Georg Restle: "Ja, das Thema Migration sei es gewesen, das die Menschen bei der Europawahl zur AfD getrieben habe, heißt es. Und dabei habe die Messerattacke von Mannheim eine nicht unbedeutende Rolle gespielt, bei der ein junger Polizist brutal getötet wurde. Ein entsetzliches Verbrechen, das die AfD sofort zum Wahlkampfthema machte. Dabei sind Fakten bei dieser Partei oft nachrangig. Warum ein junger Afghane in Mannheim zur Tat schritt; wie er sich radikalisiert hat; ob und wie man solche Verbrechen von Einzeltätern überhaupt verhindern kann - all das spielt bei der AfD keine Rolle. Hauptsache Wählerstimmen, Hauptsache gegen Migranten. Unser Reporter-Team war in Mannheim unterwegs - auf den Spuren des Täters, in einer Stadt, in der viele Muslime und Geflüchtete Angst haben, jetzt wieder unter Generalverdacht zu geraten. Lara Straatmann, Bamdat Esmaili und Elias Hamann."
Stille auf dem Mannheimer Marktplatz vor knapp einer Woche. Der Bundespräsident zeigt seine Anteilnahme, neben ihm die Familie des jungen Polizisten, seine Kollegen und viele Bürger der Stadt. Die Trauer, der Schock nach dem Tod des Polizisten Rouven Laur ist groß. Er wurde 29 Jahre alt.
Frau auf der Straße: "Es ist alles so sinnlos und ich weiß auch nicht, warum man nicht in Frieden leben kann, keine Ahnung. Weil Mannheim ist eigentlich eine friedliche Stadt und hier die türkische Gemeinde, die da ist und die Muslime, eigentlich leben die alle sehr eng miteinander."
Mann auf der Straße: "Ich finde es jetzt schwierig, weil man so einen tollen Zusammenhalt hat mit diesem Multikulturellen und wir hier so was vorleben, was gut funktioniert - und das ist jetzt dadurch beeinträchtigt. Und das nimmt mich schon ziemlich mit. Weiß gar nicht, wie ich damit umgehen soll."
Der mutmaßliche Mörder stammt aus Afghanistan. Sulaiman A's Asylantrag wurde vor zehn Jahren abgelehnt. Weil er damals minderjährig war, durfte er in Deutschland bleiben. Ein islamistisches Motiv liegt nahe, noch aber schweigt der Generalbundesanwalt. Klar ist, zuvor ist Sulaiman A. nie auffällig geworden - bis vor zwei Wochen. Er griff Teilnehmer einer islamfeindlichen Kundgebung an. Der Polizist ging dazwischen und wurde selbst zum Opfer. Und das ausgerechnet hier auf dem Mannheimer Marktplatz - rund um den Tatort sind zahlreiche türkische Geschäfte, viele Muslime sind in Mannheim seit Generationen zu Hause. Ganz in der Nähe des Tatorts die evangelische Kirche. Wir treffen Pfarrerin Ilka Sobottke und Dekan Ralph Hartmann. Sie sind entsetzt über die Tat und sorgen sich um den Zusammenhalt.
Ilka Sobottke, Pfarrerin ev. CityGemeinde Hafen-Konkordien, Mannheim: "Es ist wie ein Stich in die Seele dieser Stadt. Und es gibt hier eine ganz große Trauer. Einmal um diesen jungen Mann, der … der ja viel riskiert hat. Aber es gibt eben hier auch eine große Trauer um die Selbstverständlichkeit, mit der wir in Mannheim seit Jahrzehnten zusammenleben. Ich hatte sofort befreundete Muslime, die gesagt haben, ja, und jetzt wird es wieder so sein, dass wir schuld sind."
Wir wollen mehr wissen über Sulaiman A., fahren nach Heppenheim, knapp 40 Kilometer von Mannheim entfernt. In diesem Hochhaus wohnte er mit seiner deutschen Frau und zwei Kindern. Niemand hier will vor der Kamera reden. Auch jene, die ihn besser kennen, trauen sich nicht, offen zu sprechen. Die Angst ist groß, Probleme zu bekommen. Abseits der Kamera erzählen uns mehrere Nachbarn, Sulaiman A. habe sich in diesem Jahr verändert. Er habe sich einen längeren Bart wachsen lassen, sagen sie. Er habe davon gesprochen, dass das Kalifat die einzige Lösung sei. Selbst kleinen Kindern auf dem Spielplatz habe er vom Islam erzählt, berichtet uns ein Nachbar. Wir fahren zu den Moscheen in der Nähe. Niemand hier will ihn kennen oder gesehen haben. Das Bild von einer vorbildlichen Integration. In seiner Jugend trainierte er Taekwondo, holte bei der Hessenmeisterschaft sogar die Bronzemedaille. Hier an der Abendschule in Heppenheim machte Sulaiman A. seinen Realschulabschluss, wollte das Abitur machen. Er sei sogar stellvertretender Schulsprecher gewesen, erzählen sie uns hier. Ein Musterbeispiel für Integration also? Nach langem Suchen finden wir endlich eine ehemalige Mitschülerin, die mit uns redet. Sie ging mit Sulaiman A. in die Klasse.
Mitschülerin: "Er war sehr zurückhaltend, aber sehr höflich. Er hat eigentlich alle Leute begrüßt, er hat Türen aufgehalten. Ja, aber eigentlich nicht großartig auffällig irgendwie."
Eine solche Tat, sagt sie, hätte ihm hier niemand zugetraut.
Mitschülerin: "Wir haben alle nicht damit gerechnet. Man dachte erst, das wäre nur jemand, der ihm sehr ähnlich sieht. Und man hat natürlich Ausreden gesucht, warum er das nicht sein könnte. Und dann war einfach Schock in der gesamten Klasse."
Warum wurde aus Sulaiman A. ein Gewalttäter? Die Ermittlungen geben bislang keinerlei Antworten darauf. Sie dagegen haben ihr Urteil bereits gesprochen. Mannheim, eine Woche nach dem Attentat. Die AfD nutzt die Ereignisse, um Wahlkampf zu machen. Hunderte Anhänger feiern die Partei. Auf den Anschlag folgen die Parolen.
Jan Bollinger (AfD), Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz: "Danke, dass ihr da seid, um ein starkes Zeichen zu setzen gegen Messerzuwanderung und Islamisierung. Das hier ist unser Land, unsere Heimat."
Parolen, die Ängste schüren und einen Generalverdacht, auch hier in Mannheim.
Frau: "Jetzt läuft hier ja einer rum, der so muslimisch aussieht. Und da fragt man sich, hat der nicht vielleicht auch ein Messer in der Tasche? Weil man ist nicht mehr sicher in diesem Land.
2. Frau: "Wir sind Deutschland und das soll Deutschland bleiben. Und wir brauchen keinen Flüchtlingsstrom mehr, wir brauchen den ganzen Dreck nicht mehr."
Ilka Sobottke, Pfarrerin ev. CityGemeinde Hafen-Konkordien, Mannheim: "Das ist ja ein reflexartiger Impuls, dass jedes Mal, wenn was passiert es heißt, erstens die Muslime sind schuld. Und zweitens am besten Ausländer raus und Deutschland den Deutschen. Und das ist für unsere Nachbarn und Freunde, die Muslime sind, unerträglich."
Wir sind verabredet mit dem Imam der nahegelegenen Ahmadiyya Muslim-Gemeinde. Auch hier kannte niemand den Täter. Aber der brutale Mord und seine Folgen lässt auch sie nicht los, macht sie wütend.
Sufyan Cheema, Angehender Imam, Ahmadiyya Muslim Jamaat-Gemeinde: "Letztendlich ist es ja so, dass für mich ganz klar ist, dass der Polizist ein Held ist und dass der Attentäter ein Terrorist ist. Das heißt, das Ziel von jedem Terroristen ist einfach, Angst zu schüren. Und jetzt sind wir gefragt - also die Gesellschaft - ob wir jetzt zusammenhalten oder ob wir uns beeinflussen lassen und wirklich dann zum Opfer werden von dieser Tat."
Nach der Messerattacke diskutieren sie hier verstärkt darüber, was sie selbst tun können, um Radikalisierung zu verhindern. Es müsse über die Gefahren des Islamismus aufgeklärt werden, sagen sie, auch in der eigenen Gemeinde. In der Politik werden die üblichen Lösungen debattiert: Harte Strafen und Abschiebungen, auch nach Afghanistan. Sulaiman A. hätten die Behörden allerdings nicht abschieben können. Er hatte eine Aufenthaltserlaubnis, eine deutsche Frau und zwei Kinder. Schärfere Abschieberegeln hätten seine Tat wohl kaum verhindert, auch weil er nicht polizeibekannt war. Wie denken Geflüchtete aus Afghanistan über die Ereignisse? Sie haben hier im Landkreis vor einigen Jahren eine eigene Fußballmannschaft gegründet. Das, was in Mannheim passiert ist, hat sie stark aufgewühlt. Aber auch die politische Debatte über Abschiebungen besorgt sie.
Olaf Scholz: “Solche Straftäter gehören abgeschoben, auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen.”
Straftäter abschieben? Ausgerechnet zu den islamistischen Taliban? Die würden den Täter doch dann als Helden feiern, sagen sie.
Mohammad Reza Alizada, Gelernter Koch: "Was passiert dann? Meine Meinung, ich weiß, Taliban 100 % kommt mit Blumen an der im Flughafen sagt, ja, das wird gemacht, herzlich willkommen!"
Einer der Fußballer lädt uns zu sich nach Hause ein und stellt uns seine deutsche Familie vor. Seit Jahren wohnt Mohammad Reza Alizada bei den Schaabs. Drei Generationen leben hier unter einem Dach. Die neue Debatte um Abschiebungen macht ihnen große Sorgen. Schließlich sei Alizada vor den Taliban geflohen.
Mohammad Reza Alizada, Gelernter Koch: "Ich habe Angst, dass ich irgendwie wieder zurück nach Afghanistan … aber ich kann das nicht wieder zurück nach Afghanistan. Alle reden über Afghanen letztes, zwei, drei Tage oder letzter Woche. Ich habe immer, ich denke immer und ich habe Angst."
Die Familie betrieb bis vor kurzem noch ein kleines Restaurant. Alizada ist in der Nachbarschaft bekannt. Das Attentat in Mannheim sei nun Gesprächsthema.
Ruth Schaab: "Das sind die berühmten, einfachen Lösungen. Und da kann ich nichts mit anfangen, weil das ist immer ungerecht. Ich weiß nicht, wie man jemand nach Afghanistan abschieben will, wie das funktionieren soll und warum und ab welchem Vergehen. Und es ist ja auch keine Lösung, finde ich."
Der Mannheimer Wochenmarkt direkt am Tatort. Die Menschen hier suchen ihren Weg in die Normalität. Viele Fragen nach dem Attentat sind noch offen, auch wenn manch einer meint, die Antworten schon zu kennen.
Kommentare zum Thema
Migration bedeutet Kulturcrash, manche können damit umgehen, manche nicht, bei machen hält das nur eine Weile. Hier zeigt sich auch, Sonderbehandlung von Minderjährigen mindert Risiken nicht. Spontan fällt mir der Angreifer mit Axt im Würzburger Zug ein. Der 17-jähriger Afghane wurde danach erschossen. Generalverdacht gegen Muslime ist eine Perspektive, Generalverdacht gegen Polizei der andere. Mannheim zeigt, was bei unklarer Situation und Messer auf kurzer Distanz passieren kann, wenn man nur etwas zu zögerlich ist. Dortmunder Polizisten habe konsequent gehandelt und stehen dafür noch immer unter Anklage der Staatsanwaltschaft Dortmund. Dazu hat lt. WDR (18.12.23) Stadt Dortmund auf Antrag der Grünen einem Verein 5.000 Euro bewilligt, gefunden habe ich den Beschluss vom Integrationsrat nicht. Dieser Verein bezahlte dann die Reise der Angehörigen nach Dortmund, die sich dann im WDR-Interview über rassistische Polizei ausgelassen haben. Eine Medaille hat 2 Seiten, auch Generalverdacht.
Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er beleidigend ist. (die Redaktion)
Was wäre wohl passiert, wenn das Opfer und der Täter am gleichen Tag und Ort geboren worden wären, und man sie im Kreissaal aufgrund von identischem Aussehen verwechselt hätte? Was wäre, wenn jeder Mensch so aufwachsen und leben könnte, wie die, die niemals auf die Idee kämen, gewalttätig oder kriminell zu werden? Wäre das der Wohlstand für alle, der im Kapitalismus unmöglich ist?