"Brady Austin lässt den Gegner stehen. Er spielt die Scheibe tief, aber nicht hart, sondern kann direkt selber nachgehen." Björn Naß spricht sehr schnell. Er ist voll in seinem Element. Seine Moderationen sind im Vergleich zu anderen Sportkommentatoren sehr präzise. Ein Pass ist nicht einfach "schlecht", stattdessen wird er "einige Zentimeter zu weit in den Rücken" gespielt.
Diese Details sind wichtig, denn Naß kommentiert das Heimspiel der Kölner Haie gegen die Nürnberg Ice Tigers nicht für Zuschauer vor einem Fernsehbildschirm. Er sitzt in einer Loge im ersten Stock der Lanxess-Arena neben drei sehbehinderten Menschen mit Kopfhörern und ihren Begleitungen. Unter einem "schlechten Pass" können sie sich nichts vorstellen. Also verzichtet der 43-Jährige auf solche Wertungen einfach. Als der Puck das erste Mal im Netz zappelt, jubeln alle zeitgleich mit den tausenden anderen Fans in ihren rot-weißen Trikots.
Blindenreportage bedeutet Inklusion: "Barrierefreies Fest"
Seit zweieinhalb Jahren bieten die Kölner Haie bei Heimspielen Blindenreportagen an. Im Schnitt kommen sechs bis sieben Fans, um das Angebot zu nutzen. Manuel Beck ist fast bei jedem Spiel in Köln dabei. Er ist einer der drei Zuhörer in der Loge. Naß' Moderation macht den Sport für ihn auf einzigartige Weise erlebbar. "Natürlich könnte ich Eishockey auch ohne dieses Angebot verfolgen", sagt Beck, "aber hierhin kommen, Teil der Gemeinschaft sein und meine Begleitung kann mitfiebern, ohne mir alles beschreiben zu müssen - das ist ein barrierefreies Fest für alle."
Beck ist einer von mehreren zehntausend blinden oder sehbehinderten Menschen in NRW. Wie viele es genau sind, wird nicht zentral erfasst. Laut Statistischem Landesamt haben im Jahr 2023 etwas mehr als 27.000 Menschen Blindengeld erhalten, einen Nachteilsausgleich, um zum Beispiel Haushaltshilfen zu bezahlen oder Hilfsmittel zu kaufen. Dazu kommen weitere 8.398 Menschen, die Hilfen für hochgradig Sehbehinderte in Anspruch genommen haben. Da die Leistungen jedoch beantragt werden müssen, dürfte die tatsächliche Zahl noch darüber liegen. Viele Sportveranstaltungen versuchen seit einigen Jahren barrierefreier zu werden. Aber die Angebote würden noch nicht ausreichen, sagen Betroffene.
Was bringt ein Blindenreporter? Das sagen die Fans, die darauf angewiesen sind
00:31 Min.. Verfügbar bis 16.10.2026.
Noch vor dem ersten Bully, dem Beginn des Spiels, hat Blindenreporter Björn Naß im Regen am Eingang West auf Manuel Beck gewartet. Sie kennen sich inzwischen gut. Beck hält sich an der Schulter seiner Begleitung fest und wird hineingeführt. Von Geburt an hatte er verschiedene Augenkrankheiten, wie grünen und grauen Star. Mit 12 Jahren verlor er schließlich sein Augenlicht. "Was für ein Wetter, da freut man sich beim Eishockey zu sein", begrüßt Naß den 37-Jährigen. Gemeinsam gehen sie zur Loge im ersten Stock hinauf.
Was die größte Herausforderung als Blindenreporter ist
Naß kommentiert insgesamt seit 15 Jahren, auch bei anderen Sportarten: "Blindenreportage ist das einfachste und schwerste zugleich", erklärt er, "einfach, weil das Spiel dir ja vorgibt, was du sagen musst. Jeder Pass ist ein Satz. Schwer ist es, weil du darfst nicht aufhören zu reden. Wenn ich schweige, sind die Nutzer blind." Seine Zuhörer sollen alles zeitgleich mitbekommen und mit den sehenden Fans gemeinsam reagieren können. Hören die Nutzer die Menge jubeln, bevor sie den Grund dafür erfahren, hat die Blindenreportage nicht gut funktioniert.
Die Blindenreporter verfolgen jede Bewegung auf dem Eis genau
Dabei stellt Eishockey eine besondere Herausforderung dar. Kaum ein Spiel läuft so schnell ab. Deshalb ist Naß froh, Unterstützung in einem Mitarbeiter zu haben. "Wenn ich nach Hause komme, habe ich wirklich das Gefühl, alle Wörter für den Tag aufgebraucht zu haben", sagt er mit einem Lächeln.
Die Kölner Haie verlieren ihr Heimspiel gegen Nürnberg am Ende denkbar knapp mit 6:5 in der Verlängerung. Viele Tore, ein enges Spiel und bei jedem einzelnen Tor jubelten die sehbehinderten Fans zur gleichen Zeit wie die sehenden. Für Naß und sein kleines Team ein Zeichen, dass sie ihren Job an diesem Abend gut gemacht haben.
Über dieses Thema haben wir auch am 02.10.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Köln, 19.30 Uhr.
