Georg Restle: "Und das gilt ganz sicher auch beim Thema Flüchtlingspolitik. Bilder wie dieses haben europäische Politiker letzte Woche in höchste Alarmbereitschaft versetzt, als Tausende Flüchtlinge in nur wenigen Tagen die Mittelmeerinsel Lampedusa erreichten. Und sofort wurden diese Bilder – nicht nur in Italien – auch dafür benutzt, um Stimmung zu machen. Eine kleine Insel als Sinnbild für die Überforderung Europas. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reiste dorthin. Mit einer klaren Forderung:
Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin (Übersetzung Monitor): "Wir müssen die Anstrengungen im Kampf gegen die Schlepper erhöhen."
Georg Restle: "Nicht zum ersten Mal hat Ursula von der Leyen das gefordert. Was Sie allerdings nicht sagt, dass der europäische Kampf gegen Schlepper meistens die Falschen trifft. Nämlich nicht die kriminellen Organisationen oder deren Hintermänner in Libyen und anderswo, sondern Männer wie diesen. Ein iranischer Flüchtling, der vor politischer Verfolgung aus dem Iran zu seiner Tochter nach Deutschland fliehen wollte – und der jetzt für 18 Jahre in einem griechischen Gefängnis sitzt. Und das nur, weil er sich und anderen Flüchtlingen helfen wollte. Kein Einzelfall, sondern einer von sehr vielen. Recherchen von Lara Straatmann und Achim Pollmeier. "
Es war die größte und tödlichste Flüchtlingskatastrophe seit Jahren. Ein Fischerboot sank im Mai vor der griechischen Küste – mehr als 500 Menschen starben. Schon sofort danach erhoben Überlebende schwere Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache. Durch ein riskantes Abschleppmanöver habe sie das Fischerboot zum Kentern gebracht. Die Ermittlungen dazu laufen nur schleppend. Die griechischen Behörden hatten andere im Visier. Kurz nach der Katastrophe wurden neun Ägypter festgenommen und der Presse als mutmaßliche Schlepper präsentiert. Überlebende hatten berichtet, die Männer hätten Essen und Trinken an Bord verteilt, das Boot teils gesteuert oder sich um den Motor gekümmert. Für die Behörden offenbar genügend Beweis dafür, dass sie Schlepper seien. Die entscheidende Frage, was macht jemanden zum Schlepper? Laut einem Übereinkommen der Vereinten Nationen gilt als Schlepper, wer illegale Einreisen herbeiführt, und zwar
Zitat: "… vorsätzlich und zur unmittelbaren oder mittelbaren Erlangung eines finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteils …"
Aber hatten die Ägypter einen finanziellen Vorteil? Wir versuchen mit Angehörigen der Angeklagten in Kontakt zu kommen. In der Nähe von Kairo treffen wir die Familie von Ahmed A. Die Armut ist groß, oft fehle es selbst am Essen, erzählen sie. Deshalb wollte Ahmed nach Europa. Nach dem Unglück waren sie erst überglücklich, dass er überlebt hat, dann lasen sie, dass er als Schleuser verhaftet wurde.
Vater von Ahmed (Übersetzung Monitor): "Wir sind vollkommen niedergeschlagen. Wir können weder essen noch trinken, wir schlafen nicht. Er hat das nicht verdient, was mit ihm gemacht wird. Und wir müssen immer noch das Geld bezahlen, das wir geliehen haben."
Damit Ahmed sich auf den Weg machen konnte, hat die Familie sich verschuldet und den Schmuck der Frauen verkauft, umgerechnet 4.500,- Euro. Unsere Recherchen zeigen, andere Überlebende zahlten ähnliche Summen. Die Anweisung des Schleppers haben sie noch.
Nachricht auf dem Smartphone (Übersetzung Monitor): "Halten Sie das Geld bereit und kontaktieren Sie mich."
Vater von Ahmed (Übersetzung Monitor): "Das ist der Vermittler."
Das Geld kassiere der Vermittler eines mächtigen libyschen Schleuserrings, offenbar mit Verbindungen zum Milizenchef General Haftar; so die Recherchen einer internationalen Medien-Kooperation. Warum ihr Sohn Ahmed nun als Schlepper im Gefängnis sitzt, verstehen sie nicht. Wie konnte es dazu kommen? Seit Jahren verspricht EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, den Kampf gegen Schlepper zu verschärfen.
Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin (Übersetzung Monitor): "Menschenhändler beuten weiterhin Menschen auf tödlichen Routen über das Mittelmeer aus. Wir müssen ihr rücksichtsloses Geschäftsmodell stoppen. Es ist schrecklich, wie sie bewusst Menschenleben für ihren Profit aufs Spiel setzen."
In einer Richtlinie fordert die EU ihre Mitgliedstaaten dazu auf, angemessene Sanktionen gegen jene festzulegen, die Migranten
Zitat: "… vorsätzlich dabei helfen, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats (…) einzureisen …"
Die bloße Hilfe soll also strafbar sein. Anders als bei der UN ist finanzieller Profit hier kein Kriterium. Demnach reichen schon kleine Hilfsleistungen, um den Tatbestand der Schlepperei zu erfüllen. So wie in Griechenland.
Alexandros Georgoulis, Rechtsanwalt für Strafrecht (Übersetzung Monitor):"Es spielt keine Rolle, dass sie keinen Profit aus der Flucht ziehen. Wenn sie das Steuer des Boots berührt haben, dann haben Sie sich der Beihilfe zur illegalen Einreise schuldig gemacht. Wir sehen viele Flüchtlinge, die viele Jahre in griechischen Gefängnissen verbracht haben. Es ist die zweitgrößte Kategorie von Gefangenen in griechischen Gefängnissen."
Das Vorgehen habe System, sagt die Nichtregierungsorganisation Borderline Europe. Die Politikwissenschaftlerin Julia Winkler hat allein für Griechenland dutzende Gerichtsverfahren dokumentiert, die zeigen, der europäische Kampf gegen das Schleppergeschäft treffe oft die Falschen.
Julia Winkler, borderline-europe e.V.: "Eines der Hauptergebnisse unserer Studie ist eigentlich, dass der Kampf, der gegen Schleuser der EU eigentlich vor allem große Augenwischerei ist, weil er eben nicht diese Ziele verfolgt, die eigentlich vornehmlich, ja, erreicht werden sollen, sondern im Gegenteil eben genau die Menschen kriminalisiert, die eigentlich geschützt werden sollen."
So wie ihn – den Iraner Homayoun Sabetara. Fotos aus besseren Zeiten, mit seiner Tochter Mahtab. Vor wenigen Jahren legte er sich mit dem iranischen Regime an, wurde bedroht und floh nach Europa. Nun sitzt der fast 60-Jährige in diesem griechischen Gefängnis – verurteilt als Schlepper zu 18 Jahren Haft. Wir treffen seine Tochter in Berlin. Sie kam vor fünf Jahren zum Studium nach Deutschland.
Mahtab: "Ich kann es kaum glauben. In dem Moment, in dem ich darüber denke, dann kriege ich natürlich also … diese schlimme Gedanken die ganze Zeit und mir geht’s damit einfach schlecht. Vor allem, wenn ich mir vorstelle, was er jetzt macht oder wenn ich keinen Kontakt zu ihm haben kann."
Was war geschehen? Schlepper hatten ihren Vater und andere Flüchtlinge von Istanbul über den Grenzfluss Evros nach Griechenland gebracht. In einem Wald hinter der Grenze seien sie zurückgelassen worden. Ohne Wasser und Essen – drei Tage lang. Unter ihnen auch Frauen und Kinder. Dann habe einer der Schlepper ein Auto gebracht und ihren Vater genötigt, es zu fahren.
Mahtab: "Dann hat mein Vater gesagt, dass er das nicht machen möchte und dann meinte die Person, dass ja, dann bleibt ihr alle hier und sterbt, weil ich gehe jetzt zurück. Also das ist die einzige Möglichkeit. Wenn ihr das noch schaffen möchte, dann muss jemand sich am Steuer setzen und das Auto fahren."
Bei Thessaloniki habe die Polizei ihn dann verhaftet und wegen Schlepperei angeklagt. Bei der Verhandlung vor Gericht hat Mahtab die Geschichte ihres Vaters erzählt, doch es half nichts. Dass er das Auto gesteuert hatte, reichte, um ihn zu 18 Jahren Haft zu verurteilen. Ein Alptraum, auch weil ihr Vater an Krebs erkrankt sei und regelmäßige Untersuchungen braucht.
Reporter: "Was ist deine größte Angst?"
Mahtab: "Dass er sein ganzes Leben im Gefängnis verbringt und dass ich nie wieder die Möglichkeit habe, ihn außerhalb des Gefängnisses zu sehen."
Für Völkerrechtlerin Dana Schmalz ist diese Praxis nicht mit internationalem Recht zu vereinbaren. Menschen dürften nicht für ihre eigene Flucht bestraft werden.
Dana Schmalz, Völkerrechtlerin, Max-Planck-Institut für Völkerrecht: "Diejenigen, die auf der Flucht anderen helfen, sind zuvorderst selbst weiter Schutzsuchende, also Flüchtende. Das heißt, dieser Schutz, den ihnen das internationale Recht gewährt, verschwindet nicht dadurch, dass sie anderen helfen. Wenn es da zu so einer Kriminalisierung kommt, ist das ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention."
Wie absurd die europäische Schlepperbekämpfung sein kann, zeigt sein Fall. Auch er saß verurteilt in einem griechischen Gefängnis. Wir nennen ihn Said. Heute hat er politisches Asyl in Österreich und hat hier seine Frau kennengelernt. Said war ein politischer Aktivist in Marokko. Während des arabischen Frühlings rief er zum Protest gegen das Regime auf – und wurde dreimal verhaftet. 2019 floh er. Auch sein Weg führte über die Türkei und den Grenzfluss Evros. Auf einer kleinen Insel ließen die Schlepper ihn und drei weitere Flüchtende einfach zurück.
Said (Übersetzung Monitor): "Wir waren vier Personen auf der Insel, hatten nichts zum Überleben. Irgendwann begannen wir nach etwas zu suchen, das uns helfen könnte, über die Grenze zu kommen. Dann fanden wir ein kaputtes Schlauchboot. Wir versuchten, es notdürftig zu reparieren und aufzublasen."
Die vier Männer waren zu schwer für das Boot. Weil die drei anderen nicht schwimmen konnten, sei er ins Wasser und habe das Boot irgendwie auf die andere Seite geschoben. Dort wurden sie von griechischen Beamten aufgegriffen. Auf der Polizeistation habe man ihn beschimpft und misshandelt, von dort kam er in Untersuchungshaft- sieben Monate lang, ohne zu wissen warum. Vor Gericht wurde Said dann als Schlepper verurteilt – zu vier Jahren Gefängnis.
Said (Übersetzung Monitor): " Ich habe das nicht geglaubt, das war unvorstellbar. Es war wie in einem Film oder in einem Alptraum. Wir hatten doch sogar unsere Pässe dabei. Wie können sie behaupten, wir würden Menschen Geld abnehmen und schmuggeln, wenn wir unsere Pässe bei uns tragen?"
Im Berufungsverfahren wurde die Strafe zwar herabgesetzt, dennoch blieb er über ein Jahr in Haft. Das Gefühl von Willkür, die quälenden Monate im Gefängnis – für Said die wohl schlimmste Zeit seines Lebens. Kritiker fordern die EU-Kommission seit Jahren dazu auf, ihre Richtlinie zu ändern. Damit keine Unschuldigen mehr verhaftet werden.
Erik Marquardt (Die Grünen), EU-Parlamentarier: "Man könnte sagen, es wird billigend in Kauf genommen, aber ich glaube, dass man auch anschauen muss, ob es nicht sogar Absicht ist, ob nicht eigentlich das Ziel ist, dass die Menschen so bestraft werden."
Auf MONITOR-Anfrage verweist die EU-Kommission auf die Möglichkeit, aus humanitären Gründen von einer Strafverfolgung abzusehen. Das sei Sache der einzelnen Mitgliedstaaten. Said ist jetzt in Sicherheit. Doch viele Menschen sitzen weiterhin in Europas Gefängnissen – verurteilt als Schlepper, die sie nicht sind.
Georg Restle: "Fast 2.000 Flüchtlinge sitzen als Schlepper oder Schleuser in griechischen Gefängnissen in Haft. Das ist es dann, was man wohl als Erfolg im Kampf gegen Schlepper und Schleuser leichter verkaufen kann. "
Kommentare zum Thema
Ein Video über flüchtlinge sollte nicht mit den Untertiteln des Beitrags über Bürgergeldbezieher unterlegt werden. hallo, Redaktion, was läuft da schief
Laut ARD -Deutschland-Trend wollen fast 2/Drittel keine Migranten mehr, weil sie diese teuer finanzieren müssen und sie Sorge haben, ihren Arbeitspatz zu verlieren und die Kanzlerpartei schmiert auf 16 % ab ! Was sagt uns das ? Georg ist wahrlich einer der dümmsten Staatsfunker, immer konsequent an den Realitäten im Nirgendwo, so auch immer in TT !!
Es ist unmoralisch, sittenwidrig . Diebstahl , rechtsmißbräuchlich und verfassungswidrig zu Lasten des eigenen Volks , ährlich ca. 80 Milliarden Euro an Ausländer. die praktisch noch niemals öffentl. Abgaben gezahlt haben, zu verschenken , die nicht pol- verfolgt sind, sondern gekommen sind, weil sie den Michel häufigst lebenslang als Melkkuh mißbrauchen wollen ! Ich wünsche Union, AFD und Bideutschen alles Gute bei ihrem Krieg gegen die grüne Luxus -Kita-Sekte und Salonsozis, die offenbar geschmiert sind. !