Solingen: Eine Stadt in Angst Monitor 29.08.2024 08:56 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Falah Elias, Bamdad Esmaili, Véronique Gantenberg, Julia Regis, Herbert Kordes

MONITOR vom 29.08.2024

Solingen: Eine Stadt in Angst

Nach dem islamistischen Anschlag in Solingen wird über massive Verschärfungen des Asylrechts diskutiert, Einbürgerungen und doppelte Staatsbürgerschaften werden infrage gestellt, Rechtsextreme marschieren durch die Stadt. Während sich die einen vor neuen islamistischen Anschlägen fürchten, haben viele Solinger mit Migrationsgeschichte Angst vor den politischen Folgen des Anschlags. Und befürchten, dass sich wiederholen könnte, was die Stadt 1993 schon einmal durchleben musste.

Von Falah Elias, Bamdad Esmaili, Véronique Gantenberg, Julia Regis, Herbert Kordes

Junge Frau: "Also mich stört das jetzt, dass die denken, dass wir alle jetzt so Menschen töten und alle schlecht sind, obwohl nicht alle Menschen sind gleich. Jeder Mensch beschreibt sich selbst. Nicht nur weil er aus Syrien kommt und Muslim ist, bin ich einfach gleich wie er. Ist anderer Mensch. Der gehört nicht zu uns."

Georg Restle: "Eine junge Muslima aus Solingen, die vor neun Jahren aus Syrien hierher geflohen ist und jetzt Angst davor hat, mit Islamisten und Messerstechern gleichgesetzt zu werden – so weit sind wir also schon. Guten Abend und willkommen bei MONITOR!

Ja, sechs Tage nach dem furchtbaren Messeranschlag trauert Solingen noch immer um die drei Toten. Noch immer steht die Stadt unter Schock und Ängste machen sich breit, dass es zu weiteren, islamistischen Anschlägen kommen könnte. Aber auch davor, dass die politische Stimmung immer weiter angeheizt wird und damit die Gefahr wächst, auch vor rassistischen Übergriffen. Dass Rechtsextremisten jetzt durch Solingen marschieren, dass Geflüchtete und Migranten wieder ins Visier genommen werden – viele Menschen in Solingen erinnert das an 1993, als fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen bei einem Brandanschlag ermordet wurden – nach monatelangen Angriffen auf Flüchtlinge und Migranten. Tiefe Spuren hat das in Solingen hinterlassen, Wunden, die jetzt wieder aufgerissen werden."

Siavash Hosseini ist ein Opfer des Anschlags von Solingen. Der Täter griff ihn mit dem Messer an, er kann immer noch kaum begreifen, wie schnell alles ging.

Siavash Hosseini: "Ich glaube, ich war erste Person. Ich habe ihn ein paar Sekunden gesehen und wenn er ganz neben mich war, ich habe schon gesehen, mit eine scharfen Sache zu mir … geschlagen, neben meinen Hals."

Seine Wunde wurde mit 21 Stichen genäht – er hatte großes Glück. Musste ansehen, wie andere neben ihm verbluteten. Vor gut einem Jahr ist er nach Deutschland geflohen. Er kommt aus dem Iran, sein Vater wurde dort bei den Protesten gegen die islamische Regierung getötet. Jetzt wurde Hosseini in Deutschland selbst Opfer eines islamistischen Anschlags und hat trotzdem das Bedürfnis, sich zu entschuldigen.

Siavash Hosseini: "Es tut mir leid, ich bin nicht selber Muslim, ich komme aus einer islamischen Heimat, aber ich selber, ich bin nicht Muslim. Und ich kann nur 'tut mir leid' sagen."

Ein Opfer, das sich für den Täter entschuldigt. Die Wunde am Hals sei nicht so schlimm, sagt Siavash Hosseini. Jetzt wächst seine Sorge darüber, was der Anschlag für ihn als Geflüchteten in Deutschland bedeutet. Was Siavash Hosseini mit allen Menschen verbindet, die wir nach der Tat in Solingen treffen, ist die Trauer um die Opfer und das Mitgefühl mit den Verletzten und den Angehörigen.

Passantin: "Die Frau im Blumenladen sagte, heute Morgen kam direkt eine Schulklasse rein und wollte Blumen kaufen. Dachte, da sind mir sofort wieder die Tränen gekommen. Und als ich die Blumen gekauft habe, fing ich auch schon an zu weinen, ja."

Viele sind verunsichert. Vor allem ist da die Angst vor weiteren Taten. Andere Veranstaltungen in Solingen sind abgesagt worden. Der mutmaßliche Täter ist Syrer. Für Geflüchtete hier ist das ein Schock. Zu ihrer Trauer kommt die Sorge, welche Folgen der Anschlag haben wird.

Geflüchteter: "Ich habe am Anfang gebetet, dass er kein Syrer ist oder auch kein Migrant ist. Wir sind von solchen Menschen geflüchtet, also abgehauen. Und die folgen uns bis hierhin und machen unsere Namen, unsere Gesichter kaputt."

Viele in Solingen haben eine Migrationsgeschichte – Menschen aus 140 Nationen leben in erster, zweiter oder dritter Generation hier. Die meisten, mit denen wir hier sprechen, wollen keinen Menschen nur wegen seiner Herkunft verurteilen. Die AfD beginnt dagegen fast direkt nach dem Anschlag, die Tat für ihre eigenen Zwecke auszubeuten, hetzt pauschal gegen Zugewanderte.

Alice Weidel (AfD), Parteivorsitzende, 27.08.2024: "Und darum fordere ich hier und heute einen sofortigen Einwanderungs- und Einbürgerungsstopp für mindestens 5 Jahre!."

Aber es ist nicht nur die AfD.

Jens Spahn (CDU), Mitglied des Bundestages, 27.08.2024: "Wir sind in einer Art Notlage, wir sollten EU-Recht an dieser Stelle dann auch mal aussetzen."

Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender, 27.08.2024: "Stopp! Es geht nicht mehr. Und das betrifft jetzt nicht nur Afghanen und Syrer, es betrifft im Grunde genommen alle diejenigen, die zu uns kommen."

Notstand, Einwanderungs- und Einbürgerungsstopp – das macht vielen in Solingen Angst. Marwa und Mohammed Akra’a kommen aus Syrien. Mohammed floh 2015 aus dem Bürgerkriegsland, seine jüngste Tochter ist hier geboren. Ihm geht es gesundheitlich nicht gut, er sollte eigentlich nur Teilzeit arbeiten. Trotzdem arbeitet er Vollzeit in einer Bäckerei – für seine Einbürgerung – weil er sich in Solingen zu Hause fühlt.

Mohammed Akra’a: "Solingen, das bedeutet für mich meine Stadt. Wie ist Aleppo, meine Aleppo Stadt, Solingen meine Stadt. Meine Lieblingsstadt, das … das am Ende."

Mohammeds älteste Tochter Amal geht in die zehnte Klasse an einer Gesamtschule und möchte Medizin studieren. An Syrien hat sie nicht mehr viele Erinnerungen, ihre Heimat ist Solingen.

Amal Akra’a: "Aber jetzt, nach diesem Anschlag, mache ich mir schon Sorge. Bin ich hier überhaupt sicher? Oder können wir überhaupt da bleiben? Ich habe auch das gehört, das mit Einbürgerung und so und ich habe auch gesagt, warum wir? Wir sind hier seit neun Jahre. Wir machen alles. Wir halten uns an die Regel. Warum werden wir keine Einbürgerung bekommen, nur weil ein Mensch was Schlimmes gemacht hat?"

Ihre Ängste teilen viele Geflüchtete. Die meisten möchten nicht mit uns sprechen, nicht vor eine Kamera. Bloß nicht in Verbindung mit der Tat gebracht werden, nicht zur Zielscheibe werden für den Hass von Leuten, wie denen, die sich am Montagabend in Solingen versammeln. Polizeibekannte Neonazis, gewaltbereite Rechtsextreme, Politiker der ehemaligen NPD marschieren durch die Stadt, vorbei an Restaurants, Kiosken, Geschäften.

Reporterin: "Was macht das so mit einem, wenn man das so hört?"

Mann: "Krank, das macht psychisch krank. Man hat Angst, rauszugehen."

Die Szenen wecken hier auch Erinnerungen an eine Tat vor über 30 Jahren. 1993 wurden in Solingen fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen bei einem Brandanschlag ermordet. Die rechtsextreme Tat machte Solingen weltweit bekannt. Auch damals tobte in Deutschland eine ausländerfeindliche Debatte ums Asylrecht.

Norbert Geis (CSU), 26.05.1993: "Wenn es so weitergeht, wenn wir nicht den Riegel vorschieben, dann wird es natürlich zu einer Überfremdung unserer Bevölkerung führen. Und kein Volk wird eine Überfremdung ohne Konflikt hinnehmen."

Diese Frau war damals 19, als sie das alles miterlebte. Heute setzt sie sich für das Gedenken und für die Opfer rechter Gewalt ein. Die Situation jetzt nach dem Anschlag macht ihr solche Angst, dass sie nur verdeckt vor die Kamera möchte.

Frau: "Also diese Wunden – auch nach 30 Jahren – die heilen nicht, Ich bin nicht schnell aus der Fassung zu bringen, aber wenn ich das höre, wie lautstark in Solingen 'Ausländer raus, Deutschland den Deutschen' gerufen wird, das macht Angst."

Der Regisseur Bassam Ghazi hat vergangenes Jahr ein Theaterstück zu dem Brandanschlag von 1993 inszeniert. Auch er macht sich Gedanken über die Folgen des islamistischen Anschlags.

Bassam Ghazi, Regisseur Düsseldorfer Schauspielhaus: "Der erste Moment war wirklich so, nein, nicht schon wieder Solingen. Die Stadt hat schon so viel Dinge zu verarbeiten und mit den anstehenden Wahlen in Sachsen hatte ich sofort den Moment, dass ich dachte, das wird sofort ausgeschlachtet. Und ich meine, keine drei Tage später führen wir eine Riesendebatte über Asylpolitik und Verschärfung der Rechte. Und das ist ja genau das, was in den Neunzigern passiert ist und damals diese Stimmung ja überhaupt zu den Anschlägen gebracht hat."

Dass sich das wiederholen könnte, davor haben einige in Solingen große Angst. Auch deshalb gehen sie auf die Straße. Gegen Hass auf Geflüchtete, gegen weitere Gewalt nach dem islamistischen Anschlag.

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Kommentare zum Thema

  • Heidi Rohrer 30.08.2024, 14:55 Uhr

    Das ist wieder typisch Monitor und Georg Restle. Kaum ein Wort über die beklagenswerten Opfer, dafür aber Gejammer über die armen Asylanten, die jetzt angeblich Angst haben müssen. Aber das sind wir von den öffentlich-rechtlichen ja reichlich gewohnt. Vielleicht sollten Sie sich einmal intensiver damit beschäftigen, welche Folgen solche Taten für die deutsche Gesellschaft und die Familien der Toten haben

  • Jansen 30.08.2024, 14:25 Uhr

    Ich nutze hier einfach mal die Gelegenheit und bitte das Monitorteam und alle die hier lesen sich die heutige Folge vom Lanz/Precht Podcast anzuhören und mal darüber nachzudenken und insbesondere beim Gebrauch des Wortes Islamphobie deutlich vorsichtiger zu sein. BLAU der Bär ist BLAU, EDEKA BLAU.

  • Markus Manfred Rühle 30.08.2024, 13:56 Uhr

    Deutschland schiebt ab! Kriminelle Ausländer bzw. "Asylanten", meine ich hier natürlich. Deutschland kann sich selbst ja nicht abschieben; abschaffen eventuell eher, glaubt man einem Buchtitel. Und des Glaubens braucht es viel, vernehme ich nun die hochtrabend selbstverliebten Statements von Herrschaften, wie Scholz oder Faeser. Man habe diesen Schritt bereits länger geplant gehabt, heißt es; offenbar fehlte wohl noch der entscheidende Impuls - und dessen Preis waren drei Menschenleben. Menschenleben, und nicht nur diese drei, die ausgelöscht wurden, weil eine total verspulte Auffassung von einer "Willkommenskultur", politisch scheinbar korrekt, einfach nicht unter einen Hut gebracht werden konnte oder gar wollte mit einem konsequent durchgreifenden Rechtsstaat, der deshalb inzwischen mehr einem Basar gleicht als einem vernünftig funktionierenden Organ zum Schutz und im Dienst der deutschen Bürger. Apropos Basar: Allgemeine Geschäftsbedingungen werden strenger gehandhabt als Gesetze.