MONITOR vom 20.02.2020

Im Zweifel nach rechts? Wie der Extremismus aus der Mitte die Demokratie gefährdet

Bericht: Julia Regis, Lara Straatmann

Im Zweifel nach rechts? Wie der Extremismus aus der Mitte die Demokratie gefährdet Monitor 20.02.2020 07:08 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Julia Regis, Lara Straatmann

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Georg Restle: „Indem man zum Beispiel so tut, als wären die Bedrohungen durch Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus gleichzusetzen mit einer Gefahr von links. Dafür wird dann gerne ein solches Hufeisen als Bild verwendet. Um zu zeigen, dass sich die extremen Ränder angeblich sehr nahe stehen und von ihnen quasi die gleiche Gefahr ausgeht. Um zu beweisen, wie falsch dieses Bild ist, hätte es nicht erst des Anschlags von heute gebraucht. Man konnte es in den letzten Wochen auch in Thüringen beobachten, wo eine Unvereinbarkeit mit Links am Ende dazu führte, dass man mit genau den Rechtsextremisten paktiert wurde, die Terroristen wie dem von Hanau geistig den Weg bereiten. Julia Regis und Lara Straatmann.“

Wieder rechter Terror, fünf Monate nach dem Attentat in Halle, neun Monate nach dem Mord an Walter Lübcke. Wieder Todesopfer durch einen rechtsextremen Attentäter.

Volker Bouffier (CDU), Hessischer Ministerpräsident: “Ich glaube jetzt ist zunächst einmal die Stunde schlicht und ergreifend des Innehaltens. Dann kommt die Aufklärung. Und gegebenenfalls wird man dann zu diskutieren haben, wie wir damit umgehen.”

Wie umgehen mit Rechtsterrorismus in diesem Land? Wie groß ist die Gefahr?

Robert Feustel, Universität Jena: „Es gibt eine dreistellige Zahl von Mordopfern rechter Akteure in den letzten 20 Jahren. Unlängst ist eine Terrorzelle von rechts aufgeflogen, die zwölf Attentate auf Moscheen geplant hat, es gab den NSU, es gab Hannibal. Es gibt also eine ganze Reihe von rechtsextremen, rechtsradikalen Akteuren. Die mit konkreten Umsturzfantasien und mit Attentaten, in Halle zuletzt aufwarten. Hinzu kommt, dass die ideologische Nähe von rechtsterroristischen Initiativen zu ihrem politischen Arm in den Parlamenten, zur AfD offensichtlich ist.“

Umsturzpläne, rechte Gewalt und die AfD. Wie eng das alles beieinander liegt, zeigte sich in der Vergangenheit immer wieder – auch in Chemnitz. Im September 2018 marschierten hier Rechtsextremisten, gewaltbereite Hooligans und auch der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke gemeinsam mit der AfD. Angeführt von Björn Höcke. Dem Mann, der jüngst in Thüringen zum Königsmacher wurde. Die Abgrenzung zu Rechtsextremisten wie ihm – aufgehoben. Auch wenn die CDU danach immer wieder die Distanz betont, aber eben nicht nur zur AfD.

Paul Ziemiak (CDU): „Es geht jetzt darum, dass wir die politische Mitte in diesem Land stärken und nicht die Ränder.“

Abgrenzung nach rechts wie nach links. Hinter dem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU steht ein Gesellschaftsbild. Die sogenannte Hufeisentheorie. Danach sind die politischen Ränder, Rechts- und Linksextremisten, AfD und Linke, gleichermaßen gefährlich für die Gesellschaft. Sie stünden sich sogar nahe. Ein richtiges Bild? Oder Ablenkung von der wirklichen Gefahr?

Prof. Beate Küpper, Hochschule Niederrhein: „Das Hufeisenmodell bietet sich parteipolitisch natürlich im Kampf der Parteien, im Wettbewerb der Parteien dazu an, instrumentalisiert zu werden. Und das können wir im Moment beobachten, dass wir so ein bisschen schnappatmungsmäßig haben, wenn man über Rechtsextremismus spricht, muss man auch über Linksextremismus sprechen, wenn man über Parteien der äußersten Rechten spricht, muss man auch über die Linkspartei sprechen, so dass dann die Linkspartei unter den Verdacht des Linksextremismus gestellt wird. Das sind alles solche politischen Spielchen, die im Grunde genommen von der wirklich wichtigen Frage ablenken, nämlich wie steht es um die demokratische Qualität der Gesellschaft?“

Sind die Gefahren von Links- und Rechtsextremismus in dieser Zeit tatsächlich vergleichbar? Droht ein Umsturz von links oder eher von rechts? Tatsache ist, als linksextreme Gefährder gelten laut Bundeskriminalamt fünf Personen. Als Rechtsextreme, denen zugetraut wird, Anschläge zu verüben, werden aktuell rund 60 Personen eingestuft. Seit dem Jahr 2012 hat sich diese Zahl verfünffacht. Und auch die Zahlen der Todesopfer extremer Gewalt sind eindeutig. Seit 1990 – mindestens – 94 Tote durch rechtsextreme Gewalt, die Zahl der Todesopfern linksextremer Gewalt schwankt je nach Lesart um fünf Tote.

Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Rechts- und linksradikale Strukturen und Ideologien lassen sich nicht ohne Weiteres vergleichen. Zum einen geht es der radikalen Linken nicht um die Abschaffung der Demokratie, sondern um die Abschaffung des Kapitalismus. Die radikale Rechte will die Demokratie, will die Menschenrechte abschaffen und das äußert sich auch in unterschiedlichem Verhalten auf der Straße. Linke Gewalt richtet sich in aller Regel vor allem gegen Gegenstände oder eben gegen Repräsentanten, Repräsentantinnen des Staates, während Rechte Jagd auf Minderheiten machen, auch gegen den Staat vorgehen, aber in der Regel eben auch direkt Menschen angreifen.“

So wie jetzt in Hanau, so wie zuletzt in Halle, oder international auch in Christchurch. Der ideologische Hintergrund dieser Taten: Rassismus, Antisemitismus und ein totalitäres Staatsverständnis. Extremes Gedankengut, das aber vom rechten Rand bis weit in die Mitte der Gesellschaft verankert ist. Das jedenfalls legt das Ergebnis der sogenannten Mitte-Studie der Universität Bielefeld nah. Danach stimmten im vergangenen Jahr der Aussage „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“, 34,5 Prozent der Befragten teilweise oder ganz zu. Dem Satz „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß”, stimmten rund 19,6 Prozent der Befragten teils oder ganz zu. Und dem Standpunkt „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“, schlossen sich 37 Prozent der Befragten zum Teil oder ganz an. Vorstellungen, Ideologien, Weltbilder in der Mitte der Gesellschaft durch die sich auch Rechtsterroristen getragen fühlen.

Samuel Salzborn, Universität Gießen: „Die fallen ja nicht vom Himmel. Das ist ja nicht so, dass die plötzlich die Idee haben, einen Terroranschlag zu begehen, sondern sie sind lange, lange radikalisiert. Sie haben eben dieses Weltbild der Ungleichheit, den Rassismus, den Antisemitismus, den Antifeminismus, den Sexismus und andere Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung so sehr verinnerlicht, dass sie irgendwann eben dieses Weltbild der Ungleichheit in Taten umsetzen. Und der Rechtsterrorismus ist eben genau die Folge dieses Weltbildes.“

Ein Weltbild, ein Extremismus, der weit in die Mitte der Gesellschaft reicht, der von der AfD in den Parlamenten lautstark vertreten und salonfähig gemacht wird. Besteht nicht darin die eigentliche Gefahr? Dass sich rechtsextremistische Attentäter wie der von Hanau als Vollstrecker einer Ideologie begreifen, die von weit mehr Menschen geteilt wird, als es unser Gesellschaftsbild vermuten lässt?

Kommentare zum Thema

  • Erik 11.04.2020, 01:35 Uhr

    Die Demokratie der BRD wurde bereits zerstört. Die Gründer der BRD und Grundgesetz drehen sich in ihren Gräbern um

  • Sissi 04.03.2020, 07:40 Uhr

    Bei Wahl zum Ministerpräsidenten, Ramelow ließ sich mit AfD-Stimme wählen !!! Riesen-Empörung bei Linken, SPD und Grünen, als vor vier Wochen FDP-Mann Thomas Kemmerich (55) mit AfD-Stimmen zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde. Doch jetzt kommt heraus: Nach BILD-Informationen wurde Bodo Ramelow (64, Linke) 2014 selbst nur dank einer AfD-Stimme ins Amt gehoben (46 von 90 Stimmen)! „Namhafte SPD-Genossen kamen 2014 auf mich mit der Frage zu, ob ich Herrn Ramelow meine Stimme geben könne“, so der damalige AfD-Abgeordnete Oskar Helmerich (59) gegenüber BILD. „Das habe ich dann auch getan.Nach BILD-Informationen handelte es sich bei einem Treffen im Erfurter Steakhouse „Louisiana“ um den vormaligen SPD-Justiz- und späteren Innenminister Holger Poppenhäger (62, SPD). Das ganze ist an Scheinheiligkeit von Politik und Medien(Monitor) nicht mehr zu überbieten?Da gab es keinen Aufschrei der Medien? Auch nicht das die Linke zum Teil vom Verfassungsschutz beobachtet wird!

  • Micha 29.02.2020, 14:20 Uhr

    Ich würde mich schämen, bei einem Sender zu arbeiten, der höchstwahrscheinlich, von Extremisten aus der Mitte (mit)finanziert wird!