Ein Jahr Ukraine-Krieg: Das lange Leiden der Kriegsopfer Monitor 09.02.2023 08:10 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lutz Polanz

MONITOR vom 09.02.2023

Ein Jahr Ukraine-Krieg: Das lange Leiden der Kriegsopfer

Ein Jahr nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine nimmt das Leiden der Zivilbevölkerung kein Ende. Täglich werden Opfer dieses Krieges ausgeflogen, auch nach Deutschland. MONITOR hat eine Frau besucht, die kurz nach Kriegsbeginn nach Deutschland kam, weil sie im Krieg beide Beine verloren hatte. Ihre Geschichte steht stellvertretend für das Leiden der ukrainischen Bevölkerung und ihre Hoffnung auf eine friedliche Zukunft für die Ukraine.

Von Lutz Polanz

Georg Restle: "In zwei Wochen jährt sich der Beginn des brutalen Überfalls der russischen Armee auf die Ukraine. Und je länger dieser Krieg dauert – so scheint es jedenfalls – desto weiter rückt das tägliche Grauen dieses andauernden Völkerrechtsbruchs bei uns in den Hintergrund. Dabei werden weiter Wohnhäuser, Krankenhäuser und Schulen zerstört; verlieren Menschen ihre Heimat oder ihr Leben. Und viele, die bis zuletzt darauf hofften, ausharren zu können, haben jetzt doch die Flucht ergriffen vor Putins Bomben. Die Geschichte von Oksana ist dabei eine von vielen Geschichten. Geschichten, die zeigen, dass trotz größter Verzweiflung viele Menschen in der Ukraine die Hoffnung nicht aufgeben haben. Lutz Polanz."

Flugplatz Bonn-Hangelar, früh am Morgen. Roland Otto verstaut noch schnell Notfallrucksäcke und lebenswichtige Krebsmedikamente, dann geht es auf die Piste. Unser Ziel, die polnisch-ukrainische Grenze. Zwei Menschen soll Otto dort aufnehmen und nach Deutschland ausfliegen. Wie alle seine Kollegen von der Ukraine Air Rescue fliegt der Berufspilot ohne Bezahlung. Und obwohl es schon sein zehnter Flug ist, bewegt ihn das Schicksal der Menschen jedes Mal aufs Neue.

Roland Otto, Ukraine Air Rescue: "Eigentlich wollen die gar nicht weg. Das ist halt auch immer ein Schicksal, was da dran hängt. Das ist bewegend und es geht überhaupt nicht spurlos an einem vorbei. Also, ich krieg jedes Mal Gänsehaut und muss auch selber überlegen, dass ich meine Fassung bewahre."

11:30 Uhr Ortszeit, Landeanflug auf Mielec, im Südosten von Polen. 70 Kilometer sind es von hier aus noch bis zur ukrainischen Grenze. Erst vor Ort erfährt Roland Otto, wen er heute mitnimmt. Während das Flugzeug im Eiltempo entladen wird, haben Helferinnen Aza Pavlenko und Svitlana Voskresenskaya ans Rollfeld gebracht. Beide sind 82 Jahre alt, stammen aus dem von ukrainischen Truppen befreiten Teil von Cherson. Ihr ganzes Leben haben sie in der Stadt verbracht, bis zuletzt ausgeharrt, bis zuletzt gehofft. Jetzt können sie nicht mehr.

Svitlana Voskresenskaya (Übersetzung Monitor): "Unser rechtes Ufer wurde befreit, das linke jedoch nicht. Zwischen den beiden Ufern liegt der Fluss Dnipro. Und von der linken Uferseite aus beschießen sie ständig Cherson. Die ganze Zeit, Tag und Nacht."

Aza Pavlenko (Übersetzung Monitor): "Wir haben keine Kraft mehr, dort zu leben. Alle fliehen aus Cherson, weil es dort nur noch Ruinen gibt. Alles ist zerstört. Es gibt kaum noch Menschen dort."

Bilder aus den letzten Wochen; noch immer beschießen die russischen Streitkräfte Cherson mit schwerer Artillerie. Immer noch brennen die Häuser, wird wichtige Infrastruktur dem Erdboden gleich gemacht. Offiziell sind von den rund 300.000 Einwohnern noch 50.000 in der Stadt. Aza und Svitlana sagen, es seien noch weniger. Jetzt fliehen auch sie, zu ihren Kindern nach Köln. Zum ersten Mal in ihrem Leben verlassen sie ihre Heimat. Ob und wann sie sie wiedersehen – ungewiss. Auch sie musste ihre Heimat verlassen: Oksana Balandina. Buchstäblich Schritt für Schritt kämpft sich die 24-jährige ins Leben zurück. Wir treffen sie mit ihrem Mann Viktor in Hamburg. Oksana ist gelernte Krankenschwester, stammt aus Lissitschansk, einer Stadt im Osten der Ukraine. Und sie ist eines der ersten Opfer des Krieges. Als sie im März 2022 nach Hause ging, passierte es.

Oksana Balandina (Übersetzung Monitor): "Ich ging etwas voraus, mein Mann und sein Freund hielten an, und ich sah etwas an der Seite. Ein Projektil ragte aus dem Boden. Ich wollte das meinem Mann zeigen, ich drehte mich um und rief ihm zu: Schau mal! Ich habe dann mit der Hand darauf gezeigt. Dann erinnere ich mich nur noch, dass ich hinfiel. Ich hörte so ein Heulen im Kopf, und dann fühlte ich meine Beine nicht mehr."

Mitten aus dem Leben gerissen. Ein Leben, in dem sich für Oksana immer alles richtig anfühlte, bis zu der folgenschweren Explosion. Oksana verlor vier Finger ihrer linken Hand, und beide Beine. Eigentlich wollte sie nur noch sterben, sagt sie. Im April wurde sie nach Deutschland ausgeflogen. Die Prothesen haben ihr ein Stück Normalität zurückgegeben. Inzwischen schafft sie mit dem Rollator zwanzig Minuten auf eigenen Beinen – Glücksgefühle.

Oksana Balandina (Übersetzung Monitor): "Das ist mir sehr wichtig, weil ich zwei Kinder habe, sie sind noch klein, sie brauchen trotz allem ihre Mutter. Ich möchte nicht, dass sie mich das ganze Leben nur im Rollstuhl sehen."

Obwohl sie schon acht Jahre ein Paar waren, heirateten Viktor und Oksana erst nach dem schrecklichen Vorfall. Das Video von ihrem Hochzeitstanz im Krankenhaus, bevor sie nach Deutschland verlegt wurde, ging um die halbe Welt. Oksana will uns zeigen, wie sie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zurückgewonnen hat. Auf ihren Instagram- und TikTok-Kanälen geht sie offensiv mit ihrem Schicksal um. Postet, wie sie Stück für Stück wieder ins Leben zurückfand.

Oksana Balandina (Übersetzung Monitor): "Ich habe sehr viele Worte der Unterstützung bekommen. Alle schrieben, super, du kannst das. Wenn ich dann ein paar Tage später ein weiteres Video postete mit meinen neuen Erfolgen, wie ich bereits mit den Prothesen laufe, schrieben sie mir, dass die Fortschritte sichtbar sind. Und ich poste diese Videos auch für mich selbst, um schrittweise die Stufen zu sehen, die ich schon geschafft habe."

Inzwischen ist Oksana für viele ihrer Landsleute zum Symbol geworden, auch für ihren Präsidenten. Ein Symbol dafür, durchzuhalten, sich nicht aufzugeben. Ohne die Hilfe in Deutschland wäre ihr das nicht gelungen, sagt sie. Ein Familienausflug zum Spielplatz. Auf Augenblicke wie diese haben sie lange warten müssen. Acht Monate waren Illia und Diana bei ihren Großeltern untergebracht. Im Dezember durften sie schließlich nachkommen. Für Oksana ein großartiges Gefühl.

Oksana Balandina (Übersetzung Monitor): "Das ist sehr wichtig, weil ich sehe, wie meine Kinder aufwachsen. Meine Aufgabe ist es, ihnen zu helfen, und vor allem das Wichtigste, dass sie bei mir sind, dass ich sie sehen kann."

Und wie es für sie weitergeht, weiß die junge Mutter auch schon. Bald soll sie neue Prothesen bekommen. Dann will sie lernen, alleine zu laufen – ohne Rollator, ohne fremde Hilfe. Auch Aza und Svitlana sind froh darüber, dass sie endlich ihre Kinder wiedersehen. Und den ersten Flug ihres Lebens heil überstanden haben. Ein Flug in ein Land, das sie nicht kennen, dessen Sprache sie nicht sprechen. Am Boden wartet schon Azas Sohn auf die beiden. Jetzt geht es erst einmal in die Flüchtlingsunterkunft. Eine Woche später treffen wir sie wieder. Es gehe ihnen gut in Deutschland, erzählen sie. Länger als unbedingt nötig, wollen sie trotzdem nicht bleiben.

Svitlana Voskresenskaya (Übersetzung Monitor): "Wir sind nach Deutschland gefahren in der Hoffnung, dass wir sobald wie möglich zurückkehren. Sobald auch die linke Seite des Dnipro befreit ist und die Russen uns nicht mehr bombardieren, sind wir wieder da."

Aza Pavlenko (Übersetzung Monitor): "Wir sind in Cherson geboren und wir hoffen, dass wir dort auch sterben werden."

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Kommentare zum Thema

  • Torsten Schneider 10.02.2023, 00:34 Uhr

    Wirklich erschütternd, was die USA mit ihrem Putsch auf dem Maidan angerichtet haben. Man könnte das Ausreiseverbot für Ukrainer von18-60, die Totalüberwachung durch die NSA und die 25 000 Hungertoten der westlichen Wirtschaftsordnung pro Tag darüber fast vergessen, und vor lauter Hass auf Putin den Krieg bis zum letzten Ukrainer mit Waffen füttern, solange man nicht selber an die Front muss. Wenn man so verstörende Bilder sieht, dann ist man bereit, unter seinem Overkill-Schutzschirm die Rüstungsausgaben weiter zu erhöhen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn wir sie aus Afghanistan gesehen hätten. Immerhin haben wir pro Einwohner des Landes 25 000 $ ausgegeben, um es vom Mittelalter in die Steinzeit zu bomben. Putin wird die Ukraine nicht Preis geben. Auf der Europakarte von Dieter Schwarz mit seinen 12 000 Lidl-Filialen wird die Ukraine ein schwarzer Fleck bleiben. Aber wenn uns das nicht einen Atomkrieg kostet, werden die Reichen am Ende reicher sein.

  • B 09.02.2023, 22:46 Uhr

    Hallo Anonym, für mich offensichtlich interessieren Sie sich erst seit dem russischen Angriff auf die Ukraine letztes Jahr für diese Problematik. Somit zeigen Sie hier in Ihrem Beitrag deckungsgleich die Meinung unserer unserer kriegsbegeisterten ideologischen Grün-68er. Der Putin wird den Krieg nicht beenden. Würde er es tun rückt die USA, in Folge derer die NATO mitsamt ihrer Mittelstrecken- und Fernraketen angriffsbereit an die russische Landesgrenze nach. Der Krieg ist nicht entstanden weil Putin für die Russische Föderation „Weites Land“ erobern will. Das ist Dummgeschwätz um einfach denkende Menschen zu beeinflussen. Da Putin den Krieg nicht beendet muß es Selensky tun, um das Leben von Menschen wegen. Weiter zu kämpfen in dem Menschenleben geopfert werden um irgendwann eine bessere Verhandlungsposition zu haben das halte ich für unmenschlichen Wahnsinn. Da der Krieg indirekt seitens der USA finanziert wird (lt. Medien)muß die US-Regierung das Kämpfen durch Verhandlungen beenden.

    • Anonym 10.02.2023, 01:20 Uhr

      Geh doch rüber in das Paradies Deiner Träume, frag im Kreml nach, ob es Putin aufgegeben hat, die Ukraine zu annektieren und wenn Du die Antwort hast, kannste wieder zurückkommen und uns mitteilen, was er Dir mitgeteilt hat ! Wir sind alle schon in gespannter Erregung und könnens kaum noch abwarten !

  • Willi Hörter 09.02.2023, 15:12 Uhr

    Wer bezahlt das denn gehe mal davon aus der deutsche Beitragszahler Deswegen steigt der Zusatzbeitrag und die Leitungen werden immer weniger

    • Aga Bellwald 09.02.2023, 23:02 Uhr

      Hat aber nichts mit dem Thema zu tun, oder? Dieses ist schon tragisch genug.