Achim Pollmeier: "Razzia bei einem Handelsunternehmen in München. Zollbeamte durchsuchten heute Morgen den Firmensitz, beschlagnahmten Akten. Das Unternehmen ist Teil eines russischen Firmennetzes, dass auch in Kriegszeiten massenweise Technologie nach Russland schaffte. Guten Abend und willkommen bei MONITOR.
Es ist ein Netzwerk, dem auch wir seit Monaten hinterher recherchieren. Und der Grund für diese Recherche liegt natürlich hier – in der Ukraine – wo sich die Lage erneut zuspitzt. Die Raketenangriffe auf Kiew und viele andere Ziele nehmen wieder zu, vielleicht der Anfang der gefürchteten russischen Winteroffensive. An Nachschub bei den Waffen scheint es Russland jedenfalls nicht zu mangeln. Denn noch immer gelangen westliche Bauteile für die russische Waffenproduktion fast ungebremst nach Russland, Mikrochips, Prozessoren und so weiter. Ukrainische Forensiker finden sie dann in solchen Waffenteilen. Und da fragt man sich doch, wie ist das immer noch möglich? Das haben Andreas Maus, Julius Baumeister und Véronique Gantenberg gemeinsam mit einem internationalen Team recherchiert. Auf der Spur eines russischen Firmen Netzes, das auch nach Deutschland reicht."
Gestern am frühen Morgen, russische Raketen detonieren über Kiew. Wieder trifft es Unschuldige, wieder sinnlose Zerstörung. Russland überzieht die Ukraine seit Wochen erneut mit massiven Angriffen. In Propagandavideos demonstriert Putins Armee Stärke, auch mit hochmoderner Waffentechnik. Wie etwa der Langstreckenrakete KH 101. Mit ihrer Tarnkappentechnik ist sie schwer auszuschalten und verfügt über eine enorme Zerstörungskraft. Hier im Institut für Forensik in Kiev untersuchen Oleksandr Vysikan und sein Team die russische Kriegstechnik.
Oleksandr Vysikan (Übersetzung Monitor): "Hier, das sind Teile der Iskander M Rakete. Und dieses Teil ist von der KH 101, einer Langstreckenrakete."
Und es zeigt sich, in fast allen modernen russischen Waffen werden elektronische Bauteile entdeckt, die Russland aus dem Westen importiert hat.
Oleksandr Vysikan (Übersetzung Monitor): "Das sind Russische … russische. Und das sind alles ausländische Komponenten. Und hier diese elektronischen Teile sind von Texas Instruments.
Reporter (Übersetzung Monitor): "Texas Instruments?"
Oleksandr Vysikan (Übersetzung Monitor): "Ja…die hier."
Gemeinsam mit der niederländischen Sendung Nieuwsuur und dem britischen Thinktank RUSI wollen wir wissen, wie Russland noch immer an diese Güter kommt.
JamesByrne, Royal United Services Institute for Defence an Security Studies (RUSI) (Übersetzung Monitor): "Russland benötigt unter anderem Mikroelektronik, Mikroprozessoren und GPS-Komponenten. Eine Vielzahl von Dingen, die in Waffen eingebaut werden und die sie in großen Mengen verlieren. Diese müssen ersetzt werden."
Diese Verluste mit neuer westlicher Technik zu ersetzen, scheint für Putins Militär kein Problem. Und das fast zwei Jahre nach Kriegsbeginn. Wie kann das sein? Unsere Recherche beginnt hier in Moskau. Hier folgen wir einem Hinweis auf ein russisches Unternehmensnetzwerk, das bis nach Deutschland reicht. In diesem Gebäudekomplex hat das Unternehmen Compel seinen Sitz. Es ist nicht irgendein Unternehmen, sondern einer der wichtigsten russischen Importeure von elektronischen Waren. An der Spitze von Compel ist dieser Mann, Boris R. Sein Unternehmen wurde im Juli von den USA sanktioniert. Uns teilt Compel auf Anfrage mit, man beliefere nur zivile Unternehmen. Doch Daten von Compel, die das Londoner Institut RUSI analysiert hat, zeichnen ein anderes Bild. So hat Compel von etlichen russischen Unternehmen zwischen Januar 2022 und Januar 2023 Zahlungen für Produkte bekommen. Etwa von NIIIT – einem Institut für Informationstechnologie, das zahlreiche Rüstungsunternehmen beliefert, ebenso wie TESTKOMPLEKT. Beide Unternehmen wurden durch die USA sanktioniert.
JamesByrne, Royal United Services Institute for Defence an Security Studies (RUSI) (Übersetzung Monitor): "Wir haben Hinweise gefunden, dass viele dieser Unternehmen direkte Verbindungen zum militärisch-industriellen Komplex Russlands haben, einschließlich zu Rostec, dem größten staatlichen Rüstungskonzern. Wir glauben also, dass viele der Komponenten, die aus unseren Ländern, aus Europa importiert wurden, bei Unternehmen gelandet sind, die direkt zum Krieg in der Ukraine beitragen."
Technologie aus dem Westen, die über die Moskauer Firma Compel möglicherweise in russischen Waffensystemen landet? Ein schwerer Vorwurf. Fakt ist, um elektronische Güter zu importieren, hat Compel schon vor Jahren ein internationales Netzwerk von Firmen aufgebaut. Während unserer Recherche können wir Zolldaten aus Russland einsehen. Eine Spur führt darin auch nach Deutschland, zu einer Firma in der Nähe von München: die WWSemicon GmbH. Demnach lieferte WWSemicon seit Jahren elektronische Waren an Compel. Von Herstellern wie Texas Instruments, Infineon und anderen. Mit Umsätzen in Millionenhöhe, hunderte Lieferungen, auch noch dieses Jahr. Viel ist im Netz über WWSemicon nicht zu erfahren: Wir fragen uns, was sind das für Lieferungen? Was sagt die Firma zu Vorwürfen, dass ihre Lieferungen möglicherweise in russischen Waffen landen? Da wir auf wiederholte Anfragen keine Antwort bekommen, fahren wir nach Bayern; hier in Grasbrunn hat WWSemicon seinen Sitz. Im ersten Stock gibt es ein Büro, aber wir treffen niemanden an. Wir recherchieren weiter. Die Zolldaten zeigen: WWSemicon liefert offenbar überwiegend an Compel. Und darüber hinaus gibt es enge persönliche Verflechtungen zwischen Compel in Moskau und Boris R. sowie WWSemicon in Deutschland. Eine Gesellschafterin von WWSemicon ist laut Handelsregister ausgerechnet: die Tochter von Boris R., dem Compel Chef. Ein weiterer Gesellschafter hat früher bei Compel gearbeitet. Gleichzeitig ist er als Geschäftsführer einer Niederlassung von WWSemicon in Bratislava eingetragen. Bratislava – auch die Stadt taucht in den Daten immer wieder auf. Wir fahren in die slowakische Hauptstadt. Vielleicht erfahren wir hier mehr über die Lieferungen von WWSemicon an Compel. Zu der Niederlassung gehört offenbar auch ein Warenlager.
Reporter (Übersetzung Monitor): "Hallo, ich bin vom Deutschen Fernsehen, ich würde gerne jemanden vom Management vom Semicon sprechen."
Und kurz darauf erscheint die Geschäftsführerin von WWSemicon aus Deutschland. Unsere Anfragen habe sie nicht bekommen, sagt sie. Ihre Lieferungen an Compel seien alle legal gewesen und mit den Zollbehörden abgestimmt. Man habe keine Sanktionen verletzt. Sie sei bereit auf alles zu antworten – heute allerdings nicht.
Geschäftsführerin: "Ich brauche da auch Zeit zu lesen. Grundsätzlich vorbereitet nicht oberflächlich. Es ist nicht in meinem Interesse, dass es oberflächlich kommt. Weil es wirklich eine wichtige Thema."
Aber auch später beantwortet sie unsere konkreten Fragen nicht. Etwa, ob sie ausschließen kann, dass die Waren beim russischen Militär landen. Fest steht, auch legale Lieferungen können ein Problem sein, sagen Fachleute. Zum Beispiel solche Bauteile, die in russischen Raketen und Drohnen gefunden wurden. Doch möglicherweise geht es bei Lieferungen von WWSemicon an Compel auch um mehr. Bei weiteren Recherchen in den Zolldaten fallen uns Warencodes auf, die offenbar zum Zeitpunkt der Lieferung von der EU sanktioniert sind. Wir zeigen die Daten Bärbel Sachs, Expertin für Sanktionsbestimmungen und bitten sie um eine Einordnung.
Bärbel Sachs, Rechtsanwältin Außenwirtschaftsrecht: "Auf der Basis der Daten, die wir gesehen haben, haben wir gesehen, dass es sich um Waren handelt, die Zolltarifnummern haben, die klar unter das Embargo fallen. Das heißt, die Lieferung nach Russland und auch die Lieferungen innerhalb Russlands sind verboten und verstoßen gegen das Embargo."
Wurden also doch Waren exportiert, deren Ausfuhr verboten war? Wir fragen wieder bei WWSemicon nach und erhalten wieder keine Antwort. Viele Lieferungen an Compel gingen laut Daten über ein Drittland; auch ein Teil der Verdächtigen. Und über ein Unternehmen, das auch zum Compel-Netzwerk gehört. Finder Technology Limited. Der Sitz des Unternehmens ist Tausende Kilometer entfernt, in Hongkong. An der Spitze von Finder, dieser Mann: Alex S. Alex S. war auch Gründer und Gesellschafter von WWSemicon in Deutschland. Auch von Finder Technology bekommen wir keine Antworten zu Lieferungen an Compel und möglichen Sanktionsverstößen. Ein weltweites Firmennetzwerk, schwer zu durchschauen. Die Kontrolle solcher Lieferketten funktioniere schlecht, sagen Kritiker, vor allem wenn Lieferungen über Drittstaaten gingen.
Gustav Gressel, Politikwissenschaftler, European Council on Foreign Relations: "Es gibt große Lücken in der Überwachung. Natürlich brauche ich eine ganz starke Vernetzung zwischen Auslandsaufklärung, zwischen Finanzbehörden, also der Banken und Finanzmarktaufsicht, der Zollbehörden, aber wir haben keine zentrale Behörde, die für die Überwachung der Sanktionen wirklich zuständig wäre. Die EU ist da erst in den Kinderschuhen."
Keine zentrale EU-Behörde und große Lücken in der Sanktionsbekämpfung. Auch darum geht es aktuell auch beim EU-Gipfel in Brüssel. Ausgerechnet Deutschland bremste hier zuletzt. Unter anderem bei der Frage, ob künftig nicht nur Unternehmen, sondern auch Staaten auf Sanktionslisten gesetzt werden können, wenn sie Sanktionsumgehungen ermöglichen. Deutschland war dagegen. Das zeigen vertrauliche Dokumente, die MONITOR vorliegen. Auf die Sanktionslisten sollten demnach nur
Zitat: "...Unternehmen, nicht Staaten…"
gesetzt werden können. Eine Haltung, mit der die Bundesregierung andere EU-Länder verärgerte. Die hielten dazu fest:
Zitat: "Die zentrale Säule des 11. Paketes werde dadurch geschwächt …"
Die Möglichkeit, Staaten zu sanktionieren, sei damit praktisch vom Tisch, sagen Kritiker.
Roderich Kiesewetter (CDU) MdB, Obmann Auswärtiger Ausschuss: "Die Bundesregierung weicht durch ihr Vorgehen das Sanktionsregime auf und spaltet damit auch die Europäische Union. Weil die Länder, die östlich von uns sind, das viel restriktiver sehen, weil sie auch die Bedrohung durch Russland viel deutlicher spüren und quasi auch sehr klar machen, was auf dem Spiel steht. Die Bundesrepublik lässt damit die Ukraine im Stich."
Zurück zu WWSemicon. Heute Morgen tauchen plötzlich Beamte des Zolls auf und durchsuchen die Geschäftsräume der Firma, beschlagnahmen Akten. Zu Details wollte sich die zuständige Staatsanwaltschaft gegenüber MONITOR nicht äußern.
Achim Pollmeier: "Auch die Bundesregierung hat uns übrigens mitgeteilt, der Export von Elektronik über Drittstaaten sei eines der größten Probleme. Dann sollte man bei den Gegenmaßnahmen vielleicht nicht auf der Bremse stehen."
Kommentare zum Thema
Danke für den Beitrag! Ich wünsche mir, dass das Agieren der Bundesregierung noch genauer dargestellt wird: was waren die Forderungen welcher EU-Länder zum Thema, und mit welchen Argumenten oder Aussagen stellt sich welcher Teil der Bundesregierung dagegen? Wie sind die Reaktionen der anderen EU-Mitgliedsländer und wie könnte die Bundesregierung dazu gebracht werden, ihre Position zu ändern? Herzliche Grüße!
Unser spielt ein falsches spiel und das nicht zum ersten mal und das kann nach hinten losgehen, weiterhin bemerke ich das Deutschland durch seine Politik unglaubwürdiger wird - zu oft hört man viel versprechen und nichts halten, wir sollten obacht geben das die EU durch sollche Politik nicht weiter auseinander driftet, denn wenn Sanktionen ausgesprochen werden dann sollte man sich auch daran halten und diese Konsequent durchziehen alles andere ist unglaubwürdig - es sei denn man lebt schon ganz ungeniert.r.wolff
Täglich die Einteilung unserer Medien in „Gut“ und „Böse“, die Frage: „Auf welcher Seite stehst Du denn“, „Gerechter sowie ungerechter Krieg“. Diese Einteilungen sind voll ideologisch geprägt, nicht verstandbezogen. Ich meine kein Krieg ist gut, alle Kriege sind schlecht und unabhängig wer Kriege begonnen hat, Kriege gehören durch Diplomatie in Frieden gewandelt. Leider denken unsere heutigen Politiker nur noch ideologisch, nicht menschlich nach Vernunft. Den eigenen sowie den Soldaten auf der gegnerischen Seite schmerzt ein Tod gleich.