Bericht: Naima El Moussaoui, Andreas Maus, Adrian Oeser, Gökce Göksu
Georg Restle: „Seit Montag stimmen 1,4 Millionen Menschen mit türkischem Pass hier in Deutschland über eine neue türkische Verfassung ab. Misstrauisch beäugt von einer deutschen Mehrheitsgesellschaft, die einfach nicht verstehen kann oder will, warum sich so viele Menschen in diesem Land einfach nicht zu Hause fühlen wollen. Politiker von CDU und CSU fordern jetzt sogar eine Abschaffung des Doppelpasses. Die Deutschtürken sollen sich gefälligst entscheiden, wo sie hingehören wollen. Die Frage ist nur, ob damit in Sachen Integration irgendetwas verbessert wird oder nicht nur neue Gräben aufgerissen werden. Naima El Moussaoui, Andreas Maus und Adrian Oeser haben Menschen besucht, die alles dafür getan haben, hier anzukommen, und die immer wieder bitter enttäuscht wurden.“
Wir sind im Norden von Köln. Sonntagsfrühstück bei Familie Özdemir. Drei Generationen an einem Tisch. Vater Mitat kam vor über 50 Jahren nach Deutschland, arbeitete früher bei Ford. Drei der vier Kinder wurden hier geboren, auch die beiden Schwiegersöhne. Eine ganz normale Familie in Deutschland - Was das heißt?
Büşra: „Ich bin die Büşra und hab den deutschen Pass.“
Çagil: „Ich bin die Çagil, ich hab‘ auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Das ist mein Sohn Alpekin, er hat die doppelte Staatsbürgerschaft.“
Ufuk: „Ich bin Ufuk und ich habe die deutsche Staatsangehörigkeit.“
Mitat: „Ich bin Mitat, ich habe türkischer Pass.“
Tolga: „Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft.“
Çagkan: „Ich habe die türkische Staatsangehörigkeit.“
Ayşe: „Ich habe deutschen Pass.“
Çem: „Ich bin der Çem, ich habe einen türkischen Pass und hab den deutschen Pass beantragt.“
Eine Familie, aber ein Mischmasch von Pässen und Staatsangehörigkeiten. Ständig hat die deutsche Politik die Gesetze zur Staatsbürgerschaft geändert. Einmal Optionsmodell, einmal Doppelpass, jetzt doch wieder nicht. Das hat ganze Familien gespalten. Dabei sind die Özdemirs bestens integriert. Alle arbeiten oder studieren hier. Und werden mit der neuen Doppelpassdiskussion wieder vor den Kopf gestoßen.
Ufuk: „Mein Gott, er ist seit 50 Jahren hier, die Kinder sind alle hier geboren und aufgewachsen und müssen uns tagtäglich immer wieder der Diskussion stellen, ob wir uns zu Deutschland dazu gehören oder nicht, oder ob wir integriert sind oder nicht. Jeder Spanier und jeder Franzose und jeder Italiener kann - da erübrigt sich die Frage, ob man doppelter Staatsbürger sein kann oder nicht - aber bei den Türken heißt es immer nur, entweder bist du Türkei, pro Erdogan, oder du bist für uns Deutsche. Und das geht mir einfach im Moment so extrem auf die Nerven.“
Dass jetzt wieder darüber diskutiert wird, den Doppelpass abzuschaffen, versteht er überhaupt nicht: Vater Mitat hat den türkischen Pass. Sein Herz aber schlägt seit 50 Jahren auch für die Domstadt.
Mitat: „Also ich fühle mich auch Türke, auch Deutsche. Ich kann ohne Domspitzen zu sehen, nicht leben. Auch ohne Türkei besuchen auch nicht.“
Vor einem Jahr hat Çem die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Für den Doppelpass ist er mit 23 zu alt. Jetzt lässt ihm das deutsche Recht nur noch eine Wahl: Entweder deutscher oder türkischer Pass.
Çem: „Und dann gehst du noch zum türkischen Amt zum Schluss, gibt’s deinen Pass dahin. Dann lochen die das vor deinen Augen. Das ist dann so wie … gut, wir reißen dir jetzt das Herz raus. Kannst hier gerne ein Ersatzherz haben. Dann bist du Deutscher, bitteschön. Und so fühlt sich das Ganze an.“
Ufuk: „Warum muss man diesen Menschen, die sich zu Deutschland dazugehörig fühlen, diese Pistole auf die Brust setzen und sagen, los, entscheide dich!“
Mitat: „Das ist richtig Spalt der Geschichte. Man will die Gesellschaft spalten, warum?“
Ständiger Druck aus der deutschen Gesellschaft. Sich entscheiden, sich bekennen müssen. Was macht das mit den jungen Deutschtürken? Wir sind in Köln-Ehrenfeld. 35 Prozent haben hier ausländische Wurzeln, die meisten türkische: Sie sind hier geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen. Trotzdem leben sie in zwei Kulturen. Gerade von den Jungen fühlen sich viele ausgegrenzt. Das schafft neue Konflikte.
Esat Cavusoglu: „Wenn ich dann jetzt behaupten würde von mir, ja, ich sehe die Türkei als meine Heimat, weil ich nicht hier richtig angekommen bin. Dann heißt es, ja dann geh doch zurück in dein Land. Wenn es da so schön ist, geh doch zu deinem Diktator!“
Esat macht zurzeit eine Umschulung zum Industriemechaniker. Er ist Kölner und würde hier nie weg wollen. Der 29-jährige hat den türkischen Pass, nicht einmal ein deutscher Pass würde etwas ändern, sagt er.
Esat Cavusoglu: „Weil wenn ich jetzt einen deutschen Pass habe, ändert das auch nichts an meinem Aussehen oder an meiner Religion. Auf dem deutschen Pass steht dann immer noch ein türkischer Name drauf. Und wenn ich den dann habe, werde ich irgendwie trotzdem nicht richtig akzeptiert.“
Einmal Türke, immer Türke, egal was du machst. Das ist die Botschaft, die hier ankommt. Und nicht nur das. Heute sei er, der hier geboren ist, nicht nur „der Türke“, sondern werde vor allem auf seine Religion reduziert.
Esat Cavusoglu: „Wenn man dann sagt, ich bin Moslem als Türke, wird man direkt anders angesehen. Warum isst du denn kein Schweinefleisch, oder wenn man dann mal Alkohol trinkt, sage ich mal oder feiern geht auf die Partys, dann wird man wiederum von Deutschen ganz anders angesehen, weil man Alkohol trinkt oder auf Partys geht. Oder Schweinefleisch isst oder so, dann ist man plötzlich integriert.“
Integration. Wie misst man sie? Was erfordert sie auf beiden Seiten? Wo beginnt Anerkennung, wo Teilhabe? Welche Rolle spielt die Lebensleistung derjenigen, die schon seit Jahrzehnten hier leben? Und von vielen immer noch als Gastarbeiter bezeichnet werden? An der stillgelegten Zeche Westfalen in Ahlen treffen wir Yasabey Aldirmaz. Er ist hier Jahrzehnte täglich in den Schacht gefahren.
Yasabey Aldirmaz: „Wir haben hier als eine große Familie zusammen gearbeitet, wir sind heruntergefahren auf die 935-Meter-Sohle und haben unsere Kohlen gefördert. Das ist Herz wie Seele hier, wenn ich allein hier hineinkomme, dann kribbelt es. Leicht ist es nicht, das sind 33 Jahre gewesen.“
Ein paar Straßen weiter, im deutsch-türkischen Freundschaftsverein ist er immer noch ehrenamtlich aktiv. Trotzdem fühlt er sich von der Politik bis heute nicht gleichermaßen angenommen.
Yasabey Aldirmaz: „Ich bin mit deutschen Kindern zusammen groß geworden. Der Michael, der Ralf, der Peter, die dürfen wählen gehen, ich nicht. Wir haben die Schwerstknochenarbeit gemacht, dann war der Türke in Ordnung. Dann möchte ich doch auch genauso gut den Bürgermeister, den ich hier kenne, auch wählen. Das dürfen wir nicht.“
Aldirmaz ist engagiert, er war Gewerkschafter, Betriebsrat, SPD-Mitglied, Ausländerbeirat und Vorsitzender im Fußballverein. Er wollte dazugehören und hat alles dafür getan. Sogar einen deutschen Pass hatte er schon beantragt. Bis ein Beamter ihm klar machte, dass auch das noch nicht genug ist.
Yasabey Aldirmaz: „Einer der Beamten, der dort sitzt, sagt mir, also ruft mir zu, da war ich schon fix und fertig, ging gerade aus der Tür, du Yasabey, komm mal bitte rein. Was wird sich jetzt demnächst bei dir oben im Kopf ändern, wenn du den deutschen Pass hast? Dann habe ich ihm die Unterlagen aus der Hand genommen. Es tut mir leid, das ist zwar verkehrt, wenn ich sage jetzt, ich habe es einfach zerrissen und weggeschmissen.“
Eine Überreaktion? Vielleicht, sagt er. Aber sich auch im Kopf ändern zu müssen, seine türkische Herkunft zu vergessen, das war ihm einfach zu viel.
Yasabey Aldirmaz: „Ich habe mich damals gekränkt gefühlt und hab gesagt, ich werde da nicht mehr hinterlaufen.“
Und plötzlich macht es ihn stolz, in der Türkei wählen zu dürfen, obwohl er dort so gut wie keine familiären Bindungen mehr hat.
Yasabey Aldirmaz: „Das ist ein Gefühl, dass man als Mensch akzeptiert wird, dass ich das Recht habe, jemanden zu wählen, der für mein Land, da, wo ich herkomme, was tut. Ab heute zum Beispiel dürfen wir wählen bei den Konsulaten. Das ist ein innerliches, ein positives Gefühl einfach.“
Positive Gefühle verbinden nur wenige Deutsche mit diesem Ort. Duisburg-Marxloh gilt als Problemviertel. Erst kamen die türkischen Gastarbeiter, später andere Einwanderer, zuletzt viele Roma aus Bulgarien und Rumänien. Der Migrantenanteil liegt bei 64 Prozent. Doch auch das hier ist Marxloh. Die berühmte Brautmeile. Rund 50 Hochzeitsgeschäfte locken zumeist türkische Kunden aus ganz Deutschland und Europa hierher. Als alles brach lag, haben Deutsch-Türken wie Nihal Kuru das Viertel aufgebaut. Seit 15 Jahren betreibt sie mit ihrer Familie ein Brautmodengeschäft.
Nihal Kuru: „Ich liebe es morgens den Laden aufzumachen, meine ganzen Bekannten hier zu sehen. Dieser Laden bedeutet für mich sehr viel. Es hängt alles da dran. Meine Kinder hängen hier dran, meine Lebensweise hängt hier dran.“
Umso mehr sorgt sich Nihal Kuru um die Entwicklung des Viertels. Als Geschäftsleute kämpfen sie täglich gegen den schlechten Ruf von Marxloh, stemmen sich gegen den Niedergang.
Nihal Kuru: „Wenn ich sehe, was wir alles hier geändert haben in den letzten Jahren. Wir versuchen auch draußen schon schöner zu machen, aber das reicht nicht. Ich hätte doch schon ein bisschen vom Staat erwartet, dass sie hier ein bisschen fördern.“
Ihre Beobachtung: Jahrzehntelang wurde hier von der Stadt kaum investiert. Die Deutschen zogen weg, man siedelte Migranten an und das Viertel wurde sich selbst überlassen. Dabei geht es sehr oft nicht um große Vorzeigeprojekte, nur um kleine Gesten, dass man dazugehört.
Nihal Kuru: „Es wird auch Weihnachten nicht geschmückt, gar nichts. Ich hätte doch schon erwünscht, dass wir Weihnachten auch die Kränze und die ganzen Lichterketten haben. Wieso nicht? Also, wir sind zwar Moslems, aber gerade hier hätte ich auch gerne Lichter, dass es so „bling bling“ macht, wenn die Leute reinkommen.“
Nihal Kuru und ihre Familie erfüllen Hochzeitsträume. Die Geschäfte laufen gut und doch bleibt dieses Gefühl, nie ganz dazu zu gehören. Sie hätten sich angestrengt, sagt Ehemann Alis, hätten investiert. Sogar den deutschen Pass hat er. Aber jetzt hat er aufgegeben.
Alis Kuru: „Wenn ich 50 Jahre nicht geschafft habe, Deutscher zu werden, warum soll ich dann versuchen, noch weiter Deutscher zu werden? Der Pass ist da, aber alles andere nicht. Ich habe mein Bestes gegeben, ich habe mein Leben hier gelassen. Wenn Sie jetzt sagen, warum sind Sie noch hier? Ganz einfach, man hat Verpflichtungen, man hat Kinder, die in die Schule gehen. Wenn das irgendwann abläuft, ich will meine Rente in Türkei verbringen. In Deutschland definitiv nicht.“
Zurück in die Türkei? Ist das Zusammenleben tatsächlich gescheitert, nach über 60 Jahren deutsch-türkischer Integrationsgeschichte? Nein, sagen die Özdemirs, die mit den viele Pässen und Staatsangehörigkeiten. Aber was ihnen vor allem fehlt, ist ein klares Bekenntnis der deutschen Politik.
Ufuk: „Also die deutsche Politik muss einfach zu den Menschen stehen, die hier leben und hier ihren Beitrag leisten. Ich habe gesehen, wie in einer WM ein Mesut Özil mehr zu der Integration von vier Millionen Türken hier in Deutschland beigetragen hat, als 30 Jahre Integrationspolitik der deutschen Politiker.“
Deutsche und Türken gemeinsam in Deutschland: Es ist ein kompliziertes Verhältnis in diesen Monaten. Und es steht viel auf dem Spiel, für beide Seiten.
Georg Restle: „Das stimmt tatsächlich. Und die neue Diskussion über die Abschaffung des Doppelpasses ist dabei ganz sicher alles andere als hilfreich.“
Kommentare zum Thema
Ich liebe die Deutschen und Deutschland.Ich habe in TU CLAUSTHAL studiert,ich hatta deutsche frau und unzahliges nette deutsche freunde. Die deutschen haben sich fur frieden entschieden.Wir teilen uns zur dieser Entscheidung. Wir fuhlen uns aber nicht wie eine Deutsche. Wenn wir wieder i.d.Turkei sind,kussen die Erde von unsur Vaterland.Wir sind Bereit fur unsur Fahne fallen und zur Paradies zur landen. Wir kontenjan die deutschen nie erschiessen,niemals. Wir lieben Deutschen und Deutschland. Hoca lebe Deutschland.
Es gibt Türkeistämmige, die sich gut in D integr. haben, weil sie sich für D ents. haben, die begrüßt jeder. Wer sich n. für D entscheidet, soll wieder zurück, ganz einfach. Passiert aber n., wg.des Doppelpasses, der niem. was bringt. Fakt ist: der Doppelp. schafft innerl. Staatenlose. Die, die in D n.ankommen (wollen), aber auch n. zurück wollen, die teils k. Türkisch können u. den türk. Militärd. verweigert haben , die – entgg. dem Wohl der Türkei u. ihrer Bürger – aus vermeintl. türk. Trotz gg. die bösen Deutschen Erdogan gewählt haben (u. sind wir mal ehrlich, Hitler würde heute k. große Stimmenzahl mehr bek., wer aber den Diktator Erd. wählt,DER kommt doch der Defin. von Nazis am nächsten!!), u. dann pöbelnd u. plärrend m.der türk. Flagge im Autokorso dur.D fahren – das sind WEDER Deutsche noch Türken. Die die so auf Ehre pochen u. nach Ehre schreien, machen keinem der beiden Länder Ehre. Die halten sich nur – wenn man es Ihnen erlaubt – alle Türen offen, ohne durch eine durchzug
Wer kein Türkisch kann und nicht in der türkischen Armee gedient hat, seit Jahren in D lebt, aber sich als Türke sieht (wie einige prominente Beispiele), der hat sich nicht integrieren wollen, der will Best of both worlds abgreifen, ohne sich zu bekennen, und deshalb darf es keinen Doppelpass geben - haben alle anderen Menschen auch nicht - bekennt Euch zu D, die die das tun, werden auch nicht diskriminiert, wer aber am Wahltag von Erdogan (klar, dass man den dann wählt) vor meiner Nase in D mit der türkischen Flagge rumwedelt, den kucke ich schief an, und bei dem frage ich mich, wieso der hier lebt - und dann muss man sich nicht wundern, wenn einem unterstellt wird, dass das aus rein finanziellen Gründen geschieht, aber ohne Integrationswillen. Wenn wir das weiter zulassen/begrüßen, wird Erdogan auch bald D regieren, und dann hat KEINER mehr was zu lachen. Glaubt mir, so wirds kommen.