRW. Der große Teil von ihnen ist jung, doch der Anteil der Älteren steige von Jahr zu Jahr. Bundesweit lag der Anteil der über 60-Jährigen im Jahr 2002 bei 0,87 Prozent. 20 Jahre später bei 2,45 Prozent.

Einmal in der Woche kommt Dilliér in die Musikschule in Troisdorf. Hier gibt es spezielle Kurse für Senioren, die laut Musikschule regelmäßig ausgebucht sind. Der Unterricht findet in Gruppen von zwei bis maximal vier Personen statt. Ein anspruchsvolles Hobby, denn ohne regelmäßiges Üben geht es nicht.

So klingt eine Unterrichtsstunde auf dem Keyboard

00:35 Min. Verfügbar bis 01.02.2027

Geduldig gibt Musikprofi Manfred Görs den Teilnehmern Tipps. Die Grundlagen müssen sitzen, bevor es an die schwierigen Stellen im Stück geht. "Für die Senioren ist das Spielen weit mehr als ein Hobby", sagt Görs. "Weil sie mit der linken und rechten Hand jeweils etwas anderes tun müssen, sind sie kognitiv stark gefordert." Ein gutes Training für den Alltag, etwa beim Autofahren, wo auch mehrere Dinge gleichzeitig gemacht werden müssen.

Manfred Görs über die anfänglichen Schwierigkeiten beim Keyboard spielen

00:28 Min. Verfügbar bis 01.02.2027

Neue Herausforderung nach Koma

Dilliér schüttelt seine Hände aus und setzt noch einmal von vorne an. Dass er heute Musik machen kann, ist nicht selbstverständlich. Er lag drei Wochen im Koma, musste sich zurück ins Leben kämpfen. Sprechen, Essen, Laufen und Schreiben - all das musste er wieder neu lernen. Ein Zittern in den Händen, der sogenannte Tremor, begleitet ihn bis heute.

Nach überstandener Krankheit suchte der 62-Jährige etwas, das Körper und Geist gleichermaßen fordert. Eine Anzeige in der Zeitung brachte ihn zu Manfred Görs und zum Keyboard spielen. Dilliér hat hier im Kurs nicht nur ein Instrument spielen gelernt, sondern Menschen getroffen, die seine Interessen teilen und zu Freunden geworden sind.

Instrument spielen: Fitnesstraining und Ausgleich zum Alltag

So wie Renate Broszio. Sie ist mit 82 Jahren die Älteste im Kurs und leidet an Arthrose in den Fingern. Durch das Keyboard spielen bleiben ihre Finger beweglich. Für sie ist das Spiel auch ein Ausgleich zum Alltag. Die Pflege ihres Mannes nimmt viel Zeit in Anspruch, in der Musikschule kann sie mal abschalten und neue Kraft sammeln.

Welche weiteren Vorteile hat Keyboard spielen für Renate Broszio?

00:19 Min. Verfügbar bis 01.02.2027

Das Wichtigste ist aber, dass es allen Spaß macht. Da sind sich Broszio und Dilliér einig. Der Rentner erinnert sich noch sehr gut an den Tag, an dem er zum ersten Mal in die Musikschule kam. "Am Ende der ersten Stunde konnte ich bereits ein erstes Lied spielen. Das war toll!" Auch wenn die Lieder, die er augenblicklich spielt, nicht ganz seinem Musikgeschmack entsprechen.

Ein Mann mit Brille und rot karriertem Hemd schaut in die Kamera

Alain Dilliér steht eher auf Rock als auf Klassik

Augenzwinkernd erklärt er: "Da muss man wohl durch, wenn man Spielen lernen will. Eigentlich bin ich doch ein alter Rocker und will mal dahin, dass ich meine Musik spielen kann: Heavy Metall und Rock. Bis es so weit ist, haben eben andere Musikrichtungen Priorität." Und er stimmt schon wieder den Schneewalzer an, als er das sagt. Dieses Mal zittern seine Hände kein einziges bisschen.

Über dieses Thema haben wir auch am 13.01.2025 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Bonn, 19.30 Uhr.