MONITOR vom 24.03.2022

Zeitenwende bei der Bundeswehr: Zwischen Aufrüstung und Verschwendung

Bericht: Lutz Polanz, Andreas Maus

Zeitenwende bei der Bundeswehr: Zwischen Aufrüstung und Verschwendung Monitor 24.03.2022 07:09 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lutz Polanz, Andreas Maus

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Georg Restle: "Zeitenwende, das ist das Wort, das gerade alles zu rechtfertigen scheint. Energie-Deals mit Katar oder Waffenlieferungen in Krisengebiete, vor allem aber eine massive Aufrüstung der Bundeswehr. 100 Milliarden Euro – plötzlich scheint alles möglich; und plötzlich scheint da niemand mehr so genau hinzuschauen. Sollte man allerdings, denn wozu braucht die Bundeswehr die hundert Milliarden eigentlich? Geht es da tatsächlich um den Bedarf der Truppe? Oder doch eher um den der deutschen Rüstungsindustrie? Die Erfahrungen zeigen, mit Geld allein ist der Bundeswehr selten geholfen. Die eigentlichen Probleme liegen oft ganz woanders. Andreas Maus und Lutz Polanz."

Deutsche Soldaten beim Manöver in Litauen. Kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Jetzt verstärkt auch die Bundeswehr die NATO-Ostflanke. Und die Bundesregierung zeigt Flagge, will die Truppe massiv aufrüsten – Zeitenwende.

Olaf Scholz, 27.02.2022: "Das ist eine große, nationale Kraftanstrengung. Das Ziel ist eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt."

100 Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren fließen, zusätzlich zum normalen Verteidigungshaushalt. Eine gigantische Summe. Aber wie kommt die Bundesregierung eigentlich auf diese Zahl? Auf Nachfrage dazu keine Erklärung. Auch nicht, warum das Bundesverteidigungsministerium vor wenigen Wochen noch ganz anders gerechnet hat. Da bezifferte das Ministerium den finanziellen Mehrbedarf bis 2026 auf 38 Milliarden Euro. Also deutlich weniger.

Jürgen Wagner, Informationsstelle Militarisierung e. V.: "Das zeigt ja tatsächlich, dass diese 100 Milliarden eine völlige Phantasiezahl ist. Zuerst müsste eigentlich ein Bedarf, ein sicherheitspolitischer Bedarf ermittelt werden, was braucht man denn überhaupt, und dann die Finanzmittel dementsprechend bereitgestellt werden. Im Augenblick scheint das genau umgekehrt gemacht zu werden."

Hinzu kommt, dass die Verteidigungsausgaben bereits seit 2014 massiv gestiegen sind: Von 32,4 auf 50,3 Milliarden Euro aktuell – ein Plus von 55 Prozent. Zusätzliche Mittel, die in der Vergangenheit vielfach verpufft sind, sagt der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels.

Hans-Peter Bartels (SPD), ehem. Wehrbeauftragter: "Dass die Einsatzbereitschaft auf einem immer noch so beklagenswerten Stand ist, wie sie heute ist, hängt an den versäumten Reformen der letzten acht Jahre. Seit 2014 wissen wir, dass die Bundeswehr für kollektive Verteidigung, für Bündnisverteidigung in Europa anders aufgestellt sein soll."

Versäumte Reformen. Das sieht man etwa beim Schützenpanzer PUMA. Sonderwünsche der Bundeswehr sorgten über Jahre für teure Umrüstungen, etwa bei der Bewaffnung. So fehlten mal die richtige Munition, mal die Ersatzteile. Dass von 350 PUMA gerade mal 40 bereit sind für den NATO-Einsatz, liegt also nicht nur am fehlenden Geld. Noch schlechter läuft es beim neuen Transporthubschrauber, der dringend gebraucht wird. Längst hätte man ein Modell aus den USA kaufen können. Das Geld war schon bewilligt. Doch Verteidigungsministerium und Haushaltsausschuss hatten noch Sonderwünsche, die doppelt so teuer kamen. So kaufte man erstmal gar nichts.

Hans-Peter Bartels (SPD), ehem. Wehrbeauftragter: "Eines der Probleme der Bundeswehrbeschaffung ist nicht nur, dass zu wenig Geld da ist, sondern dass manchmal mit dem Geld, was da ist, auch unwirtschaftlich umgegangen wird, das Geld gewissermaßen verbrannt wird, zu teuer eingekauft wird, weil man Projekte mit Forderungen überfrachtet."

Ein grundsätzliches Problem. Laut Bericht des Bundesverteidigungsministeriums beträgt die durchschnittliche Verzögerung bei laufenden Großprojekten inzwischen 52 Monate. Die dadurch verursachten Kostensteigerungen liegen bei rund 13,8 Milliarden Euro. Für die Rüstungshersteller egal. Sie bekommen die höheren Kosten selbstverständlich erstattet.

Alexander Lurz, Experte für Rüstungspolitik, Greenpeace: "Seit vielen Jahren geht eigentlich nahezu jedes Großprojekt schief. Kostenrahmen werden nicht eingehalten, Zeitrahmen werden nicht eingehalten. Am Ende steht immer eine Waffe, die weniger kann und teurer geworden ist als ursprünglich geplant."

Und das hat auch mit der ausufernden Bürokratie zu tun. Das Bundeswehrbeschaffungsamt in Koblenz. Hier kümmert man sich um alles, was die Truppe braucht. Doch für jede noch so kleine Beschaffung müssen unzählige Abteilungen eingeschaltet werden. Und seit einer Reform 2014 werden statt Standardverträgen aufwändige Einzelverträge geschlossen. Nur zwei Gründe, warum die Bundeswehr in den letzten Jahren regelmäßig nicht in der Lage war, ihr Budget für Militärische Beschaffungen überhaupt auszugeben, wie diese MONITOR-Auswertung zeigt.

Jürgen Wagner, Informationsstelle Militarisierung e. V.: "Bevor man dreistellige Milliardenbeträge in eine offensichtlich ineffiziente Struktur steckt, müsste eigentlich eine radikale Neustrukturierung des gesamten Beschaffungsprozesses vonstattengehen."

Fachleute fürchten, dass mit den 100 Milliarden die massiven Probleme bei der Beschaffung einfach nur zugeschüttet werden. Eine Task Force des Verteidigungsministeriums soll sich in den nächsten zwei Jahren um eine Reform kümmern. Konkretes gibt es derzeit kaum. Dabei weckt das viele Geld Begehrlichkeiten. Auch bei der Politik, die sich immer wieder aktiv in Beschaffungsvorhaben einmischt. Ein Beispiel für diesen politischen Einfluss: Die Marinetanker Spessart und Rhön. Seit mehr als 40 Jahren tun sie ihren Dienst, seit acht Jahren sollen neue beschafft werden. Eigentlich hätte man das Problem längst lösen können, sagt der Bundesrechnungshof. Mit zivilen Tankern, die einfach umgebaut werden. So hätte die Bundeswehr "Zeit gewinnen und Geld sparen können". Doch die Bundesregierung erklärte 2020 den Bau von Schiffen für ihre Marine zur "Nationalen Schlüsseltechnologie". So durften nur noch deutsche Werften bieten. Statt geplant 570 Millionen sollen die neuen Tankschiffe nun fast eine Milliarde Euro kosten.

Alexander Lurz, Experte für Rüstungspolitik, Greenpeace: "Deutsche Sicherheitsinteressen sind nicht durch den Tankerschiffbau berührt. Das kann man vielleicht sagen bei einer Fregatte oder beim U-Boot, bei U-Boot-Beschaffung, aber nicht beim Tankergeschäft. Da stehen ganz … ganz klare, lokale Interessen der jeweiligen Landesregierung oder Wahlkreispolitiker dahinter."

Fazit: Politischer Einfluss, der schnelle und preiswerte Lösungen verhindert, eine Beschaffungsbürokratie, die jetzt schon überfordert ist. Und Sonderwünsche, die dafür sorgen, dass Waffensysteme nicht einsatzbereit sind oder gar nicht erst beschafft werden. Die zusätzlichen 100 Milliarden dürften an diesen Problemen kaum etwas ändern.

Jürgen Wagner, Informationsstelle Militarisierung e. V.: "Die Gefahr ist tatsächlich, dass sie in einer Wunschliste versickern, die von der Rüstungsindustrie angestellt wird oder angefertigt wird und damit aber keinerlei sicherheitspolitischen Mehrwert liefern, sondern eigentlich eine reine Alimentierung und Subventionierung derjenigen Akteurinnen und Akteure darstellen wird, die von der Rüstungsindustrie und den Geldern, die da reinfließen, profitieren."

Die Rüstungsindustrie jedenfalls profitiert schon jetzt. Seit der Ankündigung der Bundesregierung haben sich die Aktienkurse wichtiger Rüstungskonzerne fast verdoppelt.

Kommentare zum Thema

  • Externe Berater 28.05.2022, 16:05 Uhr

    Unter Frau von der Leyen wurden nach meiner Kenntnis siebenstellige Summen für Beraterhonorare zur Umorganisation auch der Beschaffung der Bundeswehr ausgegeben, scheinbar ohne jeden Effekt. Danach wurde sie von Frau Merkel nach Brüssel weitergreicht und befördert. Welch ein katastrophales Signal! Geht es hierbei vor allem um eine generelle Unfähigkeit sowie um Korruption ähnlich einer Bananenrepublik? Weshalb konnte dann Hitler den europäischen Kontinent mit zahlenmässig unterlegenen Kräften derart lange besetzt halten? Sind Diktaturen die effektiveren Militärmächte? Dann gute Nacht Ukraine!

  • David Richter 07.04.2022, 20:18 Uhr

    Alles Wehklagen zu allen Zeiten zu allen Konflikten und Kriegen – eine nicht endenwollende Krux der Menschheit. Solange Kapitalismus und Imperialismus herrschen, werden deren Machtcliquen auch immer aneinandergeraden. Profit und Gier in unterschiedlichster Ausprägung. Die eigenen Bevölkerungen hinter sich bringen, wenigstens zum stillehalten? : Mit (zweifellos) tragischen Bildern, kommentiert von „Experten“, mit hilferufenden Appellen von Betroffenen, das Beschwören der eigenen Friedensliebe und das absolut funktionierende, Schritt für Schritt fein abgestimmte Einstimmen der Bevölkerung zum Wett- und Aufrüsten und ggf. aktiver Kriegsbeteiligung gehört zum Einmaleins des Kapitalismus. Mit Rechtfertigungen sparen Eliten sowieso nicht. Schuld haben immer Andere!

  • Blume, Melanie 02.04.2022, 19:18 Uhr

    Ehe der ukrainische Präsident mit seiner Kriegstreiberei uns (Deutschland, NATO) mit in einen Krieg gegen Russland hereinzuziehen, die Welt ins kriegerische Unglück stürzt hätte er ja die Möglichkeit seine von uns erhaltenen tödlichen Waffen durch einen vereinbarten Waffenstillstand schweigen zu lassen; und sich damit abfinden dass die seit 2014 nicht mehr unter verwaltungsmäßig ukrainischer Hoheit zählende Krim, wie auch Teile des Donbass nicht mehr zur Ukraine zurückkommen werden. Dieser Abwehrkrieg gegen die russische militärische Übermacht ist, selbst wenn es einzelne kriegerische Abwehrerfolge gibt, militärisch nicht gewinnbar. Solange wie die ukrainische Regierung nicht „die weiße Fahne“ schwingt wird auch die russische Armee nicht mit ihren verheerenden Angriffen auf ukrainische Städte aufhören. Nicht nur eine mehrheitliche Zivilbevölkerung in der Ukraine, welche absolut nicht den Krieg wollte will endlich wieder in Frieden leben auch schätze ich eine große Mehrheit der Russen.