MONITOR vom 25.08.2022

Verschwendetes Gas: Methan aus der Ölförderung

Bericht: Lutz Polanz, Inge Altemeier, Martin Suckow

Verschwendetes Gas: Methan aus der Ölförderung Monitor 25.08.2022 08:55 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lutz Polanz, Inge Altemeier, Martin Suckow

Achim Pollmeier: "Einen großen Anteil daran haben die gestiegenen Gaskosten. Darum ist die Regierung weltweit auf Einkaufstour, um möglichst schnell möglichst viel Erdgas zu beschaffen. Bis das bei uns ankommt, dauert es aber wohl noch Jahre, während gleichzeitig routinemäßig Milliarden Kubikmeter Gas verschwendet werden. Es geht um so genanntes Begleitgas aus der Ölförderung. Es wird einfach abgefackelt oder in die Atmosphäre geblasen. Man könnte es auffangen und schon relativ bald Europa damit versorgen. Aber weder die Bundesregierung noch die EU scheinen sich wirklich darum zu kümmern; die großen Ölkonzerne schon gar nicht. Lutz Polanz, Martin Suckow und Inge Altemeier."

Methangas, massenhaft abgefackelt auf afrikanischen Ölfeldern. Gas, das die Natur zerstört und den Klimawandel befeuert.

Stefan Schwietzke, Environmental Defense Fund: "Es ist einfach eine massive Verschwendung von Energieressourcen, die gleichzeitig auch noch die Umwelt verpestet."

Dabei könnte das Gas, das hier verbrannt wird, genutzt werden. Es könnte sogar helfen, die Gasknappheit in Europa zu bekämpfen.

Mark Davis, Geschäftsführer Capterio (Übersetzung Monitor): "Damit könnten wir andere Bezugsquellen, wie das russische Gas, ersetzen."

Gas, das einfach verbrannt wird? Obwohl es gesammelt und genutzt werden könnte? Wie kann das sein? Libyen–das sogenannte Sirte-Becken. Hier fördert Wintershall DEA, Europas größter unabhängiger Energieproduzent, seit Jahrzehnten Erdöl, gemeinsam mit libyschen Partnern. Dass dabei Gas entweicht, ist kein Unfall oder Zufall. Es ist Teil des Systems. Denn bei der Förderung von Rohöl entweichen auch sogenannte Begleitgase, ein ungeliebtes Nebenprodukt. Die Gase werden vom Rohöl getrennt und dann abgefackelt, das sogenannte Flaring. Dabei entstehen große Mengen CO2. Noch schlimmer ist es, wenn die Begleitgase nicht verbrannt, sondern einfach in die Luft geblasen werden: das sogenannte Venting. Dann gelangt der Klimakiller Methan direkt in die Atmosphäre. Ob und wie viel Gas entweicht, kann man mit bloßem Auge nicht erkennen. Nur Spezialkameras und Forschungssatelliten machen die enormen Methanemissionen sichtbar.

Constantin Zerger, Deutsche Umwelthilfe: "Methan ist ein sehr klimaschädliches Gas. Es ist über 20 Jahre mehr als 80-mal so klimaschädlich wie CO2. Und wenn das direkt in die Atmosphäre entweicht, dann hat es eben eine sehr große Klimawirkung; und das ist schon bei kleinen Mengen der Fall."

Es geht aber nicht um kleine Mengen. Fast alle europäischen Mineralölkonzerne fördern in Nordafrika in großem Stil Erdöl. Neben Wintershall DEA auch die italienische ENI, die französische Total oder Shell aus Großbritannien. Und überall werden tonnenweise giftige Gase in die Luft geblasen, wie viel genau, weiß niemand. Aber Mark Davis kann uns einen Eindruck geben. Er ist Geschäftsführer des Londoner Unternehmens Capterio. Mit Hilfe von Satelliten messen sie hier weltweit die Emissionen aus Öl- und Gasquellen. Er zeigt uns ein Beispiel aus Libyen.

Mark Davis, Geschäftsführer Capterio (Übersetzung Monitor): "Wenn man das Abfackeln hier stoppt, dann ist das so, wie wenn auf einen Schlag 83.000 Autos aus dem Verkehr verschwänden. Das ist die Größenordnung einer einzigen Fackel bei einer einzigen Anlage."

Dass die Begleitgase der Ölproduktion das Klima massiv schädigen, ist kein Geheimnis. Schon seit Jahren versprechen die europäischen Konzerne, ihre CO2- und Methan-Emissionen zu senken. Bis 2030 soll das Abfackeln komplett eingestellt werden. Fakt ist aber, seit zehn Jahren bewegen sich die weltweiten Emissionen daraus auf konstant hohem Niveau. Wir recherchieren und fragen die Energiekonzerne, warum in Nordafrika immer noch so viele Klimagase in die Atmosphäre gelangen? Die, die uns antworten, bestreiten das Abfackeln nicht. Aber sie verweisen auf die Verantwortung ihrer Geschäftspartner vor Ort. Sie hätten die Betriebsführerschaft. Wintershall ergänzt, man arbeite mit den Partnern an einer Verringerung. Dass immer weiter abgefackelt und abgelassen wird, ist vor allem deshalb erstaunlich, weil die umweltschädlichen Begleitgase relativ einfach genutzt werden könnten. Als wertvolle Energiequelle, vor allem in Europa. Wie viel das bringen würde, hat Mark Davis gemeinsam mit Forschern der Columbia Universität flächendeckend untersucht.

Mark Davis, Geschäftsführer Capterio (Übersetzung Monitor): "In Nordafrika gehen jedes Jahr rund 23 Milliarden Kubikmeter durch Abfackeln, Ablassen oder Lecks verloren. Das sind etwa 15 Prozent der russischen Gasimporte nach Europa. Dieses Gas kann man auffangen und zusätzlich auf den Markt bringen. Damit könnten wir andere Bezugsquellen–wie russisches Gas–ersetzen. Wir könnten also die schädlichen Emissionen aus Nordafrika deutlich verringern und gleichzeitig unsere Energieversorgung sicherer machen."

Russisches Gas durch Gas aus Nordafrika ersetzen? Technisch wäre das kein Problem, sagen die Forscher. Rund 80 Prozent des Methans fallen in der Nähe von bestehenden Gas-Pipelines an. Leitungen dorthin zu legen wäre mit überschaubarem Aufwand möglich. Und auch über Flüssiggasterminals könnte das Gas nach Europa transportiert werden. In einem bis anderthalb Jahren könnte die Infrastruktur dafür stehen, schätzen Fachleute. Ein Geschäft, das sich schnell rechnen dürfte, glaubt Jutta Paulus, Berichterstatterin des Europaparlaments für Klimapolitik.

Jutta Paulus (B'90/Grüne), Europaabgeordnete: "Bei den hohen Preisen heute wären das wahrscheinlich wenige Monate. Die Pipelines sind da, die sind nicht ausgelastet. Die LNG-Terminals sind da, die sind nicht ausgelastet. Und Europa wird – glaube ich – dankbar jeden Kubikmeter kaufen, den es kriegen kann."

Warum die Unternehmen keine Anstalten machen, das Gas aufzufangen und zu verkaufen, ist auch Experten ein Rätsel. Zumindest gibt es Vermutungen.

Mark Davis, Geschäftsführer Capterio (Übersetzung Monitor): "Zum einen haben die Unternehmen das Problem nicht wirklich auf dem Schirm, es hat keine Priorität. Der zweite Grund ist die Frage der Wirtschaftlichkeit. Das ist heute nachweislich kein Problem – insbesondere bei den hohen Gaspreisen. Die dritte Ursache ist, dass die Regulierungsbehörden nicht genug kontrollieren, wie groß die Emissionen tatsächlich sind, und keine Strafen verhängt werden."

Kein großes Interesse bei Konzernen und Aufsichtsbehörden. Und offenbar auch nicht bei der Bundesregierung. Ob Bundeswirtschaftsminister Habeck in Katar oder Kanzler Scholz im Senegal – überall werden Absprachen für immer neue Gasvorkommen geschlossen.

Constantin Zerger, Deutsche Umwelthilfe: "Das ist klimapolitisch falsch. Es ist auch falsch für eine nachhaltige Entwicklung. Und dass er stattdessen nicht stärker auf Reduktion von Methan-Emissionen und darüber eine Erhöhung der Liefermengen aus Nordafrika setzt, das ist eine völlig falsche Priorisierung."

Laut einer Studie der Deutschen Umwelthilfe und der Umweltorganisation urgewald erteilte der Bund von 2015 bis Mai 2021 Exportbürgschaften und Garantien für "144 Öl- und Gasprojekte" im Wert von fast 12 Milliarden Euro. Dagegen gab es kein einziges Projekt, um Begleitgase wie Methan gezielt wirtschaftlich zu nutzen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz räumt auf MONITOR-Anfrage ein:

Zitat: "... die Verhinderung der Verluste in Nordafrika kann die europäische Versorgungssicherheit deutlich verbessern."

Ob und wie das geschehen soll, dazu sagt man aber nichts. Und bei der EU? Auch hier hat die Nutzung von Begleitgasen offenbar niemand so recht auf dem Schirm. Dabei hat man sich vorgenommen, die Methan-Emissionen bis 2030 weltweit um dreißig Prozent zu senken.

Ursula von der Leyen, Präsidentin EU-Kommission, 02.11.2021 (Übersetzung Monitor): "Wir müssen die Emissionen schnell senken. Und Methan ist eines der Gase, die man am schnellsten senken kann."

Um das zu schaffen, hat die EU-Kommission auch schon Vorschläge für eine neue Methan-Verordnung vorgelegt. Da geht es aber vor allem darum, das Abfackeln und Ablassen in Europa zu stoppen. Die Nutzung der vielen Milliarden Tonnen Begleitgase aus der Ölproduktion im Ausland ist kein Thema.

Jutta Paulus(B'90/Grüne), Europaabgeordnete: "Die Methan-Verordnung, so wie sie jetzt besteht, richtet sich nur an die Produktion und die Verteilung innerhalb der Europäischen Union. Aber dadurch, dass wir ja 90 % von unserem Öl und Gas importieren, fallen natürlich auch circa 90 Prozent der Emissionen außerhalb der Grenzen der Europäischen Union an. Das heißt, diese Emissionen, für die wir indirekt die Verantwortung tragen, werden von der Verordnung überhaupt nicht abgedeckt. Und das muss sich ändern."

Danach sieht es aber nicht aus. Und so wird weiter wertvolles Methangas unnötig in die Atmosphäre geblasen. Gas, das die Erderwärmung nach oben treibt, Gas, das wir gerade jetzt gut gebrauchen könnten.

Achim Pollmeier: "All das hat natürlich mit dem brutalen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu tun, der nun genau vor einem halben Jahr begann. Ein Krieg, an den wir uns nicht gewöhnen sollten. Erst heute hat Wladimir Putin die Aufstockung des Militärs angeordnet und uns erreichen Bilder aus der ukrainischen Kleinstadt Tschapyne, wo gestern ein Bahnhof beschossen wurde.

Es sind Bilder des Grauens. Nach ukrainischen Angaben wurden 25 Zivilisten getötet, darunter soll auch ein Kind gewesen sein. Russland sagte, der Angriff habe einem Militärzug gegolten, mit 200 Soldaten; überprüfen lässt sich das nicht. Nur eins ist klar, das Leid für die Menschen ist nach wie vor unerträglich. Bis Anfang dieser Woche wurden nach UN-Angaben mindestens 5.600 Zivilisten getötet in diesem Krieg. Etwa 11,5 Millionen Menschen mussten fliehen, knapp eine Million sind nach Deutschland geflüchtet. "

Startseite Monitor

Kommentare zum Thema

  • Karin Buttigieg 13.09.2022, 09:27 Uhr

    Als ich das Programm sah, war ich begeistert! Ich war sicher, daß Herr Habeck sofort sich um dieses Thema kümmern würde. Eine so geniale Idee, ein win-win rundum! Aber...nichts. Niemand in der Regierung hat sich um Methangas als Ersatz für Erdgas gekümmert. Ich bin enorm enttäuscht. Wer berät eigentlich die Regierung? Wo sind die Wissenschaftler? Warum passiert da nichts in der Regierung? Ich werde an Herrn Habeck schreiben und einen Link zum Bericht senden. Vielleicht naiv, aber versuchen kann man es ja.

  • K. 10.09.2022, 23:57 Uhr

    Es ist modern davon zu sprechen dass wir (Deutschland) von Russland abhängig seien. Dass wir von den USA abhängig sind das wird in den Medien unterdrückt. Von den USA sind wir in etwa vergleichbar abhängig wie das Verhältnis der US-Militätkosten zu unseren deutschen Militärkosten steht. Sollte es mal zu einem militärischen Konflikt der USA gegen Deutschland kommen braucht man sich hier in Deutschland nicht aufzustellen. Bisher wurden wir von den USA nur wirtschaftlich angegriffen (Sanktionen, Nordstream usw.). Wir sollten uns sofort ergeben ohne dass ein einziger Schuss fällt. Die USA hat die absolute Hoheit über Funkfrequenzen, wenn nicht immer in us-staatlicher Hand so zumindest auf us-amerikanischen Boden (UNO). Gäbe es einen Krieg wäre keine eigenständige militärische Bewegung seitens Deutschland möglich weil Deutschland keine Internetverbindungen mehr aufbauen kann. Deutschland wäre ein Art Babylon in dem niemand mehr einen anderen verstehen könnte.

  • Klinker, F. 30.08.2022, 16:28 Uhr

    Täglich werden in deutschen Raffinerien seit der Zeit in der es Raffinerien gibt Gase einfach abgefackelt. Mich hat das immer gestört, doch Ideologisch gesinnte Politjournalisten offensichtlich nicht, ansonsten hätten wir schon Jahre vorher in den Medien etwas darüber erfahren können. Die Nordstream II ist aus politisch-ideologischen Rachegründen nicht in Betrieb genommen worden, auch weil die über unsere Politik bestimmende Oberregierung in den USA es unserer Grün-68er Regierung durch Sanktionen verboten hat die Betriebsrerlaubnis zu erteilen. Rückblickend hatte unser sowie der russische Staat den größten Nutzen kurz nach Auflösung der Sowjetunion. Doch eine Nähe zwischen Russland/Deutschland hatte US-Strategen nicht gefallen (Angst vor einer Eurasischen Union). Sie erweiterten rücksichtslos die NATO in Richtung russischer Grenze. 2014 wurde durch den Maidan-Staatstreich die Kiewer Regierung durch us-sympathische Politiker ersetzt und die Ukraine zu einer US-Interessensphäre.