Bericht: Achim Pollmeier, Jan Schmitt, Andreas Spinrath, Lena Kampf
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Georg Restle: „Den Mächtigen unbequem sein, so verstehen viele Journalisten ihren Job. Das kann gefährlich werden, manchmal sogar tödlich. Im Februar dieses Jahres wurde der slowakische Journalist Jan Kuciak ermordet, weil er über Verbindungen zwischen Regierungspartei und Organisierter Kriminalität recherchiert hatte. Erst letzte Woche kam Maxim Borodin in Russland unter mysteriösen Umständen zu Tode. Er hatte sich mit russischen Söldnern in der Ukraine und Syrien beschäftigt. Beide Kollegen waren den Mächtigen offenbar zu nahe gekommen. Genauso wie Daphne Caruana Galizia, eine unerschrockene Kollegin aus Malta, die vor einem halben Jahr auf einer Landstraße mit ihrem Auto in die Luft gesprengt wurde. „Sie haben eine Journalistin getötet, nicht ihre Recherchen.“ Mit diesem Bekenntnis wollen wir heute auch bei Monitor ein Zeichen setzen, gemeinsam mit 45 Journalisten von 18 internationalen Medien. Aus Deutschland mit dabei: WDR, NDR, SZ und „Die Zeit“. Monatelang haben wir gemeinsam die Recherchen von Daphne Caruana Galizia ausgewertet und weitergeführt. Recherchen, die auch Hinweise geben könnten auf ihren Mörder und deren Hintermänner. Achim Pollmeier, Jan Schmitt, Lena Kampf und Andreas Spinrath waren Teil des Rechercheteams von „forbidden stories“ - verbotene Geschichten.“
Bidnija, Malta, 16.10.2017 - morgens früh im Dorf Bidnija auf Malta, der letzte Tag im Leben der Journalistin Daphne Caruana Galizia. Sie ahnt nicht, dass die Täter in der Nacht eine Bombe unter ihrem Autositz angebracht haben - lautlos.
Matthew Caruana Galizia, Daphnes Sohn (Übersetzung Monitor): „Die Grundstücksmauer steht einige Meter vom Haus entfernt. Wenn sich da jemand bewegt, hinter der Mauer, hört man das nicht.“
Laut Ermittlungsakten beobachtet einer der mutmaßlichen Täter das Haus. Ein anderer verlässt gegen 8:00 Uhr morgens auf einem Boot den Hafen von Valletta. Das zeigen diese Überwachungsfotos. Beide stehen über Handy miteinander in Kontakt. Am frühen Nachmittag verlässt Galizia das Haus, steigt in den Wagen, um in die Stadt zu fahren. Der Beobachter informiert den Komplizen auf dem Boot; und der löst per SMS die Bombe aus.
Matthew Caruana Galizia, Daphnes Sohn (Übersetzung Monitor): „Ich wusste sofort, dass das eine Autobombe war. Ich bin aufgesprungen und zur Tür. Ich bin gerannt und sah die Rauchschwaden, einen Feuerball. Ich dachte: Bitte, Gott, bitte, lass es ein anderes Auto sein. Ich konnte das Nummernschild nicht erkennen, nicht die Farbe und auch nicht die Automarke. Ich rannte rum und dann sah ich eine Radkappe und darauf das Logo: Peugeot! Und in dem Moment dachte ich: Scheiße!”
Die Ermordung von Maltas berühmtester Investigativ-Journalistin - eine Inszenierung des Schreckens. Sie löst weltweit Entsetzen aus und die Frage: Ist sie bei ihrer Arbeit den Mächtigen zu nahe gekommen? Wer hatte ein Interesse daran, sie zu töten? Wer sind die Hintermänner? Malta, rund 400.000 Einwohner, Mitglied der EU - und bekannt als Steueroase. Doch in Daphne Caruana Galizias Recherchen geht es um viel mehr: Organisiertes Verbrechen, Geldwäsche, Korruption. Sie legt sich mit den Mächtigsten an - auch mit Mitgliedern der Regierung. Vor allem in den letzten Jahren.
2013 bringt ein triumphaler Wahlsieg den 39-jährigen Sozialdemokraten Joseph Muscat an die Macht. Der neue Premierminister verspricht Wohlstand für sein Land. Aber einige werden wohl besonders profitieren. Ein Netzwerk entsteht rund um Regierungschef Muscat. Leute, denen es wohl nicht nur um das Wohl des Landes geht. Mit dabei: Ein Spezialist für Briefkastenfirmen, ein iranischer Finanzjongleur, der eine umstrittene Bank gründet, und ein Geschäftsmann, der mit dem Verkauf von Pässen sein Geld verdient.
Galizia ist empört. Die Regierung legt ein Programm zum Verkauf maltesischer Pässe auf. Für 650.000 Euro bekommen zum Beispiel russische Oligarchen oder Geschäftsleute aus dem Nahen Osten die europäische Staatsbürgerschaft, ihre Geschäfte können sie dann ganz einfach in der EU abwickeln. Die Regierung sagt, jeder werde genau überprüft, EU-Abgeordnete sehen darin aber ein Einfallstor für Kriminelle.
Sven Giegold (B‘90/Grüne), Mitglied EU-Parlament: „Das bedeutet, dass Kriminelle sich eine europäische Staatsbürgerschaft kaufen können, um damit weltweit Geschäfte zu tätigen mit weniger Kontrolle. Dann ist das ein Programm zur Förderung von internationaler Finanz- und Wirtschaftskriminalität.“
Aber nicht nur das. Galizia stößt bei Recherchen auf seltsame Geldflüsse, direkt an Regierungsmitglieder. Sie bloggt:
Zitat: „Schmiergeld aus Verkauf Maltesischer Staatsbürgerschaft.“
Schmiergeld, das direkt an ein Regierungsmitglied geflossen sein soll? Was hat es damit auf sich? Jonathan Ferris arbeitete zu diesem Zeitpunkt bei der maltesischen Geldwäschebehörde FIAU. Die Behörde untersuchte verdächtige Geldflüsse beim Passhandel, und stieß dabei auf dubiose Überweisungen. Drei Passkäufer aus Russland hatten insgesamt 166.000 Euro auf das Konto einer panamaischen Briefkastenfirma überwiesen, angeblich Gebühren. Die Firma gehört einem Vertrauten von Premierminister Muscat. 100.000 Euro flossen weiter auf ein anderes Konto, und das gehört dem Kabinettschef der Regierung: Keith Schembri. Der Kabinettschef sagt, es habe sich nur um die Rückzahlung eines privaten Darlehens gehandelt. Aber die Geldwäsche-behörde hält das damals für unglaubwürdig. Sie schreibt:
Zitat (Übersetzung Monitor): „Wahrscheinlich handelt es sich um ein Scheindarlehen, eine Methode, die besonders bekannt ist, um Schmiergeldzahlungen an politisch exponierte Personen zu verschleiern.“
Nach dem Bericht passiert - nichts. Die Polizei entscheidet damals: kein Grund für Ermittlungen.
Jonathan Ferris, ehem. Ermittler Geldwäschebehörde FIAU (Übersetzung Monitor): „Wie können der Polizeichef und sein Team sich als Richter aufspielen und entscheiden, nicht zu ermitteln? Man muss doch erst mal ermitteln!“
Ivan Camilleri, Journalist, Times of Malta (Übersetzung Monitor): “Warum will die Polizei nicht ermitteln? Das ist die Frage. Wer kontrolliert die Polizei auf Malta? Das Büro des Premierministers.”
Der Premierminister bestreitet, Ermittlungen verhindert zu haben. Es handle sich ohnehin nur um wilde Spekulationen. Aber auch bei anderen Geschäften werden die Spuren direkt in sein Umfeld führen. Wir treffen Galizias Familie Mitte März 2018. Erstmals seit ihrer Ermordung geben die Söhne und ihr Ehemann Peter Interviews. Sie zeigen uns ihren Arbeitsplatz - den großen Tisch im Esszimmer, an dem sie täglich ihre Blogs verfasst hat. Aufklärend, unerbittlich, oft umstritten, manchmal übers Ziel hinaus. Blogs, für die sie immer öfter auch selbst angegriffen wurde.
Peter Caruana Galizia, Daphnes Ehemann (Übersetzung Monitor): „Wir mussten zusehen, wie sie langsam vor unseren Augen starb, wie sie umgebracht wurde. Man wollte sie um jeden Preis stoppen. Aber ich hätte nicht geahnt, wie weit sie dabei gehen würden.“
Um sie wurde es immer einsamer. Etliche Verleumdungsklagen gegen sie wurden angestrengt.
Premierminister Muscat selbst hat sich mit seinem Kabinettschef und dem Passhändler Christian Kälin über eine Klage verständigt. Kälin verdient mit seiner Agentur an den Passverkäufen. Und eine weitere millionenschwere Schadenersatzklage gegen Galizia stammt ausgerechnet von der Bank, über die etliche dubiose Zahlungen gelaufen sind. In der Bucht von Maltas Hauptstadt Valletta residiert sie prachtvoll: die Pilatus Bank. Einen Kundenschalter gibt es nicht, nicht mal ein Firmenschild. Die Bank hat nur wenige Mitarbeiter, wenige besondere Kunden und nur ein paar Büros oben im Gebäude. Daphne Caruana Galizia äußert schon früh einen Verdacht:
Zitat: „Geldwäsche“
- schreibt sie im Februar 2016 in ihrem Blog.
Einen Monat später werden die Ermittler der Geldwäschebehörde auf die Pilatus Bank aufmerksam. Eine Woche lang sehen sie Bücher ein, checken Verfahrensabläufe. Ein Bericht wird angefertigt. Und der ist vernichtend: Es bestehe die Gefahr, heißt es, dass die Bank
Zitat (Übersetzung Monitor): „sich selbst zur Verfügung stelle, um von Kriminellen missbraucht zu werden.“
Die Bank teilt später mit, man habe die Fehler abgestellt, das habe auch die Geldwäschebehörde bestätigt. Eine polizeiliche Ermittlung fand allerdings nicht statt. Warum nicht - das will eine EU-Delegation genau wissen.
Sven Giegold (B‘90/Grüne), Mitglied EU-Parlament: „Die maltesische Polizei hat uns im Grundsatz erklärt, wir können erst dann Ermittlungen aufnehmen, wenn wir nicht nur Verdächtigungen haben, sondern Beweise. Das ist genau das Gegenteil vom Auftrag von Polizei. Der Auftrag von Polizei ist, Hinweisen nachzugehen, um Beweise festzustellen.“
Uns gelingt es, eine ehemalige Mitarbeiterin der Pilatus Bank zu treffen. Aus Angst um ihre Familie will sie anonym bleiben. Sie erzählt uns eine Geschichte, die die Familie des Premierministers in größte Bedrängnis bringen könnte. Sie habe Unterlagen aus einem Safe der Bank holen sollen.
Mitarbeiterin der Pilatus Bank: „Ich öffnete den Safe. Darin befanden sich lauter Akten. Aus Neugier blätterte ich darin. Ich stieß auf zwei Dokumente zu einer Firma in Panama. Als Eigentümerin stand da der Name: Michelle Muscat.“
Michelle Muscat, die Frau des Premierministers. Die Mitarbeiterin sei alarmiert gewesen, sagt sie. Vor genau einem Jahr traf sie sich deshalb mit Daphne Caruana Galizia.
Sie zeigt Galizia Dokumente. Und noch mehr. Sie berichtet ihr von einer Millionenüberweisung aus Aserbaidschan, Absender: die Tochter des dortigen Präsidenten, Empfänger: die Firma, die angeblich Michelle Muscat gehören soll. Unmittelbar nach dem Gespräch macht Galizia die Zahlung öffentlich und schreibt:
Zitat: „1,017 Mio. US $ aus Aserbaidschan.“
Eine Millionenzahlung an die Frau des Premierministers? Beide dementieren, überhaupt etwas mit der Firma zu tun zu haben. Aber wofür könnte die Million geflossen sein? Galizia vermutete, der Grund für die Zahlung könnte hier liegen: Kurz vor der Überweisung gab es einen Deal. Seitdem darf Aserbaidschan exklusiv Flüssiggas an Malta verkaufen, Gas für dieses Maltesische Kraftwerk. Die genauen Konditionen haben sie ausgehandelt: Premierminister Muscat und - Aserbaidschans Präsident Aliyev. Ilham Aliyev gilt als einer der wohl korruptesten Staatenlenker der Welt, der seine Kritiker skrupellos verfolgt. Seine Familie - so finden wir heraus - ist an zahlreichen Firmen im EU-Land Malta beteiligt und hält Konten bei: der Pilatus Bank. Anfragen dazu werden nicht beantwortet. Auch den Energiedeal untersucht die Geldwäschebehörde. Ein neuer Bericht dazu entsteht. Darin geht es noch um andere Vorwürfe, auch gegen Regierungsmitglieder. Uns liegen alle 110 Seiten des Dokuments exklusiv vor. Es heißt:
Zitat (Übersetzung Monitor): „Es gibt den begründeten Verdacht auf Geldwäsche oder die Verschleierung krimineller Machenschaften.“
Am 16. Juni 2017 kommt Ermittler Ferris in sein Büro. Er will dem Verdacht über die angeblichen Zahlungen an die Frau des Premierministers nachgehen.
Da erhält er einen offiziellen Brief. Darin - seine Kündigung.
Jonathan Ferris, ehem. Ermittler Geldwäschebehörde FIAU (Übersetzung Monitor): „Das traf mich wie ein Schock. Denn rausgeschmissen zu werden, weil man seine Arbeit tut, ist das Schlimmste, was einem passieren kann.“
Die Behörde sagt, ihm wurde gekündigt, weil er die Erwartungen nicht erfüllt habe.
Anfang Dezember - der Zugriff. Die drei Männer, die die Autobombe gelegt und gezündet haben sollen, werden festgenommen. Entscheidende Hinweise waren von FBI und Europol gekommen. Zu den Hintermännern fehlt bisher jede Spur. Die Regierung sagt, die Ermittlungsbehörden täten alles, um die wahren Verantwortlichen zu finden. Doch die Familie vertraut den Behörden schon lange nicht mehr. Schließlich seien es die gleichen Behörden, deren Untätigkeit das Leben von Galizia erst in Gefahr gebracht habe.
Matthew Caruana Galizia, Daphnes Sohn: „Meine Mutter wäre nicht zur Zielscheibe geworden, wenn das Justizsystem funktionieren würde, wenn die Polizei ihre Arbeit gemacht hätte, oder die Ermittlungsrichter. Dann hätte es keinen Grund gegeben, sie zu ermorden. Vielleicht einen Polizisten oder einen Richter, aber ganz sicher keine Journalistin.“
Daphne Caruana Galizia wurde 53 Jahre alt. Minuten, bevor die Bombe detonierte, beendete sie ihren letzten Blog mit den Worten:
Zitat: „Die Gauner sind überall. Die Lage ist hoffnungslos.“
Georg Restle: „Falls Sie sich jetzt fragen, was hat das alles eigentlich mit uns zu tun? Eine ganze Menge. Immerhin ist Malta ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union, und die Regierung entscheidet damit auch mit über Gesetze, die hier in Deutschland gelten.“
Kommentare zum Thema
Geld ist ein ganz besonderer Saft, heißt es in Goethes Faust. Mit Geld läßt sich Macht, Ansehen und Einfluß kaufen. Kurz mit Geld wird die umfassend verführerische Allmachtsphantasie und Bestreben des Menschen göttergleich zu sein überall auf der Welt und in allen Schichten der Bevölkerung ermöglicht. Der einzige und zwar unüberwindliche Widerstand gegen diesen schrankenlosen Wahnwitz bietet zu allen Zeiten und ebenfalls überall auf der Welt in allen Schichten der Bevölkerung eine an philosiphischen oder religiösen Prinzipien verinnerlichte Ethik und Moral. Ihre konsequenten mit spitzer Feder unnachsichtig schreibenden Vertreter leben stets gefährdet. Sie sind die in Erscheinung getretenen Repräsentanten des von Jesus verkündeten Reiches Gottes. Die Aufgabe von uns Christen ist es, sich gegen aufkeimende Rachephantasien innerlich zu Wehr zu setzen wissend, dass die Politkriminellen sich ihrer gerechten Strafe nicht entziehen werden können, dafür sorgt der Weltenrichter zu seiner Zeit.
Vielleicht auch interessant zu berichten, dass die Deutsche Botschaft sich im gleichen Gebäude der Pilatus Bank befindet...
It is disgusting how reckless and greedy they have become. And nobody will stop them. Cheers EU!!!!!!!!!!! Shame on you!!!!