Milliarden für U-Bahn-Tunnel: Bärendienst für den Klimaschutz? Monitor 23.11.2023 12:00 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Julia Regis, Andreas Maus, Lara Lohmann

MONITOR vom 23.11.2023

Milliarden für U-Bahn-Tunnel: Bärendienst für den Klimaschutz?

Großstädte wie München, Hamburg oder Köln planen oder realisieren gerade milliardenschwere Tunnelbauten für S- und U-Bahnen – angeblich für eine klimafreundliche Verkehrspolitik. Dabei dürften die Megaprojekte dem Klimaschutz einen Bärendienst erweisen, auch weil sie Jahrzehnte lang dauern und Milliardensummen verschlingen, die an anderer Stelle für eine klimafreundliche Verkehrswende fehlen.

Von Julia Regis, Andreas Maus, Lara Lohmann

Georg Restle: "Und damit kommen wir zu dem Thema, das die gesamte Republik seit Tagen in Atem hält. Das klaffende Milliardenloch im Bundeshaushalt als Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Eine höchstrichterliche Ohrfeige mit Ansage für diese Bundesregierung; und das ist fast noch höflich ausgedrückt. Jetzt also Haushaltsperre und die große Sorge bei vielen Menschen, dass sie von den drohenden Kürzungen massiv betroffen sein könnten. Von einer restriktiven Finanzpolitik spricht Christian Lindner; heißt, sparen, auch da, wo es weh tut. Nur, wo denn bitte schön? Wir wollen Ihnen jetzt mal ein Beispiel zeigen, wo der Staat jede Menge sparen könnte. Bei den wohl teuersten Bauvorhaben dieses Landes: Tunnelbauten für U- und S-Bahnen nämlich, die regelmäßig zu Milliardengräbern werden. Allein in Hamburg soll ein solcher Tunnel rund 17 Milliarden Euro kosten – und das wird vermutlich noch nicht mal reichen. Julia Regis und Andreas Maus."

Es sind Großprojekte, die Milliarden verschlingen. Immer tiefer wird in Deutschland gegraben und gebohrt für immer mehr S-Bahn- und U-Bahn-Tunnel. Zum Beispiel in München ein zusätzlicher Tunnel durch die Innenstadt. Oder in Hamburg: 25 Kilometer Tunnel für eine neue U-Bahn. Überall mit demselben Versprechen: mehr ÖPNV, mehr Klimaschutz, echte Verkehrswende – doch stimmt das? Köln: Auch hier geht es aktuell um einen neuen Tunnel für die Stadtbahn. Eine bereits bestehende Bahnverbindung würde dann unter die Erde verlegt werden; auf der sogenannten Ost-West-Achse. Über 800 Millionen Euro soll das kosten – und für weniger Autoverkehr in der Innenstadt sorgen. Fertigstellung: frühestens 2040. Zwar wird auch der Ausbau einer oberirdischen Variante geprüft, doch Stadt und Verkehrsbetriebe bevorzugen offenbar den Tunnel.

Henriette Reker, Oberbürgermeisterin Stadt Köln: "Diese Tunnelvariante bringt viele Vorteile."

Andrea Blome, Stadtdirektorin Köln: "Der Neumarkt wäre dann praktisch gleisfrei."

Noch ein U-Bahn-Tunnel quer durch die Innenstadt? Ausgerechnet in Köln? Rückblick: 2004 begann man mit dem Bau eines Nord-Süd-Tunnels; ein Großprojekt. 2009 dann die Katastrophe, das Kölner Stadtarchiv und zwei angrenzende Gebäude stürzten ein, zwei Menschen starben in den Trümmern. Heute, 19 Jahre nach Baubeginn, ist der Tunnel immer noch nicht fertig. Die Kosten haben sich von 550 Millionen inzwischen auf 1,3 Mrd. Euro mehr als verdoppelt; der Schaden durch den Einsturz des Stadtarchivs ist da noch nicht mitgerechnet. Jetzt also ein weiterer Tunnel? Wie hilft das der Verkehrswende? Rolf Beierling-Hémonet und Angela Bankert vom Bündnis Verkehrswende Köln kämpfen gegen die neuen Tunnelpläne. Straßenbahnen, die hier oberirdisch fahren, würden mit dem Tunnel nur unter die Erde verlegt. Eine Mobilitätswende sei das nicht, sagen sie.

Angela Bankert, Bündnis Verkehrswende Köln: "Im Gegenteil. Weil wir Ausbau des ÖPNV wollen, sind wir gegen den Tunnel. Denn bei dem Tunnel wird überhaupt keine Kapazität erweitert. Es werden nur die zwei Gleise unter die Erde gelegt."

Die Stadt lehnt ein Interview ab, auf Anfrage heißt es, der Prozess sei ergebnisoffen. Doch man bestätigt, dass im Tunnel keine höhere Taktung möglich sei – also keine zusätzlichen Fahrgäste transportiert werden können.

Prof. Heiner Monheim, Verkehrswissenschaftler: "Hier wird eine bestehende Strecke durch eine extrem neue Strecke ersetzt. So, das ist im Sinne der Verkehrswende absolut kontraproduktiv. Baut doch endlich da Verlängerungen, tangentiale Verbindungen, also baut euer Netz aus. Hier wird ja kein Netz ausgebaut, sondern hier wird nur eine Sache durch eine andere Sache ersetzt."

Während über den zweiten Tunnel in Köln noch gestritten wird, wird andernorts bereits gebaut. Wie in München. Hier entsteht der Tunnel für eine zweite S-Bahn-Strecke. Die sogenannte 2. Stammstrecke. Zur bereits bestehenden S-Bahn-Strecke läuft sie parallel durch die Innenstadt. Nur noch tiefer und mit weniger Haltestellen.

Alexander Dobrindt, 05.04.2017: "Wir geben den Startschuss für das größte Verkehrsprojekt Bayerns."

Markus Söder, 29.09.2022: "Ohne die zweite Stammstrecke stehen wir vor einem möglichen Verkehrsinfarkt."

Horst Seehofer, 05.04.2017: "Es ist eine wirkliche Jahrhundertentscheidung!"

Ein Megaprojekt – und megateuer. Bei Baubeginn wurden dafür rund 3,2 Mrd. Euro veranschlagt, heute rechnet man mit 8,5 Milliarden. Kosten und Zeitrahmen explodieren, gebaut wird trotzdem. Wie kann das sein? Finanziell geht das nur, weil ein großer Teil der Kosten gar nicht von den Kommunen, sondern vom Bund gezahlt wird. Fördergelder für die Verkehrswende; aber nur unter einer Bedingung. In einer standardisierten Nutzen-Kosten-Untersuchung muss nachgewiesen werden, dass der wirtschaftliche Nutzen für die Allgemeinheit höher ist als die Kosten für den Bau.

Martin Vieregg ist Verkehrsberater und hat für verschiedene Auftraggeber zahlreiche Studien zur zweiten Stammstrecke erstellt. Auch zum Verhältnis zwischen den Milliardenkosten und dem erhofften Nutzen der neuen Strecke.

Martin Vieregg, Verkehrsplaner: "Seit 15 Jahren werden immer wieder neue Nutzen-Kosten-Untersuchungen durchgeführt. Es wurde notwendig, weil das Projekt ständig immer teurer wurde. Und wenn ein Projekt teurer wird, dann wird natürlich der Nutzen-Kosten-Wert auch entsprechend schlechter ausfallen. Man hat den Eindruck, dass man so lang an Details herumgefeilt hat und Dinge verändert hat, bis dann der gewünschte Nutzen-Kosten-Wert erreicht wurde."

Den Nutzen schöngerechnet? Die Deutsche Bahn bestreitet das, räumt aber ein:

Zitat: "Die Annahmen zum Zeitplan und den Kosten (...) beruhten seinerzeit auf den damals vorhandenen Erkenntnissen – sie mögen rückblickend zu optimistisch gewesen sein …"

Megaprojekte, finanziert mit Milliarden von Bund und Ländern – gleichzeitig fehlen dem Staat jetzt Milliarden, wohl auch für den Klimaschutz.

Dabei hat der Bund selbst nicht mal einen Überblick darüber, wie viel Geld er für welche ÖPNV-Projekte ausgibt, kritisiert der Bundesrechnungshof.

Jens Hamer, Bundesrechnungshof: "In diesem Förderdschungel mit den vielfältigen Maßnahmen, Regelungen und Zuständigkeiten hat der Bund sich selber verstrickt und verloren. Er hat selber keinen Gesamtüberblick mehr. Und das ist insofern dann nicht gut, weil er selber nicht genau weiß, wie viele Millionen oder Milliarden er überhaupt für den ÖPNV aufwendet. Und so kann er dann am Ende nicht nachsteuern oder nachbessern."

Auf Anfrage von MONITOR reicht das zuständige Bundesverkehrsministerium den Vorwurf an die Länder weiter, die seien zuständig für den ÖPNV. Man arbeite aber gemeinsam an

Zitat: "Mehr Transparenz und ggf. auch Effizienz in der Mittelverwendung…"

Trotzdem wird weiter gegraben – mit Bundesmitteln. Auch in Hamburg gibt es ein U-Bahn Großprojekt. In der Hansestadt wird eine neue U-Bahn-Linie – die U5 – gebaut. Ein neuer Tunnel, 25 Kilometer quer durch die Hafenstadt – ein Prestigeprojekt.

Video der Hamburger Hochbahn zur U5: „Unter der Erde, über der Erde, in Stadt, Land und Fluss.“

Von der Hamburger Politik wird das Projekt seit Jahren beworben.

Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister Hamburg: "Wir machen hier tatsächlich ein modernes Infrastrukturprojekt, ich denke, dass das ein Vorzeigeprojekt ist für ganz Deutschland."

Olaf Scholz, 25.11.2020: "Das ist wichtig, weil man nur mit einer solchen Konsequenz und Präzision es hinbekommen kann, dass der Nahverkehr die Kapazitäten erreicht, die notwendig sind."

Wieder große Worte, wieder enorm teuer: Schon ein Jahr nach Baubeginn sind die Kosten allein für die ersten fünf Kilometer von 1,8 Mrd. Euro auf rund 2,8 Mrd. Euro gestiegen. Bereits jetzt wird mit Gesamtkosten von bis zu 16,5 Mrd. Euro gerechnet. Aus Sicht der Stadt alternativlos; nur so sei man in der Lage, in Spitzenzeiten eine ausreichende Zahl an Menschen zu transportieren, heißt es auf Anfrage. Der Verkehrsexperte Jens Ode hat das Projekt im Auftrag der Hamburger Linken analysiert. Er findet, die Milliarden könnten weitaus sinnvoller genutzt werden, und zwar für einen deutlichen Ausbau des Straßenbahnnetzes.

Jens Ode, Nahverkehrsexperte: "Für einen Bruchteil dieses Betrages – oder andersrum, mal ganz konkret – für drei Milliarden Euro würden Sie in Hamburg 150 Kilometer Straßenbahn bekommen, in jeder Ecke, in jedem Bereich, in jedem Quartier, völlig klimafreundlich, schnell gebaut, bequem für alle."

Prof. Heiner Monheim, Verkehrswissenschaftler: "Viele Städte müssten eigentlich wieder Straßenbahnen einführen; und das geht natürlich nur auf der Oberfläche. Das geht, wenn man im Konflikt mit dem Autoverkehr endlich den Mut hat, dem Autoverkehr Flächen wegzunehmen."

Milliarden in unterirdische Großprojekte, begründet wird das auch immer wieder mit dem Klimaschutz. Aber welchen Beitrag leisten solche Tunnelprojekte tatsächlich auf dem Weg zur Klimaneutralität? Tatsächlich ist der Tunnelbau selbst enorm klimaschädlich. Denn dafür werden große Mengen Stahlbeton verwendet. Die Herstellung von Stahl und Beton verursacht immense CO2-Emissionen. Eine Studie hat im Jahr 2020 Tunnelprojekte in Berlin untersucht. Der Neubau eines durchschnittlichen Kilometers U-Bahn-Tunnel setzt demnach rund 80.000 Tonnen CO2 frei. Der Studie zufolge müssten die Bahnen mindestens rund 90 Jahre fahren, bis sie beginnen, sich ökologisch zu lohnen.

Prof. Heiner Monheim, Verkehrswissenschaftler: "Klimapolitisch passt das überhaupt nicht. Das ist ein Aspekt, den hat man früher nicht so ernst genommen, aber seit etwa zehn Jahren gibt es eine Reihe von Forschungen, die eben zeigen, dass Stahlbeton ein sehr problematischer Baustoff ist, der manchmal nicht vermeidbar ist. Aber Tunnel wären ja vermeidbar und deswegen ist es absolut absurd, in einer Zeit der Klimawende permanent Tunnel bauen zu wollen."

Aber das ficht Politik und Planer in Deutschland offenbar nicht an. Eine MONITOR-Umfrage zeigt, in sieben der zehn größten Städte in Deutschland sind aktuell neue ÖPNV-Tunnel geplant oder im Bau. Dass es auch anders geht, zeigt der Blick nach Straßburg, in Frankreich. Hier wurde in den vergangenen Jahrzehnten der Straßenbahnausbau massiv vorangetrieben. Autospuren wurden dafür reduziert. In den 90ern sah es hier noch so aus. Zum Beispiel die Rue de la paix, damals vierspuriger Autoverkehr – heute fährt in der Mitte auf einem Grünstreifen die Straßenbahn. Oder die Rue Franc-Bourgeois – damals vor allem Platz für Autos, heute eine Flaniermeile mit Straßenbahn. Dabei stand seinerzeit auch der Bau einer U-Bahn zur Diskussion, erzählt Pia Imbs, die Präsidentin der Metropolregion Straßburg.

Pia Imbs, Präsidentin Metropolregion Straßburg: "Da gab es eine Debatte zwischen den beiden Optionen und es wurde deutlich, dass die Leute die Tram vorschlagen, weil es nicht unterirdisch ist, weil es schöner ist, weil es die Stadt verwandelt und weil es auch billiger ist. Wir haben sogar Japaner, die gekommen sind und sich an uns interessieren."

Das Bahnkonzept in Straßburg, ein Erfolgsmodell. Eine Reise dorthin wäre wohl nicht nur für japanische Planer ein Erkenntnisgewinn.

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Kommentare zum Thema

  • Rainer Hohn 24.11.2023, 10:20 Uhr

    Wenn endlich die Schuldenbremse aufgehoben wird spielt Geld keine Rolle mehr.

  • Tine Tin 24.11.2023, 09:50 Uhr

    Die Leute, die unser Land regieren, haben die Bodenhaftung verloren. Wir haben wichtigere Aufgaben zu erledigen, als Tunnel in Großstädten zu bohren. Es gibt gerade kriegerische Auseinandersetzungen, die uns betreffen. Es gibt Flüchtlingsströme, denen wir entgegen kommen müssen. Insbesodere müssen wir uns in Afrika einsetzen, weil ein Großteil der Flüchtlinge von dort kommt. Und unsere Leute in Deutschland dürfen wir auch nicht vergessen: die hohen Mieten in den Großstädten, hohe Energiekosten, viele Rentner/innen, die mit ihrer kleinen Rente nicht mehr zurecht kommen.

  • Joachim Neubauer 24.11.2023, 02:03 Uhr

    Auch "Monitor" muss das Wahlergebnis anerkennen. Im Bundestag sind zu 95 % Abgeordnete verteten, die für eine ganz andere Kosten-Nutzen-Rechnung stehen. Die Kosten: 25 000 Hungertote und 6 Mrd. $ Rüstungsausgaben pro Tag, 20 Kriege, Obdachlose, Kinder und Rentner in Armut, Vollzeitbeschäftigung trotz enorm gestiegener Produktivität, ein halber Monat Arbeit für die Miete, 70 % überflüssige Produktion und vermeidbarer Verkehr, verirrte Frusties in Form von Neonazis, Umweltzerstörung uvm. Der Nutzen: 1% der Weltbevölkerung besitzt mehr als die anderen 99 % und bekommt 63 % des Vermögenszuwachses. In Deutschland besitzen 5 Familien so viel wie die untere Hälfte der Bevölkerung. Das obere 1 % erhält 81 % des Vermögenszuwachses. Von diesem Nutzen muss man allerding abziehen, was die Reichen spenden. In den USA sind es 0,2 % deren Vermögens.