"Haben Sie zufällig etwas aus Kaschmir dabei? Das darf auch gerne defekt sein." Anika Metzger ist auf einem Flohmarkt im Bielefelder Osten unterwegs. Sie sucht nach alten Kaschmir-Klamotten. "Also, wir haben einen Schal mit etwas Kaschmiranteil", sagt eine Verkäuferin, die zusammen mit ihrer Tochter da ist. Die drei scheinen sich schnell sympathisch zu sein. "Ja, süßes Teil. Das Muster gefällt mir, richtig ausgefallen", sagt Metzger, "aber ich suche leider nach 100 Prozent Kaschmir."
Die 38-Jährige erklärt Mutter und Tochter, dass sie die Klamotten nicht anziehen, sondern upcyceln will. Metzger macht aus alter Kaschmirkleidung Scrunchies, also Haargummis aus Stoff.
Warum Anika Metzger das Upcycling Freude macht
00:18 Min.. Verfügbar bis 07.10.2026.
Potenzielles Upcycling-Material gibt es in NRW mehr als genug. Einer Studie von Greenpeace zufolge hat jeder Erwachsene etwa 95 Kleidungsstücke in seinem Kleiderschrank. Unterwäsche und Socken schon ausgenommen. Etwa 16 davon landen laut Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen jedes Jahr in Altkleidercontainern. Bundesweit kommen dabei rund 1,1 Millionen Tonnen Textilien zusammen.
Upcycling als Geschäftsmodell
Metzger ist inzwischen vom Flohmarkt zurück in ihrer Wohnung. Die Bielefelderin sitzt an ihrer Nähmaschine und bearbeitet einen fliederfarbenen Pullover. Neben ihr liegen bereits einige zurechtgeschnittene Streifen Stoff. Sie erzählt, dass sie es schon immer schade fand, wenn Dinge weggeworfen werden, nur weil sie einen Riss oder eine Macke haben.
Auf die Idee, Scrunchies zu machen, kam sie durch einen Zufall. "Meine Mutter hat mir irgendwann ihren Kaschmir-Pulli mitgegeben, der total zerlöchert war. Aber ich dachte, den kann man doch nicht wegwerfen." Sie macht einige Haargummis aus dem Pulli und bietet sie auf Instagram an. In einer halben Stunde waren alle zehn vergriffen. Mittlerweile hat Metzger mehr als 3000 Stück in allen Farben und Mustern genäht.
Aus Kaschmir-Pulli wird Haargummi
Noch ist Upcycling von Kleidung ein absoluter Nischenmarkt. Laut Hochschule Niederrhein wird lediglich ein Prozent unserer Kleidung recycelt. Der größte Teil wird verbrannt, landet auf Mülldeponien oder wird in Entwicklungsländer verschifft.
Kaschmir und Tierschutz: Geht das?
Dass Metzger nur Kaschmir-Kleidung sucht, ist kein Zufall. Der Stoff hält besonders gut in den Haaren. Doch die feine Wolle der Kaschmirziege stellt sie als Veganerin auch vor eine ethische Herausforderung. Denn die Gewinnung ist nicht immer unproblematisch.
Anika Metzger über Tierwohl
00:48 Min.. Verfügbar bis 07.10.2026.
So rät die Tierrechtsorganisation PETA Deutschland auf ihrer Homepage komplett vom Kauf des tierischen Produkts ab. Selbst dann, wenn die Firmen mit sogenanntem "zertifiziertem Kaschmir" werben. Auch dafür würden laut PETA Ziegen massiv gequält. Upcycling und Nachhaltigkeit auf der einen Seite, die Frage nach Tierwohl auf der anderen. Für diesen moralischen Spagat hat Anika Metzger das Konzept "Flausch für Flausch" eingeführt.
Zehn Prozent von jedem verkauften Scrunchie gibt sie an Tierschutzorganisationen weiter. Sie unterstützt lokale Organisationen, aber auch große Vereine. Am Ende eines Monats zeigt sie auf Instagram, wie viel und an wen sie gespendet hat. Mittlerweile sind es mehr als 3000 Euro.
Um mehr Zeit für die Produktion der Haargummis zu haben, hat Metzger sogar ihren eigentlichen Job als IT-Projektmanagerin reduziert. Immer freitags ist jetzt Scrunchie-Time. Und die 38-Jährige überlegt auch schon, was die nächsten Schritte sein könnten: "Ich finde es ganz schön, wenn man den Ansporn hat, sich neu zu erfinden, sich auszuprobieren. Und aus Stoffen kann man ja noch viel, viel mehr machen."
Über dieses Thema haben wir auch am 21.08.2024 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ostwestfalen-Lippe, 19.30 Uhr.