MONITOR vom 30.07.2020

Informantenschutz ausgehebelt: Angriff auf die Pressefreiheit

Bericht: Lara Straatmann

Informantenschutz ausgehebelt: Angriff auf die Pressefreiheit Monitor 30.07.2020 07:02 Min. Verfügbar bis 30.07.2099 Das Erste Von Lara Straatmann

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Georg Restle: „Und das könnte so ähnlich auch für unser nächstes Thema gelten. Auch hier geht’s um den Abbau von Rechten, von Grundrechten nämlich, vor allem der Pressefreiheit. Stück für Stück wurde dieses Grundrecht in den letzten Jahren eingeschränkt – und jetzt soll es noch ein Stückchen weniger werden. Nach den Plänen der Bundesregierung soll der Verfassungsschutz künftig auch überall da mithören und mitlesen dürfen, wo er das bisher nicht durfte: Bei der verschlüsselten Kommunikation im Internet. Verantwortlich dafür, der Innenminister von der CSU und die Justizministerin von der SPD. Das alles könnte gravierende Folgen haben, nicht nur für die Pressefreiheit. Lara Straatmann.“

Marily Stroux kennt das Gefühl, ganz unbemerkt überwacht zu werden. Die Fotografin wurde vom Verfassungsschutz jahrzehntelang beobachtet. Nur durch Zufall hat sie es erfahren. Rund um die Hafenstraße in Hamburg und auf linken Demonstrationen hat sie fotografiert. Ihre Bilder erschienen in der Taz, in der Zeit, im Stern oder in der New York Times. Der Verfassungsschutz aber hielt die Fotografin für eine potentielle Extremistin.

Marily Stroux, Fotojournalistin: „Der Verfassungsschutz hat 31 Termine genannt und hat behauptet, dass ich da nicht als Journalistin anwesend war, sondern als Privatperson und das wäre die Bestätigung von meine linksextremistische Einstellung. Das ist so ein richtig ekliges Gefühl, wenn andere Leute dich heimlich beobachten. Wie weiß ich, wo das aufhört und wo das anfängt mit dem Beobachten?“

Künftig könnte sie noch weitreichender überwacht werden. Denn nach dem geplanten Verfassungsschutzgesetz soll der Geheimdienst Zugriff auf unsere gesamte digitale Kommunikation erhalten. Begründet wird das Gesetz mit der Verfolgung von Terroristen, doch die Regelungen könnten alle Bürger*innen treffen. Unsere Nachrichten via Whatsapp oder Signal sind verschlüsselt. Nun aber bekommt der Verfassungsschutz eine Spionagesoftware, eine Art „digitalen Spion“. Die Software soll künftig auf die Handys aller Bürger*innen gespielt werden können – unbemerkt. Damit können die Verfassungsschutzbeamten unsere Chatverläufe knacken, sämtliche Nachrichten mitlesen, Sprachanrufe auch per WhatsApp mithören. Das Problem, der Verfassungsschutz kann praktisch selbst entscheiden, wann er aktiv werden will.

Constanze Kurz, Informatikerin und Autorin netzpolitik.org e. V.: „Die Eingriffsschwellen liegen letztlich im Ermessen des Geheimdienstes selbst und der Frage, was er gerade sozusagen an Verdachtsfällen hat oder wo er glaubt, nachforschen zu müssen und welche Interessen er hat. Das ist also nicht so, dass hier ein Richter draufguckt, sondern hier kann der Geheimdienst nach eigenem Gutdünken entscheiden, wann er diese Spionagesoftware zum Einsatz bringt.“

Genau deshalb habe das geplante Gesetz eine ganz neue Qualität. Denn erst war die Software ausschließlich dem Bundeskriminalamt vorbehalten, vor allem zur Terrorabwehr – und nur mit richterlichem Beschluss. Dann erhielt die Polizei die Software zur Strafverfolgung – mit richterlicher Kontrolle. Nun sollen womöglich alle Geheimdienste Zugriff darauf bekommen – ohne Richtervorbehalt. Besonders brisant, für Journalist*innen sieht der Gesetzentwurf keinen gesonderten Schutz vor. Alle Chatverläufe, alle verschlüsselten E-Mails, alle Nachrichten – auch von Informanten – können künftig ausgespäht werden.

Daniel Moßbrucker, Journalist und Experte für digitale Sicherheit: „Es wird erst etwas irgendwo eingeführt als absolute Ausnahme, als ultima ratio, nur in ganz bestimmten Fällen. Und wenn es erst mal da ist, bekommen immer mehr Behörden für immer mehr Dinge diese Befugnis. Das heißt, die Schwelle, es einzusetzen, sinkt immer weiter und in Zukunft sollen eben deutsche Geheimdienste deutsche Redaktionen abhören und ihre Verschlüsselung knacken. Das ist schon eine völlig neue Dimension.“

Panama Papers, Football Leaks oder die Ibiza-Affäre – bei allen großen investigativen Enthüllungen der letzten Jahre war die verschlüsselte Kommunikation und der absolute Informantenschutz Grundvoraussetzung. Frederik Obermaier von der Süddeutschen Zeitung hat mit dem Whistleblower der Panama Papers über Wochen verschlüsselt kommuniziert. Seine Enthüllungen wären ohne diesen Schutz nicht möglich gewesen.

Frederik Obermaier, Investigative Recherche, Süddeutsche Zeitung: „Ich hab in der Vergangenheit mit vielen Quellen gearbeitet, die nicht nur um ihren Job gefürchtet haben, sondern auch zum Teil um ihr Leben gefürchtet haben. Was ich jetzt in Deutschland sehe mit dem geplanten Gesetz, macht mir Angst. Weil ich da schon sehe, dass das ein Angriff auf die Pressefreiheit ist. Ich kann künftig Quellenschutz nicht mehr gewährleisten. Deswegen muss sich auch jeder Abgeordneter und jede Abgeordnete, die diesem Gesetzesvorschlag zustimmt, auch klar sein, dass sie damit einen Angriff auf die Pressefreiheit in Deutschland unterstützt.“

Denn ohne Quellenschutz keine Enthüllungen. Auch das Lesen und Durchsuchen aller Dokumente auf unseren Computern und Handys wollte der Innenminister den Geheimdiensten erlauben, diese Regelung ist auf Druck der SPD nun offiziell gestrichen. Die Sache hat nur einen Haken. Ist die Spionage-Software erstmal auf dem Gerät, haben die Beamten technisch gesehen, leichtes Spiel.

Constanze Kurz, Informatikerin und Autorin netzpolitik.org e. V.: „Das ist eben nicht nur spionieren, sondern auch manipulieren, auch Kommunikation unterbrechen, eine Kommunikation verändern, Dateien auf einen Computer raufspielen, Dateien von einem Computer löschen. Also das Missbrauchspotential ist enorm.“

Frederik Obermaier, Investigative Recherche, Süddeutsche Zeitung: „So geht das in meinen Augen nicht, weil wir damit einem Geheimdienst viel zu viel Macht auferlegen und wir in der Vergangenheit ja leider schon sehen mussten, dass Geheimdienste auch in Deutschland Macht, die man ihnen gegeben hat, auch oftmals missbraucht haben.“

Mehr unabhängige Kontrolle der mächtigen Geheimdienste forderte jüngst auch das Bundesverfassungsgericht. Die Richter erklärten, der Quellenschutz von Journalisten muss selbst bei der massenhaften Überwachung im Ausland beachtet werden. Das Gericht forderte eine „ausgebaute unabhängige objektivrechtliche Kontrolle“ durch eine eigenständige Institution und „qualifizierte Eingriffsschwellen“ für die Überwachung von Journalisten. Klare Grenzen, die im neuen Gesetzentwurf unbeachtet bleiben.

Daniel Moßbrucker, Journalist und Experte für Digitale Sicherheit: „Vor acht Wochen gab es die schallende Ohrfeige aus Karlsruhe. Und jetzt geht man den Schritt, dass der inländische Geheimdienst Journalisten ganz gezielt hacken kann, um ihre Kommunikation mit Quellen abzufangen. Also, da scheint mir wirklich, dass da niemand in der Bundesregierung verstanden hat, welchen Wert eigentlich die Pressefreiheit im Digitalen noch haben sollte.“

Die Vorstellung, was der Verfassungsschutz künftig digital überwachen kann, macht Marily Stroux Angst. Schon heute stellt sie sich die Frage, gefährdet sie Menschen, wenn sie Kontakt aufnimmt? Manche Recherchen habe sie deshalb bereits bewusst gestoppt.

Georg Restle: „Das Erstaunliche an solchen Gesetzesänderungen ist, wie geräuschlos sie regelmäßig über die Bühne gehen. Es scheint fast so, als würde sich diese Gesellschaft erst dann für ihre Grundrechte interessieren, wenn sie wegen Corona keine Partys mehr feiern darf.“

Kommentare zum Thema

  • Maria Frech 17.12.2020, 10:14 Uhr

    Ich hoffe, Journalisten und Quellen sind weiterhin mutig. Bin selbstTarget von organisiertem Stalking und elektronischer Belästigung. In dieser neuen Welt ist Mut besonders gefragt. Danke für Ihren Artikel.

  • Bert 03.10.2020, 13:01 Uhr

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  • Gerald Wilfried 17.08.2020, 23:28 Uhr

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