MONITOR vom 07.06.2018

Tschetschenien und die WM: Die Welt zu Gast beim Diktator

Bericht: Olga Sviridenko, Robert Kempe, Andreas Maus, Gitti Müller

Tschetschenien und die WM: Die Welt zu Gast beim Diktator Monitor 07.06.2018 08:38 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Kommentare zum Thema und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Genau eine Woche noch, dann ist es soweit, dann wird hier im Moskauer Luschniki-Stadion die Fußball-Weltmeisterschaft eröffnet. Und nein, das soll bitte alles nichts mit Politik tun haben, sagen viele Fußballfans und Funktionäre. Hat es aber - ob wir wollen oder nicht. Hallo und guten Abend bei Monitor!

Ganz sicher sind es auch seine Spiele. Vladimir Putin hat sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale gelegt, um die WM nach Russland zu holen. Und nicht nur deshalb hat diese WM mehr mit Politik zu tun, als viele andere zuvor. Auch deshalb, weil Russland eben nicht irgendein Land ist, sondern eines, in dem die Menschenrechte alles andere als garantiert sind. Besonders dort, wo dieser Mann das Sagen hat. Auch ein Fußballfan und einer der schlimmsten Diktatoren dieser Zeit. Ramsan Kadyrow ist Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, die er seit über zehn Jahren mit eiserner Hand regiert. Und offenbar hat die FIFA nichts dagegen unternommen, dass ausgerechnet dieser Mann einer der Gastgeber der Fußball-WM werden konnte. Olga Sviridenko, Robert Kempe, Andreas Maus und Gitti Müller.“

Es ist einer der Auftritte, die er besonders liebt: Ramsan Kadirov, Präsident der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien. Gerne auch im Axmat Stadion von Grosny. Bühne für mehr als nur Sport:

Ramsan Kadyrov, Präsident der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien (Übersetzung Monitor): „Wir erklären hiermit der Welt, dass wir die Infanterie von Vladimir Putin sind. Wenn wir den Befehl bekommen, beweisen wir es.“

Ramsan Kadyrov ist ein treuer Gefolgsmann Vladimir Putins - und jetzt auch Gastgeber bei der Fußball-WM. Hier in diesem Stadion wird die ägyptische Nationalmannschaft trainieren und nebenan, im neu erbauten Fünf-Sterne-Hotel, Quartier beziehen. Grozny, die Hauptstadt Tschetscheniens, wird so zum Schauplatz der FIFA-WM. Die Moskauer Bürgerrechtlerin Svetlana Gannuschkina findet das unerträglich. Seit Jahren weist sie auf Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien hin. Für ihre Arbeit erhielt sie 2016 den alternativen Nobelpreis.

Svetlana Gannuschkina, Bürgerrechtlerin (Übersetzung Monitor): „Die FIFA hätte das nicht zulassen dürfen, dass eine Mannschaft in der Tschetschenischen Republik ihren Trainingsstützpunkt haben kann. Das hätte auf keinen Fall passieren dürfen. Tschetschenien ist bereits jetzt eine Region in Russland, wo absoluter Totalitarismus herrscht.“

Willkommen in Grozny. Moderne Bürotürme, glitzernde Fassaden. Die Stadt wurde in den letzten Jahren neu hochgezogen. So sah es vorher aus, Grozny in Schutt und Asche. Zwölf Jahre führte Russland hier Krieg, um die Unabhängigkeit Tschetscheniens zu verhindern. Für Russland ein Kampf gegen den Terror. 2007 machte der russische Präsident Ramsam Kadyrov zu seinem Statthalter in Tschetschenien. Der sorgte für Ruhe und wirtschaftlichen Aufschwung, dank Milliardenhilfen aus Moskau. Grozny glänzt, auch für die Fußball-WM. Und einer ist hier allgegenwärtig - Vladimir Putin. Eine der zentralen Straßen ist nach ihm benannt, der Putin-Boulevard. Den Preis für den schönen Schein zahlen die, die auf der falschen Seite stehen. Es gibt keine Opposition, keine Meinungsfreiheit. Stattdessen Verfolgung und Willkür.

Svetlana Gannuschkina, Bürgerrechtlerin (Übersetzung Monitor): „Das, wovon die Leute berichten, ist furchtbar. Sie erzählen von Folter, von Plastiktüten, die über den Kopf gezogen werden, dass man andauernd verprügelt wird. So eine Gewalt gehört in Tschetschenien zum Alltag.“

Am Abend treffen wir einen Mann, der davon erzählen will. Im April 2016 wurde er von Kadyrovs Leuten verschleppt. Der Treffpunkt muss geheim bleiben, aus Sicherheitsgründen. Risvan Ibragimov war bei Kadyrov in Ungnade gefallen, weil seine kulturhistorischen Schriften angeblich die Geschichte des tschetschenischen Volkes verzerren und Hass verbreiten würden.

Risvan Ibragimov (Übersetzung Monitor): „Ich selber wurde auch schon entführt. Ich wurde in eine Polizeistation gebracht und in eine Zelle gesteckt. Mehrere Tage haben sie mich da festgehalten. Haben mich an einen Elektrogenerator angeschlossen und mich mit Stromstößen traktiert. Ja, solche Sachen passieren wirklich.“

Ramsan Kadyrov regiert die mehrheitlich muslimische Republik mit eiserner Hand. Er unterhält eine Art Privatarmee, 80.000 Mann soll sie stark sein. Nach dem Krieg kam es überall im Land zu Säuberungen, Tausende Menschen verschwanden spurlos. Und bis heute verbreiten Kadyrows Söldner ein Klima der Angst. Und sie gehen nicht nur gegen Andersdenke vor. Auch Minderheiten werden von Kadyrovs Leuten verfolgt. Im April 2017 gab es eine Hetzjagd auf Homosexuelle. Über hundert wurden laut Berichten unabhängiger russischer Medien verhaftet, viele gefoltert, drei sollen getötet worden sein. Kadyrov leugnet diese Vorkommnisse - auf seine Art.

Ramsan Kadyrov, Präsident der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien (Übersetzung Monitor): „Wir haben hier keine Schwulen. Wenn es welche gibt, nehmt sie mit nach Kanada. Gelobt sei Gott. Nehmt sie mit - weit weg von uns. Damit wir sie nicht mehr hier haben, um unser Blut reinzuhalten. Wenn es hier welche gibt, nehmt sie mit.“

Für Kadyrov ist die WM eine Chance zur Inszenierung. Fußball und Politik auf Kosten der Menschenrechte, das ist hier eins. Kadyrow tritt gerne als volksnaher Fußballfreund auf, und lässt sich das einiges kosten. Regelmäßig lädt er Alt-Stars zum Show-Kicken ein. Diego Maradona, Ronaldinho, auch Lothar Matthäus war 2011 schon hier. Und jetzt zur WM kommt die ägyptische Nationalmannschaft. Tschetschenien als Gastgeber der FIFA-WM - trotz massiver Menschenrechtsverletzungen? Dabei heißt es in den Statuten des Weltfußballverbands:

Zitat: „Die FIFA bekennt sich zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein.“

Wenzel Michalski, Human Rights Watch: „Die Moral, die dort auf dem Papier steht, die findet sich in der Realität nicht wieder. Das heißt, es ist eigentlich schon ein verlogenes und geheucheltes Verhalten, wenn ich ausgerechnet an diesem Ort … ja, ein Trainingslager aufbaue und damit diesen Ort und sein politisches Tun, die Zwangsherrschaft, legitimiere.“

Die FIFA erklärt auf ARD-Nachfrage: Ägypten sei für die Wahl des Quartiers verantwortlich. Das bedeute nicht, dass die FIFA Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien billige. Was dieses Bekenntnis im Konkreten wert ist, zeigt ein aktueller Fall. Im Januar wird dieser Mann verhaftet - Oyup Titijev. Er ist Büroleiter der Menschenrechtsorganisation Memorial in Grosny. Die Letzte, die noch im Lande selber arbeitet. Es geht um angeblichen Drogenbesitz. Ein Schauprozess, sagen viele.

Wenzel Michalski, Human Rights Watch: „Titiev ist eigentlich der letzte noch existierende Menschenrechtler in diesem Land gewesen. Der wurde jetzt mundtot gemacht, und das heißt, es gibt jetzt keinen mehr, der wirklich sich noch traut, irgendwie zu sagen, wie die Situation dort ist. Gegenüber Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch hat die FIFA erklärt, man wolle sich für den inhaftierten Menschenrechtler einsetzen. Aber was heißt das konkret? Welche Schritte hat sie unternommen? Dazu will uns die FIFA auf Anfrage nichts sagen. Menschenrechtler sind von der FIFA enttäuscht.

Svetlana Gannuschkina, Bürgerrechtlerin (Übersetzung Monitor): „In Russland und Tschetschenien gelten die Menschenrechte nichts. Die werden überall missachtet, auch jetzt von internationalen Organisationen wie der FIFA. Das ist schlimm. Und beängstigend, dass es dort nicht um Moral geht. Für die einen ist der Fußball ein Schauspiel, für die anderen geht es ums Geld, und für die nächsten um politischen Vorteil.“

In wenigen Tagen wird die ägyptische Nationalmannschaft ihr Quartier beziehen, Grozny wird zum WM-Schauplatz. Und Präsident Kadyrow weiß, wem er dafür zu danken hat.

Ramsan Kadyrov, Präsident der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien (Übersetzung Monitor): „Vladimir Vladimirovitsch ist ein in der ganzen Welt berühmter Sportliebhaber. Er macht alles, damit die WM die beste in der Geschichte des Fußballs wird. Es lebe der Präsident Russlands. Vladimir Putin - Allahu Akbar.“

Georg Restle: „Putins Meisterwerk, so heißt ein Film, den Sie am Samstag um 18:25 Uhr hier in der ARD dazu sehen können. Aber es geht nicht nur um Tschetschenien. In ganz Russland lebt gefährlich, wer anders denkt oder zu laut gegen  den Staat oder seinen Präsidenten aufbegehrt.

So wie Oleg Senzow, ukrainischer Filmemacher, verurteilt zu 20 Jahren Lagerhaft, wegen angeblicher terroristischer Aktivitäten. Seit drei Wochen ist er im Hungerstreik. Er ist einer der prominentesten Vertreter der ukrainischen Maidan-Bewegung und hatte immer wieder gegen die russische Intervention in der Ukraine protestiert.

Oder Alexander Sokolov, ein Moskauer Journalist, der über Korruption in Russland recherchiert und berichtet hatte. Verurteilt zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in einer extremistischen Vereinigung. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial nennt ihn einen politischen Gefangenen.

Oder Kirill Serebrenikov, Leiter des Moskauer Gogol-Zentrums. Der Theater- und Filmregisseur steht seit fast einem Jahr unter Hausarrest, weil er angeblich Geld veruntreut hätte. Serebrenikov gilt als ein Freidenker, der sich auch für die Rechte von Schwulen stark macht. International setzen sich viele Künstler für die Aufhebung der Strafe ein.“

Kommentare zum Thema

  • Schulte 15.06.2018, 12:59 Uhr

    Interessenshalber, wie mag man sich fühlen wenn immer wieder gegen Russland hetzt, propagandiert und versucht Russland populistisch wirkend zu diskeditieren? Warum unterstützen viele Journalisten unserer Leitmedien Politiker der USA, der EU und unserer Regierung wie der grünen Partei darin unsere Welt wieder in eine kriegerische Katastrophe zu ziehen? Zumal auch Journalisten in einem, scheinbar von Politiker gewollten neuen Weltkrieg keine Überlebenschanceb haben. Die Länder der russischen Förderation militärisch „einkesseln“, in früheren Bündnisländern der Sowjetunion versuchen durch Provokateure Unruhen zu schüren um Regierungen zu stürzen und immer wieder behaupten dass Russland der Aggressor wäre der so etwas bei unseren Ländern macht. Offensichtliche Lügenverbreitungen, welche die Stimmung in unseren Völkern für einen Krieg gegen Russland vorbereiten sollen sind meiner Meinung vor dem Hontergrund dass in einem Krieg Millionen Menschen sterben, Verbrechen.

  • Eine Hetze gegen Russland ist öfter zu lesen als über die Weltmeisterschaft selbst. 15.06.2018, 09:52 Uhr

    Die Hetze geht weiter. Sieht man sich heute z.B. Bei T-Online die Sportnachrichten an findet man erst an 8. oder 10. Stelle eine Berichterstattung über das schöne Fußballspiel zwischen der russischen und saudischen Manschaft. Vorher wird zwar teils auch von Fußball berichtet aber das Spiel der Weltmeisterschaft wurde zurückgestellt. Als erstes steht eine Negativbeschreibung eines Journalisten darüber dass er von einem Polizisten mit einem Gewehr in der Hand überprüft zur Personenkontrolle überprüft wurde. Die Russen können sich anstrengen wie sie wollen, sie werden von unseren Medien immer wieder nur negativ beschrieben. Ein anerzogener Hass auf Russen unserer links-grün-68er erzogenen Journalisten ist überall zu spüren. Ich bin mal gespannt wann die Hetze auf die Russen wegen einer bei Russen vermuteten Schwulenfeindlichkeit wieder aufflammt.

  • Westliche Journalisten sowie Politiker, seid endlich friedvoller zu Russen und Russland, wir brauchen Frieden keinen Krieg 14.06.2018, 17:14 Uhr

    So, Herr Restle und viele andere Anhänger der parteiübergreifenden links-grün-68er Ideolgie. Nun beginnt die Wektmeisterschaft im Fußball. Dass bis noch kurz vor der Eröffnung der Meisterschaft gehetzt und prpagandiert wurde, das finde ich einfach frech, unanständig und feindbildschaffend. Unser Land braucht keine Hetze, Propaganda gleich der Art wie Goebbels immer wieder das deutsche Volk gegen Menschen aufhetzte. Wer Frieden will muss sich auch friedlich verhalten. Er sollte auch nicht permanent nur über negative Dinge aus Russland berichten und gute Seiten einfach weglassen. Es gibt sehr viele gute Seiten vom heutigen Russland zu berichten. Dessen Präsident ist nicht Stalin. Nur wer Krieg will, der steigert seine verbalen Angriffe, Sanktionen, seine Hetze, seine Mobilmachungen und Diskriminierungen gegen Russland. Ich staune immer wieder wie ruhig und gelassen Russland diese beständigen Angriffe von westlichen Politikern und Journalisten widersteht, ohne direkte Vergeltung.