Bericht: Achim Pollmeier, Nikolaus Steiner, Peter Onneken
Georg Restle: „Morgens eine Zeitung zum Frühstück und abends um acht die Tagesschau. So informierten sich Millionen Deutsche in den letzten 50 Jahren. Ja, und auch wir hatten früher mal an die zehn Millionen Zuschauer. Das war einmal - aber was kommt da eigentlich auf uns zu? Hat Journalismus, wie wir ihn bei Monitor machen, überhaupt noch eine Zukunft? Oder haben bald ganz andere das Sagen? Globale Internetkonzerne, die nicht nur das große Geschäft wittern, sondern auch Einfluss nehmen auf das, was wir wissen und glauben sollen. Nikolaus Steiner, Peter Onneken und Achim Pollmeier zeigen Ihnen jetzt, dass die Zukunft längst schon begonnen hat.“
24. März, Absturz der Germanwings-Maschine. Der Tag als man noch nichts wusste, nur Trauer und Ungewissheit. Doch die Medien-Maschinerie, sie läuft schon längst. Der Strom der Berichterstattung. Fernsehen, Facebook, Twitter - im Sekundentakt türmen sich vermeintliche Neuigkeiten. Statt um Fakten geht es um Gefühle. Trauer-Tweets werden zum Nachrichtenobjekt, jede Mutmaßung wird öffentlich. Vermeintliche Überlebende, sogar die Vorlieben des Co-Piloten beim Belag seiner Pizza. Schinken, Brokkoli und Zwiebeln.
Fernsehreporterin: „Wir wissen alle, es sind nur Spekulationen.“
Die totale Beschleunigung. Schnell, aber häufig belanglos. Instant-Journalismus nennen das Medien-Kritiker wie der Blogger Sascha Lobo.
Sascha Lobo, Publizist und Blogger: „Die Gefahr liegt vor allem darin, dass Journalisten oder Leute, die zumindest vorgeben Journalisten zu sein, den Verlockungen der ständigen Berichterstattung erliegen. Dass sie einfach überhaupt nicht mehr einordnen und sortieren. Sondern dass an die Stelle der journalistischen Berichterstattung, mit Einsortierung und Bewertung, nur noch das Wegsenden von irgendwas, was gerade geschieht, tritt.“
Die Sucht nach der nächsten Nachricht, die Geschwindigkeit, sie entsteht vor allem im Netz. Twitter, Google und vor allem - Facebook. Allein die Zahl der Facebook-Nutzer in Deutschland hat sich seit 2010 verfünffacht - auf 28 Millionen. Und schon fast jeder vierte Deutsche bezieht Nachrichten über Facebook und andere soziale Netzwerke. Sie bestimmen, wer die Aufmerksamkeit ihrer Nutzer bekommt. Wer als Journalist da noch mithalten will, muss ständig liefern - schnell, laut und leicht verdaulich. Der Medienforscher Uwe Hasebrink untersucht das seit Jahren.
Uwe Hasebrink: „Da sind wir bei den Konsequenzen eben dieser Beschleunigung. Auf der Angebotsseite reden wir da über Recherchetiefe, reden wir über Gegenprüfen von bestimmten Informationen. Reden wir - wie in den letzten Jahren ja mehrfach beobachtet - schlicht über Falschinformationen, die aus der Geschwindigkeit heraus publiziert werden, weil - wir möchten damit das erste sein - und die sich dann hinterher ziemlich schnell als komplett falsch herausstellen.“
Zeitenwende des Journalismus. Die Digitalisierung führt zu fundamentalen Umbrüchen. Und zumindest eines ist klar: Der Niedergang der guten alten Zeitung ist unaufhaltsam. Die Auflage aller deutschen Tageszeitungen ist in den letzten 20 Jahren um fast 40 Prozent gesunken. Leser laufen weg, Einnahmen brechen ein. 2012 traf es selbst die renommierte Financial Times Deutschland - eingestellt. Viele kleinere Blätter sind ihr seither gefolgt. Bad Mergentheim, Süddeutschland. Die Tauberzeitung war eine Institution in der Region. Doch die Redaktion hier musste aufgeben, die Zeitung wurde geschluckt. Am 30. April war hier Schluss, die letzte Ausgabe hängt noch im Schaukasten. Hans Peter Kuhnhäuser hat daran noch mitgearbeitet.
Hans-Peter Kuhnhäuser, Lokaljournalist: „Ich denke halt, es fallen Meinungen weg. Es fallen Möglichkeiten weg, sich zu artikulieren. Es fallen Themen weg, die nicht wahrgenommen werden, weil sie halt nicht mehr entsprechend als wichtig erachtet werden. Und die Lokalzeitungen sind dann halt auch … ja, mit die ersten, die dann die Treppe runterfallen.“
Natürlich, jeder von findet im Internet tausende Meinungen. Aber für unabhängigen Journalismus will dort kaum jemand bezahlen. Die Verlage stehen mit dem Rücken zur Wand. Rettung verspricht jetzt ausgerechnet der Konzern, der diese Krise mit beschleunigt hat.
Sascha Lobo, Publizist und Blogger: „Facebook ist der ganz wesentliche Apparat, der über die Aufmerksamkeitsverteilung im Netz bestimmt. Nach einer Untersuchung von 2012 ist Facebook, was die Seitenaufrufe angeht, größer als die folgenden 100 Seiten zusammengenommen.“
Ausgerechnet Facebook, das jährlich rund 12 Milliarden mit Werbung einnimmt, macht den Verlagen jetzt ein Angebot: Instant Articles. Der nächste Schritt. Wer solche Artikel auf Facebook liest, der bleibt auf Facebook; wird nicht mehr wie bisher weitergeleitet auf die Seite einer Zeitung. Die Nutzer sollen Facebook gar nicht mehr verlassen. So wird Facebook zur exklusiven Informationsplattform. Erste deutsche Partner sind der Spiegel und Bild. Die Rettung des Online-Journalismus durch Facebook? Für den Ex-Politikchef der Financial-Times ist es eher ein Angriff auf dessen Unabhängigkeit.
Andreas Theyssen: „Wenn sich die Verleger mit den Großen wie Facebook und Google ins Bett legen, sägen sie im Prinzip am Ast, auf dem sie selber sitzen. Sie werden weniger unabhängig, sondern sind komplett abhängig von Monopolisten wie Google und Facebook, die dann auch die Bedingungen diktieren.“
Journalisten wie Theyssen sortieren die Informationen für ihre Leser nach dem Inhalt, nach Relevanz. Facebook aber folgt der Logik des Marktes. Es geht um Werbung, um Profit. Ein Nutzer bekommt bei Facebook zwar allerhand Informationen und Nachrichten. Das Problem ist aber, was er nicht bekommt. Medien wie Spiegel-Online speisen bei Facebook unablässig Nachrichten ein. Die einzelnen Nutzer bekommen jedoch unterschiedliche Artikel zu sehen. Dahinter steckt eine geheime Formel, der Facebook-Algorithmus. Er bestimmt für jeden Nutzer, welcher Artikel für ihn relevant sein könnte und welcher nicht. Scheinbar ein Service, doch ein Teil der Realität wird so einfach ausgeblendet. Facebook wird zum Nachrichtenfilter. Das wissen auch die Verlage. Aber sie stehen mit dem Rücken zur Wand, hoffen auf mehr Aufmerksamkeit und Werbeeinnahmen sagt der Digitalchef beim britischen Guardian.
Wolfgang Blau, Direktor Digitalstrategie: „Aber die Frage stellt sich natürlich: Wie wird Facebook die Wahrnehmung des Guardian vielleicht verändern? Durch diese algorithmische Auswahl, welche Guardian-Artikel oder Inhalte sie zu sehen bekommen. Wir wissen es nicht. Das Wichtigste ist: Wir werden es nie herausfinden, wenn wir nicht experimentieren.“
Ein Experiment. Doch was passiert mit einer Gesellschaft, die es Facebook zunehmend überlässt, wie wir die Welt wahrnehmen? Gefiltert von einem Quasi-Monopolisten, der entscheidet was für uns wichtig ist und was nicht.
Michael Hanfeld, Medienkritiker Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Facebook ist das Fenster zur Welt. Facebook ist der Verleger. Und das, was dort stattfindet, ist dann auch alles, was viele Leute über Facebook wahrnehmen. Und da Facebook ja dabei ist, den Menschen als das Internet schlechthin, als die einzig wahre Online-Welt zu erscheinen, heißt das, dass der Journalismus sich dem unterordnet.“
Sascha Lobo, Publizist und Blogger: „Diese gigantische Aufmerksamkeit, die alleine Facebook weiterverteilt über das Netz, die bedeutet auch Macht. Und in dem Moment, wo der Algorithmus von Facebook, der übrigens fast täglich verändert wird, in dem Moment, wo der alleine darüber bestimmt, welche Nachrichten Verbreitung erreichen und welche nicht, haben wir ein Problem.“
Es geht um mehr als um neue Formen des Journalismus. Es geht um seine Unabhängigkeit. Um die Frage, wer oder was künftig unsere Wahrnehmung und unser Denken beeinflusst.
Georg Restle: „Ja, ich gebe zu, es ist ein schwieriger Spagat für Journalisten. Und selbst wenn wir kritisch über den Internetgiganten berichten. Zur Wahrheit gehört, auch Monitor gibt es bei Facebook.“
Kommentare zum Thema
wenn in Moskau knapp 50 Leute eine Demo 3 min durchhalten, dann kommt das jede halbe Stunde in den Nachrichten. Wenn in Berlin eine Demo stattfindet, dann sagt man folgende Strasse oder Platz ist für den Autoverkehr gesperrt. Kein Wort darüber wie viele Leute wofür oder wogegen demonstrieren. Was für eine scheiss Entwicklung. Unsere Regierung bestimmt viel extremer als Facebook was wir hören sollen und was nicht!
Gleich nach Ihrem Beitrag zu den interviewunwilligen Politikern haben Sie mich lernen lassen, warum sich diese "Volksvertreter" nicht mehr einem Interview stellen. Ihr darauf folgender Beitrag zu den Flüchtlingen hier und dem Verhalten der "Einheimischen" hier dazu hat mir deutlich gemacht, warum diese Politiker bei Ihnen blockieren, dass Sie tatsächlich mit einem sehr einseitigen Blick die Probleme in Ihrem Magazin schildern. Und ich dachte immer, bei Ihnen ist diese blinde Fremdenverehrung, die alle weiteren Probleme hier einfach nur verneint, nicht Ihre Sache. Schade, einen wirklich objektiven, diskussionsfähigen Journalismus, der alle Seiten offenlegt, der ist auch bei Ihnen längst verloren gegangen. Auch bei Ihnen wird nur gebetsmühlenartig das Problem der Flüchtlinge im allgemeinen, unsere Verantwortung aus der Geschichte im immer wieder gerne ganz Besonderem, als derzeitig einzig richtig geltenden Blick im üblichen Journalistentrott erzählt. Jegliche Ablehnung der momentanen ...
Untersucht doch einmal die Korruptionsproblematiken der US-Kontrollbehörden! Immerhin wollen die TTIP-Befürworter deren Zulassungen mit europäischen Zulassungen gleichsetzen, was rein qualitativ in etlichen Bereichen nicht geht. Hinzu kommt aber auch eine ausgeprägte Korruptionshistorie nicht nur der europäischen Kontrollinstitutionen(ein andermal beleuchten) sondern eine gewaltige Korruptionshistorie auf amerikanischer Seite. Ein Einstiegspunkt könnte im Bezug auf die Medikamentensicherheit Peter C. Gotzsche bieten (FDA). Dann geht doch einmal auf die Konsequenzen eines Arbeitsmarktes zwischen EU und USA ein, was das für eine gewaltige Konkurrenz bedeutet! Diese Abkommen ziehen doch immer weitere Abkommen nach sich! Ihr recherchiert nur ein Quantum Wahrheit zu einem Thema in homöpathischen Dosen. Das reicht einfach nicht aus.