Eine Frau und ein Mann stehen an einem Bahngleis und lächeln in die Kamera. Beide tragen blaue Westen mit einem Symbol und der Aufschrift "Bahnhofsmission".

Die Streetworker der Bahnsteige: Wenn der Job zur Berufung wird

Städteregion Aachen | Füreinander

Stand: 04.04.2025, 13:39 Uhr

Egal ob hungrige Reisende, Obdachlose oder hilflose Rollstuhlfahrer: 22 Jahre lang hat sich Elke Schreiber um die Menschen am und im Aachener Bahnhof gekümmert. Die Lokalzeit hat sie an ihrem letzten Arbeitstag begleitet.

Von Purvi Patel

Am Gleis 1 des Aachener Hauptbahnhofs drängen sich die Menschen, steigen hastig in den Zug. Andere schieben sich gegen die Masse, winden sich aus dem Waggon. Es herrscht die übliche Hektik eines Bahnhofs. Hier am Gleis 1, am Ende des Bahnsteigs, ist die Bahnhofsmission Aachen. Vor 124 Jahren gegründet. Ein unscheinbares Gebäude, aus dem Elke Schreiber und Oliver Ostländer treten. Für Schreiber ist es die letzte Tour durch den Bahnhof, ihr Nachfolger begleitet sie.

Bahnhofsmission Aachen: Im Einsatz für Bedürftige

"Vorsicht bei der Abfahrt", schallt es aus den Lautsprechern. Menschen rennen, einige starren wie gebannt auf ihr Smartphone, andere ziehen im Zickzackkurs ihren Rollkoffer hinter sich, weichen den entgegenkommenden Reisenden aus. Es scheint, als ob jeder mit sich beschäftigt ist. Die Sozialpädagogin und ihr Kollege kümmern sich dagegen um diejenigen, die Hilfe brauchen. Sie sehen Menschen, die andere übersehen.

Elke Schreiber über ihre Arbeit bei der Bahnhofsmission Aachen

00:10 Min. Verfügbar bis 04.04.2027

An über 100 Bahnhöfen in Deutschland gibt es die christliche Hilfsorganisation, viele davon in NRW. Sie sind seit 130 Jahren Anlaufstelle für Menschen in Not. Neben den hauptamtlich Tätigen unterstützen rund 2000 Ehrenamtliche die Arbeit der Bahnhofsmissionen. Unabhängig von Glauben und Herkunft, bekommen alle Menschen, die zu ihnen kommen, kostenlos Hilfe.

Ein bisschen Wärme für Obdachlose

Draußen, vor dem Aachener Hauptbahnhof, scheint die Sonne. In der Ecke liegt ein verlassener Schlafsack, auf dem E-Scooter hockt ein verwahrloster Mann und zündet sich eine Zigarette an. Die beiden Sozialpädagogen gehen auf den Obdachlosen zu. "Alles gut?", fragt Schreiber. Es ist David, der seit zwei Jahren am Bahnhof lebt. Er und seine Kumpels kennen die Mitarbeiter der Bahnhofsmission. "Es sind tolle Leute", sagt er, "wir bekommen Kaffee oder auch mal einen Schlafsack von ihnen. Wirklich tolle Leute." Im Gebäude der Bahnhofsmission am Gleis können sie durchatmen, hier gibt es auch mal eine warme Suppe.

Warum sich Elke Schreiber nicht hilflos fühlt

00:29 Min. Verfügbar bis 04.04.2027

Schreiber und Ostländer setzen ihre Tour fort. Sie gehen durch die Bahnhofshalle, grüßen im Vorbeigehen eine Gruppe Bundespolizisten. Im Hintergrund hört man das schrille Quietschen eines bremsenden Zuges. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat Schreiber schon vieles gesehen und erlebt.

Ein junger Mann mit langen, verfilzten Haaren hat sie besonders berührt: "Er stand in Unterwäsche vor der Bahnhofsmission, mitten im Winter. Wir haben ihm Kleidung und einen Schlafsack gegeben, etwas zum Essen. Das ging tagelang so, aber er hat kein Wort mit uns gesprochen. Nach zwei Wochen hat er das erste Mal gelächelt." Das sind die Momente, die sie in ihrem Herzen trage, sagt die 62-Jährige. Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission konnten den Mann an eine Wärmestube vermitteln, wo er weitere Hilfe bekommen hat.

Aachener Bahnhofmission

Die Aachener Bahnhofsmission finanziert sich durch Spenden und kommunale Zuschüsse. Sie ist eine gemeinsame Einrichtung der beiden Aachener Sozialvereine "Wabe - Diakonisches Netzwerk" und "IN VIA - katholische Mädchensozialarbeit". In Aachen wurde die Bahnhofsmission 1901 durch jüdische und christliche Frauen gegründet. Die gut bürgerlichen Aachenerinnen wollten damit armen, wohnungslosen Frauen und Prostituierten helfen.

Helfer für alle Fälle

Obdachlose, Suchtkranke oder Reisende, die Unterstützung brauchen. Die Sozialpädagogen und ein Dutzend Ehrenamtliche sind fast täglich in Aachen unterwegs. Manchmal begleiten sie Senioren mit ihrem Gepäck zum nächsten Taxi, helfen Rollstuhlfahrern auf den Bahnsteigen oder erklären Touristen nur den Weg zum Dom. Bei Bedarf und nach einer vorherigen Anmeldung begleiten sie auch Fahrgäste bei ihrer Zugfahrt. Sie erleben dabei manchmal Kurioses. Schreibers Lieblingsanekdote handelt von einer Familie und einer Torte aus Norwegen.

Die Geschichte der verloren gegangenen Torte

00:26 Min. Verfügbar bis 04.04.2027

Schreiber und Ostländer stehen mittlerweile am Gleis 9. Langsam fährt der Zug aus Brüssel ein, kurz darauf füllt sich der Bahnsteig mit Menschen, die hastig weiterlaufen. In ihren blauen Westen mit dem rot-gelben Symbol der Bahnhofsmission wirken die Sozialpädagogen auf dem Bahnsteig wie ein Fels in der Brandung. Ein älteres Ehepaar bleibt stehen und fragt die beiden nach dem Weg. Daraus wird schnell eine kleine Unterhaltung. Die Senioren erzählen aus ihrem Leben, man lacht zusammen.

Zwei ältere Frauen und ein älterer Mann und ein mittelalter Mann stehen an einem Bahngleis neben einem Zug. Sie unterhalten sich. Zwei der Personen tragen eine blaue Weste.

Unterhaltungen mit Fahrgästen gehören auch zum Arbeitsalltag dazu

Nach 22 Jahren ist für Schreiber nun Schluss. Die ehemalige Leiterin der Bahnhofsmission geht in den Ruhestand. Sie will zukünftig Seminare halten, über Menschenwürde dozieren. Die Arbeit am Aachener Hauptbahnhof, sagt Elke Schreiber, war etwas Besonderes. Nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung.

Über dieses Thema haben wir auch am 28.03.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Aachen, 19.30 Uhr.