MONITOR vom 06.10.2022

Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien: Öl statt Menschenrechte?

Bericht: Nikolaus Steiner, Julia Regis, Frank Konopatzki

Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien: Öl statt Menschenrechte? Monitor 06.10.2022 08:33 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Nikolaus Steiner, Julia Regis, Frank Konopatzki

Georg Restle: "Dieses Bild hätte man vor wenigen Monaten noch für unmöglich gehalten. Der deutsche Bundeskanzler zum Regierungsbesuch in Saudi Arabien. Hände schütteln mit dem saudischen Kronprinzen und Regierungschef Mohammed bin Salman; der Mann, der vielen als Drahtzieher gilt beim brutalen Mord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Im Gepäck hatte Scholz einen millionenschweren Waffendeal. Ausgerechnet mit Saudi-Arabien, dem Land, das im Jemen einen verbrecherischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung anführt, dem hunderttausende zum Opfer fielen. Genau solche Waffengeschäfte hatte die Ampelkoalition kategorisch ausgeschlossen; und auch die grüne Außenministerin war vehement gegen jeden Rüstungsdeal mit Saudi Arabien, als sie noch in der Opposition war. Schnee von gestern, jetzt ist Energiekrise, und da nimmt man es mit den Werten eben nicht mehr ganz so genau. Nikolaus Steiner, Julia Regis und Frank Konopatzki."

Der Krieg im Jemen. Seit sieben Jahren kämpft eine von Saudi-Arabien geführte Militärallianz gegen Rebellen, die vom Iran unterstützt werden. Ein Stellvertreterkrieg – mit dramatischen Folgen für die Zivilbevölkerung. Laut den Vereinten Nationen sind seit 2014 insgesamt 380.000 Menschen zu Tode gekommen und vier Millionen vertrieben worden, knapp 19 Millionen Menschen leiden an Hunger. Die Vereinten Nationen kritisieren immer wieder in ihren Berichten, dass das saudische Militärbündnis auch Luftangriffe auf Zivilisten durchgeführt habe. Und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht sogar von Kriegsverbrechen.

Wenzel Michalski, Human Rights Watch: "Saudi Arabien und die Koalitionspartner bombardieren Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Wohnhäuser. Das sind alles Kriegsverbrechen. Millionen sind auf der Flucht im Land, Millionen leiden an Hunger, und am meisten leiden die Kinder."

Schwere Vorwürfe, die die saudischen Herrscher stets zurückgewiesen haben. Doch während die Regierung Krieg im Jemen führt, gehe auch die Repression gegen Frauen und Oppositionelle im eigenen Land mit aller Härte weiter, berichten Menschenrechtsorganisationen. Journalisten würden verfolgt und weggesperrt oder – wie im Fall von Jamal Khashoggi – sogar im Ausland von einem Killerkommando ermordet.

Wenzel Michalski, Human Rights Watch: "Die Menschenrechtssituation in Saudi Arabien ist katastrophal. Jede Kritik, jede Opposition wird knallhart unterbunden. Frauen haben keine Rechte, LGBT-Personen haben keine Rechte. Es gibt keine Medienfreiheit, Massenhinrichtungen ohne dass es einen Rechtsstaat gibt. Es ist ein Willkür-Regime und man muss sagen, dass es auf der Menschenrechts-Skala ganz unten steht."

Dennoch setzt Bundeskanzler Olaf Scholz auf gute Beziehungen zum Königshaus von Saudi-Arabien. Schließlich geht es bei seiner Reise Ende September um deutsche Wirtschaftsinteressen – vor allem im Energiebereich.

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler, 24.09.2022: "Für die Zukunft wird es aber auch darum gehen, dass wir in großem Ausmaß Möglichkeiten schaffen, Wasserstoff in Deutschland einzusetzen, der hier und auch an anderen Stellen hergestellt wird."

Öl und Wasserstoff aus Saudi-Arabien. Darum geht es der Bundesregierung. Im Gegenzug hat sie offenbar auch ein Geschenk für den saudischen Prinzen im Gepäck. Die Ampel-Koalition genehmigt – wie schon die Vorgängerregierungen – Rüstungsexporte an Saudi-Arabien. Nur wenige Tage nach der Scholz-Reise teilte der grüne Vize-Kanzler Robert Habeck mit, man genehmige:

Zitat: "Zulieferungen zur Ausrüstung und Bewaffnung der Kampfflugzeuge Eurofighter und Tornado sowie Munition für Eurofighter."

Empfänger: "Saudi-Arabien". Doch Eurofighter und Tornado sind genau die Flugzeuge, die die saudische Luftwaffe auch im Jemen-Krieg einsetzt. Und seit dieser Woche droht eine erneute Eskalation des Krieges im Jemen, denn ein sechsmonatiger Waffenstillstand ist am vergangenen Sonntag – gescheitert.

Max Mutschler, Friedensforschungsinstitut BICC: "Und das sind eben genau die Waffensysteme, mit denen Saudi-Arabien in der Vergangenheit Luftangriffe im Jemen geflogen hat, dabei auch immer wieder systematisch zivile Ziele angegriffen hat, also im klaren Bruch auch des humanitären Völkerrechts. Und es steht natürlich jetzt, nachdem, nach der Nichtverlängerung des Waffenstillstandes zu befürchten, dass solche Angriffe auch wieder aufgenommen werden. Deswegen ist es gerade jetzt auch in der in der zeitlichen Nähe zu dieser Entscheidung, ist es natürlich hochproblematisch."

Deutsche Waffen könnten diese und andere Krisen verschärfen. Deshalb hatten sich vor allem die Grünen jahrelang vehement gegen Rüstungsexporte in Krisen und Kriegsregionen und für strengere Regeln ausgesprochen – allerdings, bevor sie an die Regierung kamen.

Annalena Baerbock (B'90/Grüne), ehem. Parteivorsitzende, 31.03.2019: "Das bedeutet klar: Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisenregionen kann es nicht geben und auch ein gemeinsames Flugzeug, was man entwickelt, da kann nicht das oberste Gebot sein, ob die Rüstungsindustrie damit genug Geld macht, sondern das oberste Gebot in Europa sind die Menschenrechte und da muss man sich auch beim Export dran halten."

Und zu Saudi-Arabien schrieb sie:

Zitat: "Waffen haben in Kriegsgebieten nichts verloren. Saudi-Arabien beteiligt sich am Jemen-Krieg und tritt #Menschenrechte mit Füßen. Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien muss weiter gelten."

Und genau so stand es auch im Koalitionsvertrag der Ampel:

Zitat: "Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind."

Und jetzt also doch Exporte nach Saudi-Arabien. Es sei nur eine Ausnahme, heißt es von der Bundesregierung, weil es sich dabei ja um europäische, gemeinschaftliche Rüstungsprojekte mit Italien, Spanien und Großbritannien handele. Das von den Grünen geführte zuständige Bundeswirtschaftsministerium schreibt auf MONITOR-Anfrage:

Zitat: "Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der engen Zusammenarbeit und Kooperation mit unseren EU- bzw. NATO-Verbündeten hohe Bedeutung zukommt, gerade in der aktuellen Lage."

Max Mutschler, Friedensforschungsinstitut BICC: "Das ist genau das Problem, dass sehr viele moderne Waffensysteme genauso produziert werden. Gerade Flugzeuge, aber auch andere Waffensysteme, die werden eben nicht mehr nur in einem Land hergestellt. Und wenn es dann nur, in Anführungszeichen, "nur Komponenten" sind, die von Deutschland zugeliefert werden – aber es sind eben teilweise ganz entscheidende Komponenten, ohne die es nicht gehen würde – dann ist es auch natürlich ein Problem, wenn man sagt, dafür macht man Ausnahmen. Weil letzten Endes hebelt man damit die deutschen Regeln und Gesetze aus, weil man eben immer sagt, ja, es ist irgendwie europäische Kooperation mit den Partnern. Dafür müssen wir eine Ausnahme machen."

Aber offensichtlich geht es zumindest Teilen der Ampel-Koalition genau darum. Laxere Exportregeln für die deutsche Rüstungsindustrie, so jedenfalls formulierte es die Verteidigungsministerin der SPD bei ihrer Grundsatzrede Mitte September.

Christine Lambrecht (SPD), Verteidigungsministerin, 12.09.2022: "Wir Deutschen sind da in einer Bringschuld. Mit unserem Wertevorbehalt stellen wir uns quasi über unsere europäischen Partner. Aber was bedeuten europäische Werte überhaupt, wenn wir unseren Partnern sagen, eure Moral, die reicht uns nicht. (...) Und wir müssen deswegen an die deutschen Exportregeln ran."

Ran an die Exportregeln, damit künftig mehr europäische Waffensysteme in alle Welt verkauft werden können und auch die deutsche Rüstungsindustrie profitiert. Heißt, künftig mehr Waffen an Staaten wie Saudi-Arabien, von denen sich Deutschland im Gegenzug billiges Öl und Wasserstoff erhofft. Ein Deal auf dem Rücken der Kriegsopfer im Jemen, sagen Kritiker.

Heinrich Bedford-Strohm, evangelischer Landesbischof Bayern: "Es kann keinen Handel von Waffen gegen Energie geben. Und deswegen können die Menschen im Jemen nicht dafür bestraft werden, dass die westlichen Regierungen es versäumt haben, ihre Energieproduktion rechtzeitig auf regenerative Energien umzustellen und jetzt ein Energieproblem haben. Die Menschenrechte gelten unabhängig von unserem Energieproblem. Das müssen wir anders lösen als durch die Lieferung von Waffen."

Waffen gegen Energie – Realpolitik statt Wertevorbehalt. Keine guten Nachrichten für die Menschen in Saudi-Arabien und anderen Krisen- und Kriegsgebieten.

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Kommentare zum Thema

  • Theresa 07.10.2022, 21:48 Uhr

    Werteorientierte Wirtschaftspolitik gibt es nicht. Wenn man sich danach richtet gibt es keinen wirtschaftlichen Aufschwung mehr. Dann darf man auch mit China, Afrika (Despoten) ect keine Deals mehr machen. Das funktioniert nicht. Wo die Sanktionen gegen Russland führen sieht man ja jetzt, das kann man sich nicht leisten jedenfalls nicht öfter. Was allerdings der Unterschied zwischen Russland und dem Jemen ist weiß ich nicht, eigentlich passen die Sanktionen nicht zur üblichen Politik. Das muss neutral betrachtet werden. Diejenigen die nur mit Moral daherkommen haben nichts zu verantworten jedenfalls keinen Niedergang der deutschen Wirtschaft oder gleich von ganz Europa.

  • Frank Behne 07.10.2022, 03:56 Uhr

    Deutschland verdankt seinen Wohlstand, wie alle Industrieländer, günstigen Rohstoffimporten und lukrativen Geschäften mit kriegerischen Diktaturen und der 3. Welt. Das war noch nie ein Problem für die Mehrheit in den westlichen Demokratien. Auch in Bezug auf Russland nicht. Dieser Bericht beweist, dass es bei der Ukraine um die Besitzansprüche des Westens geht.

  • Aga Bellwald 06.10.2022, 23:20 Uhr

    Wie schnell doch diese Regierung ihre an sich richtigen Ziele und Anliegen Stück für Stück über den Haufen wirft. Wer hätte das vor der letzten BTW gedacht! Langsam aber sicher schaltet die Ampel alle ihre drei Lichter aus und schrottet sich dabei gleich selbst. Aber was man nicht alles unternimmt, um den gewohnten verschwenderischen westlichen Lebenstil durch die Krise zu retten... Und dafür bereit ist, Menschenleben im Süden, Beispiel Jemen, zu opfern! Nicht zu fassen!