Fahrgäste steigen in den Bürgerbus ein

Eine Million Kilometer: Wie ein Bürgerbus die Menschen verbindet

Wesel | Füreinander

Stand: 26.10.2024, 14:45 Uhr

20.000 Fahrgäste pro Jahr, eine Million Kilometer zurückgelegt: Während andere Bürgerbus-Projekte scheitern, wird eine Initiative in Hamminkeln-Mehrhoog immer beliebter. Was ist das Erfolgsrezept?

Von Martin Henning (Text) und Anett Selle (Multimedia)

Es ist ein grauer, nasser Tag in Hamminkeln. Gleichmäßig plätschern die Regentropfen auf die Windschutzscheibe des Bürgerbusses. Gerhard Brinkmann fährt den Bus von der Innenstadt über eine Landstraße in den Stadtteil Mehrhoog. An einer kleinen Haltestelle am Straßenrand bringt er ihn zum Stehen. Eine junge Mutter steigt mit ihrer Tochter ein. "Dürfen wir schon einsteigen? Wir müssen zurück nach Hamminkeln", fragt die junge Frau. "Ja, sicher", sagt Brinkmann. "Wir lassen hier niemanden im Regen stehen."

Es gab Zeiten, da wurden die Hamminkelner buchstäblich im Regen stehen gelassen. Hamminkeln ist eine ländliche Region mit geringer Bevölkerungsdichte, in der kein kommunales Verkehrsunternehmen profitabel Buslinien betreiben konnte. Lange fuhren deswegen keine Busse in die Randgebiete. Weil der Bedarf aber da war, entschieden vier Redakteure der kleinen Ortsteilzeitung "Sandhase", den Bürgerbus Mehrhoog zu gründen. Das war im November 2006. Zwei Jahre später ging er an den Start.

Warum Gerhard Brinkmann gern den Bürgerbus fährt

00:27 Min. Verfügbar bis 26.10.2026

Das Bürgerbus-Prinzip ist einfach. Da, wo Busse fehlen, springen ehrenamtliche Fahrerinnen und Fahrer ein und betreiben ein eigenes Bussystem. Laut Verband ProBürgerbus gibt es rund 150 Vereine in NRW, die einen Bürgerbus betreiben. Mehr als in jedem anderen Bundesland. Andernorts sind Bürgerbus-Initiativen gescheitert, weil die Einnahmen die Betriebskosten nicht annähernd decken konnten. Seit dem vergangenen Jahr fahren zum Beispiel in Schwalmtal und Rösrath keine Bürgerbusse mehr. In Hamminkeln entspricht das Geld aus dem Fahrkahrtenverkauf aber nahezu den Kosten für den Betrieb. Die Differenz zahlt die Stadt.

Anders als normale Buslinien

Gerhard Brinkmann fährt den Bürgerbus einmal die Woche. Eigentlich arbeitet er als selbstständiger Energieberater. Die Gäste seien froh über das Angebot, sagt er. Außerdem fördere es den Zusammenhalt im Örtchen. "Es ist eine kleine Gemeinschaft im Bus", sagt Brinkmann.

Fahrgäste im Bürgerbus Mehrhoog

Im Bürgerbus stehen Sitzplätze für acht Fahrgäste zur Verfügung

Ins Gespräch kommen die Fahrgäste im kompakten Transportmittel schnell. Während der Klatsch und Tratsch ein netter Nebeneffekt ist, macht vor allem die enorme Zeitersparnis den Bürgerbus so wertvoll. "Ich komme aus Mehrhoog, anderen öffentlichen Nahverkehr gibt es da nicht", erzählt ein Fahrgast. "Um nach Hamminkeln zu kommen, müsste ich einen riesigen Umweg fahren. Dann wäre ich für die kurze Strecke drei Stunden unterwegs." Mit dem Bürgerbus dauern die etwa sechs Kilometer Luftlinie von Mehrhoog nach Hamminkeln 30 Minuten statt drei Stunden.

"Wir sind für die Bürger da"

Über 20.000 Fahrgäste transportiert der Bürgerbus in Hamminkeln pro Jahr. Montags bis freitags zwischen 7 und 18 Uhr verkehrt mindestens ein Bus pro Stunde zwischen Hamminkeln-Innenstadt, Mehrhoog und Mehr. Die Fahrgäste zahlen je nach Strecke einen Betrag zwischen 50 Cent und 3 Euro.

Der Bürgerbus ist anders als konventionelle Buslinien. Er dreht um und kommt zurück, wenn er zu früh vorbeigefahren ist, nimmt einen Fahrgast auch mal mit, wenn er das Geld vergessen hat. Wenn die Einkäufe zu schwer sind, hält er vor der Haustür. "Wir sind der Bürgerbus und wir sind für die Bürger da. Da lassen wir auch mal sieben gerade sein", sagt Peter Timm, Erster Vorsitzender der ehrenamtlichen Initiative.

Peter Timm sitzt im Bürgerbus

Peter Timm ist seit 2019 Erster Vorsitzender des Bürgerbusses

Und wer so nah an den Bürgern ist, erlebt auch immer wieder kuriose Geschichten. Timm erinnert sich an einen nörgelnden Fahrgast, der sich über den engen Sitz beschwerte: "Da habe ich an der nächsten Haltestelle angehalten und gesagt: 'Sie sitzen im Kindersitz. Darf ich Ihnen den mal wegnehmen?' Und dann war er total begeistert."

28 Mal um den Globus

Seit dem Start 2008 haben die Busse über eine Million Kilometer zurückgelegt. Das entspricht 28 Erdumrundungen. Gerade wurde ein vierter Bürgerbus angeschafft, weil die Nachfrage so groß ist. Eine echte Erfolgsgeschichte - aber es gibt auch ein Problem, berichten Gerhard Brinkmann und Peter Timm.

Vor welcher Herausforderung der Bürgerbus aktuell steht

00:25 Min. Verfügbar bis 26.10.2026

Gesucht werden deshalb neue ehrenamtliche Fahrer ab 21 Jahren, die den Führerschein Klasse B besitzen und Spaß am Kontakt mit Menschen haben.

Über das Thema haben wir am 16.09.2024 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.