MONITOR vom 27.05.2021

Trotz Corona: Lässt die Bundesregierung benachteiligte Kinder im Stich?

Bericht: Herbert Kordes, Lena Rumler, Lisa Seemann

Trotz Corona: Lässt die Bundesregierung benachteiligte Kinder im Stich? Monitor 27.05.2021 09:03 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Herbert Kordes, Lena Rumler, Lisa Seemann

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Angela Merkel: „Kinder und Jugendliche können dann ab dem Ende der Priorisierung – Sie wissen, dass am 07.06. im Allgemeinen die Priorisierung aufgehoben wird – sich auch um einen Impftermin bemühen.“

Georg Restle: „Ein Impfangebot für Kinder ab 12 Jahren schon ab Anfang Juni, wenn der Impfstoff denn zugelassen wird. Und das Ganze trotz deutlicher Bedenken bei der Ständigen Impfkommission. So wurde es heute auf dem Impfgipfel beschlossen. Guten Abend und willkommen bei MONITOR.

Ja, offenbar nimmt man es bei Kindern und Jugendlichen eben nicht so genau, wie so oft in dieser Pandemie. Und das gilt eben nicht nur fürs Thema Impfen. Vor allem Kinder aus einkommensschwachen Familien gehören zu den großen Verlierern der Pandemie. Dabei wurde gerade ihnen so viel versprochen. Neue Zuschüsse für Freizeitaktivitäten und Lernförderungen, ein milliardenschweres Aufholpaket hat die Bundesregierung jetzt sogar beschlossen. Klingt alles so schön, dabei gibt es ihn schon längst, einen Rechtsanspruch auf Nachhilfe, auf Fußballtraining, Musikschule oder Schulausflüge. Das Problem dabei, solche Hilfsangebote kommen bei den wenigsten an. Woran das liegt, zeigen Ihnen Lisa Seemann, Herbert Kordes und Lena Rumler.“

Markus Montenbruck: „Jetzt machen wir noch einmal einen Durchgang blau, weiß, orange …“

Markus Montenbruck mit seinen Jungs und Mädchen vom SV Duissern in Duisburg. Drei Corona-Tests pro Woche, dafür gibt‘s endlich wieder Training. Für den 59-Jährigen ein wichtiger Teil seines Lebens, vor allem, seit er nicht mehr arbeiten kann. Knapp 38 Jahre habe er gearbeitet – unter anderem im Straßenbau. Vor acht Jahren dann erlitt er einen Schlaganfall, kurz später einen Herzinfarkt. Heute bezieht Markus Montenbruck Erwerbsminderungsrente – aufgestockt durch Hartz-IV. Er lebt mit seiner Frau und vier ihrer fünf Kinder in Duisburg-Duissern. Die Kinder, inzwischen Teenager, wollen lieber nicht gefilmt werden. Nur dem Jüngsten – heute elf Jahre alt – dürfen wir kurz beim Homeschooling zuschauen. Seine Mutter, Bettina Montenbruck, hat einen kaputten Rücken, ist seit über einem Jahr krankgeschrieben. Nach Abzug der Fixkosten blieben der Familie noch rund 1.000,- Euro, erzählen die beiden.

Markus Montenbruck: „Wenn man jahrelang nur gearbeitet hat, da hat man ein ganz anderes Einkommen. Und dann muss man rechnen, dass auf einmal über die Hälfte, von dem was man vorher an Einkommen hatte, ist weg – auf einen Schlag, von heute auf morgen.”

Und dann auch noch Corona, alle zu Hause, immer wieder Konflikte.

Markus Montenbruck: „Dann die Belastung hier zu Hause mit dem Homeschooling.”

Bettina Montenbruck: „Englisch, ich kann ein paar Brocken noch, und das war’s. Mathe ist mir auch mittlerweile zu hoch – diese Rechenarten, die die da haben.”

Die Eltern machen sich große Sorgen, weil drei ihrer Kinder während der Pandemie in der Schule schlechter wurden.

Sohn: „Gut war immer, wenn die Aufgaben leicht waren und blöd war, dass, wenn ich Aufgaben nicht verstanden hab, weil dann musste ich Lehrer anschreiben und dann haben die erst abends geschrieben.”

Vor allem eine Tochter sackte plötzlich massiv ab.

Bettina Montenbruck: „Oh ja, wir hatten letztens einen Anruf von der Lehrerin, überall 5, teilweise 6. Keine Hausaufgaben abgegeben und, und, und, dass sie sitzen bleibt. (...) oder zum Beispiel letztes Zeugnis, Mathe 1, der ist jetzt auf ne 4/5 runtergerutscht.”

Nachhilfe könnte helfen, sagen die beiden – aber von welchem Geld? Dabei gibt es seit bereits zehn Jahren das sogenannte „Bildungs- und Teilhabepaket“, also mehr Geld für Kinder aus einkommensschwachen Familien. Ursula von der Leyen hat – damals noch als Arbeitsministerin – das große Versprechen abgegeben.

Ursula von der Leyen, ehem. Bundesministerin für Arbeit und Soziales, 03.12.2010: „Es geht doch heute darum, dass wir für die bedürftigen Kinder wirklich etwas ändern im Land. (...) Packen wir es an, dass wir in diesem Land tatsächlich auch Chancengerechtigkeit für die Kinder herstellen – vielen Dank!”

Chancengerechtigkeit! Das war das große Versprechen der Politik mit dem Bildungs- und Teilhabepaket. Es soll Kindern aus einkommensschwachen Familien etwa das Mittagessen in Schule oder KiTa zahlen. Oder auch die Klassenfahrt und den Vereinsbeitrag, damit die Kinder keine Nachteile haben, nur weil die Familien weniger Geld haben. Auch die Nachhilfe kann beantragt werden, aber davon hat Familie Montenbruck noch nie etwas gehört.

Markus Montenbruck: „Da weiß ich nix von – hat noch keiner was zu uns gesagt. Ich muss auch dazu sagen, ich habe auch noch nie nachgefragt, ne, ob es das überhaupt gibt für Nachhilfe, ne. Aber von alleine, dass man von alleine von denen was gehört hat, für …

Bettina Montenbruck: „Ne, da kommt keiner und sagt dir, du kannst das und das beantragen.

Markus Montenbruck: „Nein.”

Das Jobcenter schreibt, das stehe alles in den Unterlagen der Familie. Doch in dem riesigen Aktenberg mit seinem Behördendeutsch ist es zu den Montenbrucks nicht durchgedrungen. Dabei sind die Jobcenter und Kommunen verpflichtet, die Familien aktiv über die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zu informieren. Im Sozialgesetzbuch ist dafür ein sogenanntes Hinwirkungs-Gebot verankert. Die Behörden sollen

Zitat: „dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche Leistungen für Bildung und Teilhabe möglichst in Anspruch nehmen.“

Dass genau das nicht funktioniert, erleben Sarah Seeliger und Julius Bertram aus Berlin ständig. Sie wollen Kinder zum Lesen bringen, verschicken Bücherpakete. Bedürftige Familien können sich die Kosten dafür erstatten lassen, doch nur wenige wissen das überhaupt. Die beiden sind mit ehrenamtlichen Helfern bundesweit in den Jobcentern unterwegs, um zu informieren.

Julius Bertram, Libreleo: „Wir haben gerade in den letzten Wochen sehr häufig von den Jobcentern gehört, dass Bildung und Teilhabe nur eine Randberatung ist, dass es nur in den letzten fünf Minuten – wenn überhaupt – stattfindet. Und wenn man sich das überlegt, dass die 60 Minuten Zeit haben, um ihre Klientinnen und Klienten zu beraten und fünf Minuten dann auf das  Bildungs- und Teilhabe-Paket entfallen, ist das wirklich eine Unverschämtheit.”

Wohin das führt, zeigen auch die Zahlen aus dem Corona-Jahr 2020. Laut der Bundesagentur für Arbeit lebten vergangenes Jahr rund 1,2 Millionen Schulkinder in Familien, die Hartz-IV beziehen, prinzipiell also Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket hätten. Gerade einmal 14,7 Prozent dieser Kinder bekamen Geld, etwa für die Mitgliedschaft im Sportverein. Nachhilfe bekamen nur rund 11 Prozent der Kinder bezahlt und eintägige Schulausflüge sogar nur 7,3 Prozent. Mit der Corona-Krise hat das nur wenig zu tun, denn vorher sahen diese Zahlen kaum besser aus. Für Experten reicht es deshalb nicht, die Behörden per Hinwirkungs-Gebot formal zur Beratung zu verpflichten.

Jutta Allmendinger, Soziologin, Präsidentin Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung: „Wir sind in der Pflicht, diese Gelder tatsächlich an diese Kinder zu bringen. Der Staat hat eine Bringschuld. Und von daher müsste dieses Hinwirkungs-Gebot einfach verändert werden zu einem Sicherstellungs-Gebot. Das sind wir unseren Kindern schuldig.”

Wir sind in Duisburg-Marxloh. Hier leben zahlreiche bedürftige Familien. Für viele Kinder aus solchen Stadtteilen ist das Bildungs- und Teilhabepaket auf den Weg gebracht worden. Chancengerechtigkeit? Davon sei man heute so weit entfernt wie damals, sagt Sylvia Brennemann. Sie berät Familien nebenberuflich und erzählt, wie überfordert viele Eltern im Umgang mit den Behörden seien – und dass die Kinder dabei auf der Strecke blieben.

Sylvia Brennemann, Petershof, Duisburg-Marxloh: „Diese Antragsformalitäten mit dem Behördendeutsch und mit den ganzen Komplikationen, die damit zusammenhängen, dienen ja letztlich dazu, dass viele Familien nicht wollen und nicht mehr können und aufgeben. Und dann muss man sich die Frage stellen, ist das vielleicht sogar politisch gewollt?”

Die Bundesregierung verweist darauf, dass die Kommunen für die Umsetzung zuständig seien. Doch je nachdem, ob eine Familie Anspruch auf Hartz-IV, Sozialhilfe, Asylbewerberleistungen, Wohngeld oder den Kinderzuschlag hat, ist unter Umständen entweder das Jobcenter, das Sozialamt oder eine andere Stelle zuständig. Die Verwaltungskosten des Bildungs- und Teilhabepaketes beziffern Experten auf etwa ein Viertel der jährlichen Gesamtkosten.

Stefan Sell, Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung, Hochschule Koblenz: „Also das Bildungs- und Teilhabepaket löst nicht umsonst bei ganz, ganz vielen Praktikern Hitzepickel aus, wenn man nur das Stichwort Bildungs- und Teilhabepaket anspricht. Weil eigentlich alle Erfahrungen zeigen, wir haben es hier mit einem Bürokratiemonster zu tun, wo Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis mehr steht.”

Joachim Rock, Paritätischer Wohlfahrtsverband: „Wenn man eine sozialpolitische Leistung als Bund vorhält, dann muss einen doch interessieren, wie diese Leistung tatsächlich bei den Berechtigten auch ankommt, dass da ein hohes Maß an Nicht-Wissen-Wollen tatsächlich vorhanden ist. Da wird wohl gescheut, Verantwortung auch für die Umsetzung zu übernehmen.”

Für ihre Kinder sparen sich die Montenbrucks vieles vom Munde ab – Bettina Montenbruck hat sich inzwischen selbst das Nähen beigebracht.

Bettina Montenbruck: „Zumal kann man da schöne Einzelstücke erstellen, die kein anderer trägt. Und es spart Geld, und es macht mir jetzt auch richtig Spaß – wie man sieht.”

Markus Montenbruck will nun Nachhilfe für seine Kinder beantragen. Damit sie einen möglichst guten Start ins Leben haben – trotz aller Schwierigkeiten.

Georg Restle: „In Zukunft soll es jetzt weniger bürokratisch zugehen, verspricht die Bundesregierung. Allerdings gilt das wohl nur für die Nachhilfe, und das auch nur bis Ende 2023. Klingt nicht gerade vielversprechend.“

Kommentare zum Thema

  • L. 02.06.2021, 09:44 Uhr

    „Kinder in der Pandemiezeit in Stich gelassen“, nein, das ist nicht so. Kinder werden derzeitig des finanziellen Gewinns wegen benutzt. So kann es verstanden werden wenn Politiker sich steigernd fordern dass auch Kinder mit diesem schrecklichen Impfstoff „vollgepumpt“ werden sollen. Kinder sind durch das Coronavirus kaum betroffen. Jeder kann sich das anhand der uns gezeigten Statistiken selbst ausrechnen.

  • Gerald Wilfried 02.06.2021, 00:03 Uhr

    Ja, also die Sorge um Kinder und Jugendliche ist sehr sehr sehr wichtig. Es muß ganz ganz ganz genau überlegt werden, ob hier geimpft werden darf. Und die Bevölkerung muß immer immer immer auf alle schlauen Reden der Merkel und deren Freunde hören, weil die es eben so richtig richtig richtig gut wissen was zu tun ist. Kriminelle Abrechnungen und Bereicherungen in Sachen Impfstoff, illegaler Maskenbetrug, Kinderporographie, Kindermißbrauch- und Armut, Herstellung, Vertrieb und Werbung von Büchern, Spielen mit kriminellen und kriegerischen Inhalten im Handel und Internetforen werden natürlich in diesem freiheitlich marktwirtschaftlich demokratischem BRDeutschland gerade unter CDU Merkel niemals vorkommen. Dahinter kann nur Feinde unseres glücklichen Landes stehen. Die Ostzone kann man leider nicht mehr verantwortlich machen. Es bleibt tatsächlich nur der böse Russe und klar die AfD.

  • Karl Sasserath 31.05.2021, 06:59 Uhr

    Ich möchte mich bei Monitor für diesen wichtigen Beitrag bedanken. Was fehlte war der Verweis darauf, dass das BuT auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht zurückging. Das Gericht hatte festgestellt, dass die Regelsätze des SGB II und SGB XII nicht auskömmlich waren. Anstatt die Regelsätze bedarfsgerecht zu erhöhen, schuf die damalige Bundesfamilienministerin Frau von der Leyen das BuT. Die Argumentation war, die Leistungen sollten bei den Kindern und Jugendlichen ankommen. Dass es besser ist, das Geld zu nutzen, die Regelsätze zu erhöhen und die Infrastrukturen zu verbessern, belegt der Bericht.