Klettern, Wellness und Natur

00:29 Min. Verfügbar bis 12.11.2026

"Einsamkeit ist tödlich": Warum Blinde mehr Freizeitangebote brauchen

Rhein-Erft-Kreis | Füreinander

Stand: 12.11.2024, 08:38 Uhr

Klettern, Wandern oder Wellness - das geht auch ohne sehen. Daniela Ali und Traugott Sobiech machen es vor. Warum Freizeitangebote für Blinde so wichtig sind und wie sie Einsamkeit vorbeugen.

Von Arndt Lorenz

1

Action für alle

Daniela Ali tastet den Klettergurt ab. Eine Freundin hilft ihr beim Einsteigen. Dreimal versichert sich Ali mit ihren Händen, dass die Karabiner richtig mit dem Halteseil verbunden sind. Die 58-Jährige steht gemeinsam mit 15 Menschen an der Kletterwand im "Chimpanzodrome" in Frechen. Die meisten aus der Gruppe klettern zum ersten Mal. Ali nicht, sie ist sogar Mitglied im Alpenverein.

Vorsichtig greift sie nach dem ersten Haltestein auf der 15 Meter hohen Wand. Jeden Griff lässt sie sich genau erklären, bei jeder Bewegung anleiten. Die Trainer der Kletterhalle geben geduldig ihre Anweisungen. Es ist wichtig, dass die 58-Jährige ihnen vertrauen kann. Wer die Szene beobachtet, könnte meinen, dass Ali ungewöhnlich unsicher ist, vielleicht sogar Höhenangst hat. Wäre da nicht der Blindenstock, der zusammengeklappt auf dem Boden direkt an der Kletterwand liegt.

Daniela Ali über Höhenangst

00:39 Min. Verfügbar bis 12.11.2026

Gemeinsam mit Klettererin Daniela Ali nutzen 35 andere Blinde und Sehschwache ein besonderes Angebot: Ein Wellness-Wochenende mit Sport, Wassergymnastik und Alpaka-Wanderung in der Voreifel. Nicht jeder nimmt dabei an allen Aktivitäten Teil. Ausgedacht hat sich das der Kreissportbund Düren zusammen mit dem Berufsförderungswerk Düren, das vor allem Blinde und Sehbehinderte betreut. Solche speziellen Sportangebote sind bisher Mangelware. Die Nachfrage ist so groß, dass die Kursteilnehmer dafür aus ganz Deutschland anreisen.

Über sich selbst hinauswachsen

Häufig werde ihnen der Eintritt zu Kletterparks, Yoga- oder Fitnessstudios verwehrt, erzählen einige Teilnehmer. Betreiber hätten Bedenken wegen der Verletzungsgefahr und der Versicherung. Dabei gibt es keinen Unterschied bei Kranken- und Haftpflichtversicherungen. Viele Sportstätten hätten zudem keine Erfahrung im Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen. Dabei ist der Kreis potenzieller Nutzer groß. Nach Schätzungen des Deutschen Blinden und Sehbehindertenverbandes leben in Nordrhein-Westfalen etwa 12.000 Blinde und Sehbehinderte, von denen laut Berufsförderungswerk Düren etwa ein Drittel ein eigenes, auf sie zugeschnittenes Sport- und Wellnessprogramm dringend benötigen würde.

Eine Frau steht mit dem Rücken zur Kamera vor einer großen Kletterwand.

In der Eifel gibt es ein Kletterangebot für Blinde

Beim Klettern hat Daniela Ali das Gefühl, Teil der Gruppe sein zu können. "Klettern ist für mich Weite. Ich kann über mich selbst hinauswachsen. Und es ist immer ein Adrenalinkick, wenn ich eine neue Route ausprobiere." Für Normalsehende haben die Haltegriffe aus Bimsstein unterschiedliche Farben. Ali erkennt sie an den verschiedenen Oberflächen, an ihrer Porigkeit. Ohne große Anstrengung hangelt sie sich bis ganz nach oben bis zur Hallendecke in 15 Meter Höhe "Wenn ich in der Wand bin, ist der Ehrgeiz da. Wenn ich dann oben bin, sind das unheimliche Glücksmomente", erzählt sie mit einem breitem Lächeln.

2

"Einsamkeit ist wirklich tödlich"

Knapp 30 Kilometer Luftline von der Kletterhalle entfernt hat das gutmütige und ruhige Alpaka-Weibchen "Inti" es Traugott Sobiech aus Kerpen angetan. Er bricht mit 20 Blinden und Sehschwachen bei Sonnenschein zu einer anderthalbstündigen Tour durch die Voreifel auf - mittendrin fünf Alpakas und ein Lama. "Ich finde das so faszinierend, wie Alpakas sich anfühlen, wie sie sich bewegen, wie sie riechen, miteinander kommunizieren und vor sich hin brummen", sagt Sobiech. Der blinde und schwerhörige Mann ist gemeinsam mit seinem 13-jährigen Sohn Florian zu einem Bauernhof nach Berzbuir bei Düren gekommen. Die Tiere bietet ein Landwirt extra für gemeinsame Spaziergänge an.

Traugott Sobiech links lächelnd, rechts von ihm sein Sohn, der ein Alpaka streichelt.

Freundschaft auf den ersten Blick - auch wenn Traugott Sobiech nichts sieht

Die gutmütigen Tiere laufen geduldig mit der Gruppe über Felder und durch Wälder. Sie kennen die Strecke, Blinde können sich von ihnen führen lassen. In den Pausen bleibt genug Zeit, durch das dichte Fell zu streicheln. Die Tiere geben dabei ein zufriedenes Brummen ab. Für den Blinden Sobiech ist das Wellness pur. Auch wenn der Spaziergang mit den Alpakas nach lockerer Freizeitbeschäftigung aussieht, ist das Zusammenkommen in der Gruppe für viele Sehbehinderte sehr wichtig.

Traugott Sobiech erklärt, wie solche Wochenenden gegen Einsamkeit helfen

00:31 Min. Verfügbar bis 12.11.2026

3

Hey, wir sind auch da

An diesem Wochenende können Daniela Ali, Traugott Sobiech und die insgesamt 34 anderen Teilnehmer zwischen 25 und 58 Jahren nicht nur klettern und Alpakas ausführen. Die Mitarbeiter des Kreissportbundes Düren haben auch etliche andere Aktivkurse organisiert: Schwimmen und Wassergymnastik im Rurbad Düren, Aerobic-Stunden und Muskelentspannungskurse. Warum so eine Abwechslung wichtig ist?

Inge Jansen, Leiterin des Berufsförderungswerks Düren, erklärt: "Viele Blinde und Sehbehinderte leben zu Hause nur mit Sehenden zusammen. Durch das Sport- und Aktiv-Erlebniswochenende finden sie in Gemeinschaft zusammen, können sich zum Beispiel beim Klettern gegenseitig unterstützen und anfeuern. Sie fügen sich im Freizeitbereich in die Gesellschaft ein und können anderen sagen: Hey, wir sind auch da." Während des Wochenendes übernachten die Teilnehmer im Berufsförderungswerk Düren. Weil hier regelmäßig Ausbildungskurse stattfinden, ist alles für Blinde ausgelegt.

Organisator Wolfgang Schmitz vom Kreissportbund Düren bastelt schon an den nächsten Angeboten und sucht weitere Partner: "Bisher gibt es keine zentralen Orte und keine gemeinsamen sportlichen Aktionen, die speziell für Blinde und Sehbehinderte ausgelegt sind. Wir wollen das so schnell wie möglich ändern und die Kurse regelmäßig anbieten, mindestens vier Mal im Jahr."

Nach zwei Tagen voller Wanderungen, Sport und Wellness sind Traugott Sobiech und Daniela Ali erschöpft und ausgepowert, aber auch glücklich. Im nächsten Frühjahr will das Berufsförderungswerk und der Kreissportbund Düren wieder "Natur, Klettern und Wellness - ohne zu sehen" anbieten. Die ersten Anmeldungen dazu sind schon eingegangen, auch von Ali und Sobiech.