Bericht: Jan Schmitt, Herbert Kordes, Maximilian Jungbluth
Christian Lindner, Bundesfinanzminister: "Dienstwagenprivileg, Reiche haben Dienstwagen, ein Privileg, kriegen auch Geld vom Staat, Dienstwagenprivileg, das nennt man Framing. Damit Sie im Bauch schon das Gefühl haben, oh, das kann nicht mit rechten Dingen zugehen."
Achim Pollmeier: "Das Dienstwagenprivileg als linkes Framing. Interessant, wie der Finanzminister sich in Rage redet und bestreitet, was eigentlich jeder weiß. Das Dienstwagenprivileg ist eine milliardenschwere, klimaschädliche Subvention für Menschen, die einen Dienstwagen benutzen. Kein Framing, sondern ein Privileg; sagen selbst die so genannten Wirtschaftsweisen – und die sind jetzt nicht als linke Ideologen bekannt.
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Dass der Finanzminister an bestehenden Autosubventionen unbedingt festhalten will, fällt gerade deshalb so auf, weil er woanders komplett auf der Bremse steht. Beim 9-Euro-Ticket, mit dem man in ganz Deutschland den öffentlichen Personennahverkehr nutzen darf. Millionen haben es genutzt, für den Bundeskanzler war es eine der besten Ideen dieser Koalition, doch der Finanzminister blockt ab. Für sowas fehle einfach das Geld. Ende August ist Schluss mit dem 9-Euro-Ticket. Dabei gäbe es viele Vorschläge, wie man die beste Idee der Regierung sinnvoll fortsetzen könnte, zeigen Jan Schmitt, Herbert Kordes und Maximilian Jungbluth."
Das 9-Euro-Ticket - ein Sommermärchen in Deutschland. 38 Millionen verkaufte Tickets, Bus und Bahn waren zwar teils überfüllt, aber auch wieder cool. Selbst für Leute, die sonst lieber Auto fahren oder sich Ausflüge lange nicht haben leisten können. Katja Eujen hat es den ganzen Sommer über genutzt. Schon als wir sie im Juni besucht haben, wusste sie kaum, wie sie angesichts der hohen Inflation über die Runden kommen soll. Netto verdient sie rund 1.700,- Euro. Das Ticket war für sie da eine echte Entlastung. Sie wünscht sich eine dauerhafte Lösung.
Katja Eujen: "Es kommen jetzt viele Kosten auf uns alle zu. Gas, Strom und alles wird teurer; die Preise im Supermarkt gehen echt in die Höhe. Und deswegen denke ich, wäre es eine gute Entspannung auch für den Geldbeutel und für die Mobilität insgesamt, dass man mal schnell auf bequeme Weise irgendwo hinfahren kann, keine teuren Tickets kaufen muss. Das wäre eine echte Entlastung, und das würde mir persönlich auch sehr gut tun."
Tatsächlich hat das Ticket vor allem Menschen wie ihr geholfen, die wenig Geld verdienen. Das zeigen Untersuchungen von Verkehrswissenschaftlern.
Prof. Andreas Knie, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung: "Ja, das 9-Euro-Ticket war ja eigentlich als Entlastung gedacht, gerade für die unteren Einkommensklassen. Das hat es übrigens auch erreicht, es sind zum ersten Mal wieder ganze Familien mit Kind und Kegel unterwegs gewesen. Und dann hat es etwas erreicht, was wir gar nicht so erhofft hatten, dass nämlich Menschen, die längst Bus und Bahn aufgegeben hatten – die völlig beim Auto waren – die haben sich plötzlich das 9-Euro-Ticket geschnappt und sind losgefahren."
Das hat man auch hier beobachtet: Elke Schreiber und ihre MitarbeiterInnen von der Bahnhofsmission in Aachen helfen Menschen beim Umsteigen, geben Auskünfte oder verteilen Getränke. Seit der Einführung des 9-Euro-Tickets gibt es jede Menge zu tun.
Elke Schreiber, Bahnhofsmission Aachen: "Es ist überhaupt möglich, eine Reise anzutreten, das war vorher nicht so. Also gerade Alleinerziehende oder Menschen an der Armutsgrenze, RentnerInnen, ja, Sozialhilfe-EmpfängerInnen, die können sich das nicht leisten. Und das hat enorm zugenommen, dass diese Menschen auch verreisen können."
Viele Menschen hätten durch das Ticket ein Stück Freiheit zurückbekommen, sagt sie.
Elke Schreiber, Bahnhofsmission Aachen: "Es ist Teilhabe und auch Bildung. Also alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern unterwegs, mal kulturelle Sachen angucken oder so, das ist Teilhabe am gesellschaftlichen Leben."
Eine echte Erfolgsgeschichte. Er hat das Ticket eingeführt: Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP. Und er gibt sich von Beginn an überzeugt davon.
Volker Wissing (FDP), Bundesverkehrsminister: "Gute Ideen setzen sich am Ende immer durch. Jetzt hat auch der Bundesrat dem 9-Euro-Ticket zugestimmt. Damit kommt es, ihr könnt es kaufen, und am 1. Juni geht es los. Ich hab schon eins!"
Der Effekt des Tickets war anfangs umstritten. Nur wenige Menschen hätten ihr Auto für Bus und Bahn stehen lassen. Volle Züge, volle Straßen, kaum Verzicht auf Autos, hieß es. Aber inzwischen zeigt sich ein anderes Bild. MONITOR gegenüber stellt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, auf dessen Zahlen auch die ersten Einschätzungen beruhten, nun klar,
Zitat: "dass die Verkehrsverlagerung vor allem vom PKW zum ÖPNV im Aktionszeitraum doch deutlich höher ist als zunächst aufgrund erster Ergebnisse im Juni zu erkennen war."
Wissenschaftler sehen gerade in der Fortführung eines subventionierten Tickets eine echte Chance für eine Verkehrswende und mehr Klimaschutz.
Katrin Dziekan, Umweltbundesamt: "Die Menschen sind auf den öffentlichen Verkehr aufmerksam geworden. Einige haben es ausprobiert und wir haben gesehen, dass ein einfaches Ticket sehr gut angenommen wird. Und diesen Schwung müsste man nutzen, um jetzt auch die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs weiter voranzubringen."
Aber jetzt - nach drei Monaten - ist erst mal Schluss. Zwar gibt es noch Diskussionen um eine Fortsetzung und auch Vorschläge, wie ein dauerhaft bezahlbares Ticket für den Öffentlichen Nahverkehr aussehen könnte, aber eine Lösung ist nicht in Sicht. Vor allem er stemmt sich dagegen: Bundesfinanzminister Christian Lindner. Die Zuzahlung für den Staat findet er zu teuer.
Christian Lindner (FDP), Bundesfinanzminister, 21.08.2022: "Das würde 14 Milliarden Euro kosten, Geld das uns fehlt für die Bildung. Geld, das uns fehlen würde für die Investition in das Schienennetz, also die Modernisierung. Und da muss man sagen, die Idee eines kostenfreien ÖPNV, also Gratis-Nahverkehr, das ist nicht finanzierbar."
Auf Twitter unterstellt Lindner den Nutzern des Tickets eine "Gratismentalität".
Katja Eujen: "Das ist ne Unverschämtheit, weil wir alle für unser Geld arbeiten und ich lade Herrn Christian Lindner ein, mal eine Woche mit mir durchs Leben zu gehen, und vielleicht öffnet das seinen Blickwinkel für die kleineren und mittleren Einkommen."
Aber ist günstiger Nahverkehr für den Staat wirklich nicht bezahlbar?
Katrin Dziekan, Umweltbundesamt: "Das ist eine Frage der Prioritäten. Was möchten wir bezahlen? Also wofür wollen wir unsere Steuergelder auch einsetzen? Das ist eine Menge Geld. Aber im Vergleich zu anderen Investitionen, die wir als Staat tätigen, ist es auch eine Summe, die durchaus stemmbar ist. Vor allen Dingen, wenn man an die sogenannten umweltschädlichen Subventionen denkt, die wir uns als Staat auf der anderen Seite nämlich auch leisten."
Umweltschädliche Subventionen im Verkehrsbereich summieren sich laut Umweltbundesamt auf insgesamt 30 Milliarden Euro. Über die Hälfte davon machen Subventionen für das Auto aus. Dieselkraftstoff wird mit etwa 8,2 Milliarden Euro subventioniert, privat genutzte Dienstwagen mit etwa 3,1 Milliarden Euro und die Pendlerpauschale – vor allem für Autofahrer – lässt sich der Bund ca. 6 Milliarden Euro kosten; und sie wurde nun auch noch erhöht. Insgesamt kommen so etwa 17,3 Milliarden Euro an klimaschädlichen Subventionen – nur fürs Auto – zusammen. Viel mehr als die 14 Milliarden Euro, die Christian Lindner für das 9-Euro-Ticket veranschlagt hat. Und die klimaschädlichen Subventionen gehen größtenteils an Besserverdienende. Denn der Steuervorteil wird umso größer, je mehr Kilometer gefahren werden und je größer das Auto ist.
Prof. Andreas Knie, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung: "Um die Verkehrswende erfolgreich und attraktiv zu machen, müssen wir dem Auto die Privilegien, die wir ihm jahrzehntelang gegeben haben, nehmen. Das würde vor allen Dingen die mittleren und höheren Einkommen treffen, aber die können sich das leisten. Und dafür machen wir attraktive Angebote, die vor allem für die unteren und mittleren Einkommen wirklich nutzbar sind und die sie dann auch dazu bringen, vom Auto auf die Busse umzusteigen."
Für Katja Eujen war das 9-Euro-Ticket eine wirklich spürbare Entlastung. Und ausgerechnet das läuft jetzt aus. Dabei werden ihre monatlichen Kosten demnächst erst richtig explodieren.
Katja Eujen: "Ich gucke sorgenvoll auf den Winter, ich werde ins Minus rutschen und ich weiß noch nicht, wie ich das alles schultern kann."
Angesichts dessen wäre das günstige Ticket für sie zumindest ein Lichtblick gewesen.
Achim Pollmeier: "Angst vor dem Winter. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung mit Entlastungen für Menschen mit niedrigen Einkommen in die Gänge kommt. Frau Eujen aus unserem Film hat von allen bisherigen Entlastungspaketen zusammen gerade mal umgerechnet rund 45,- Euro mehr im Monat. Alle Preiserhöhungen zusammen schlagen bei ihr aber mit rund 300,- Euro zu Buche."
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