Mutter: "Also aus meiner Sicht sind da tatsächlich mehrheitlich definitiv Unschuldige in den Kessel geraten und wurden dort in einer unwürdigen Art und Weise betreut oder behandelt und drangsaliert. Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig. Und da sind Kinder zusammen ausgezogen worden bis auf die Unterhose. Meinem Sohn wurde in den Slip geschaut, der konnte gar nicht drüber reden, das habe ich nur so aus dem … also völlig … der ist, na ja, minderjährig."
Georg Restle: "Schwere Vorwürfe einer Mutter, deren 14-jähriger Sohn mehr als zehn Stunden lang in einem Polizeikessel in Leipzig festgehalten wurde. Guten Abend und willkommen bei MONITOR!
Ja, von Ausnahmezustand war da die Rede in Leipzig am letzten Wochenende, als Tausende Polizeibeamte auf eine in Teilen äußerst gewaltbereite linke Szene trafen. Erst flogen Steine gegen Polizeibeamte; dann wurden rund tausend Menschen eingekesselt, darunter viele, die nur von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen wollten, auch jede Menge Minderjährige. Klar, der Staat wollte Stärke zeigen gegenüber radikalen Linken, die vor Gewalt nicht zurückschrecken. Aber rechtfertigt das auch eine Polizeistrategie, bei der völlig Unschuldige eine ganze Nacht lang unter ziemlich erbärmlichen Umständen festgehalten werden? Lara Straatmann und Julia Regis waren das ganze Wochenende für MONITOR in Leipzig unterwegs und haben sehr genau hingeschaut und hingehört. "
Leipzig, am vergangenen Wochenende. Polizei und linke Aktivisten treffen aufeinander. Schwarz vermummte Gewalttäter schmeißen Steine in Richtung der Polizei. Schwere Ausschreitungen, mit denen die Polizei gerechnet hat. Tausende Polizisten und Polizistinnen aus zwölf Bundesländern waren deshalb angereist – einer der größten Polizeieinsätze der vergangenen Jahre. Auch wir waren vor Ort, wollten uns ein eigenes Bild machen. Wird die linke Szene tatsächlich immer gewaltbereiter? Der Samstag beginnt mit einer Demonstration für Versammlungsfreiheit. Der einzig erlaubte Protest an diesem Wochenende; alle übrigen Versammlungen wurden im Vorfeld verboten. Ein breites Spektrum der linken Szene ist gekommen, einige vermummen sich. Gegen halb sieben lösen sich einige der Vermummten aus der Menge und schmeißen Steine in Richtung der Polizei. Die Situation eskaliert sofort. Wir selbst können gerade noch ausweichen. Die Polizei treibt Menschen im weiteren Umkreis der Steinewerfer zusammen. Nach unserem Eindruck geschieht das relativ willkürlich. Rund tausend Menschen werden am Ende in den Polizeikessel gedrängt. Connewitz, am Tag danach. Wir machen uns im bekannten linken Szeneviertel auf die Suche und treffen die Mutter eines Betroffenen. Sie ist geschockt und telefoniert gerade mit einer Anwältin. Mit ihrem 14-jährigen Sohn wollte sie am Samstag ein Zeichen gegen Rechts setzen. Plötzlich geriet auch ihr Junge in den Polizeikessel.
Mutter: "Also der war offensichtlich in dieser großen Versammlungsmenge und da sind Teile davon sozusagen weggedrängt worden und wir haben die Flucht ergriffen und wurden dann gekesselt, wurden an einen Rand getrieben und wurden dort wie umstellt umzingelt. Und ich war irgendwie zufällig eben fünf Meter an einer anderen Stelle und bin nicht mitgekesselt worden. Also aus meiner Sicht sind da tatsächlich mehrheitlich definitiv Unschuldige in den Kessel geraten und wurden dort in einer unwürdigen Art und Weise betreut oder behandelt und drangsaliert. Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig. Und es sind Kinder zusammen ausgezogen worden bis auf die Unterhose. Meinem Sohn wurde in den Slip geschaut."
Belegen lässt sich das schwer. Aber auch andere erzählen uns von einem solchen Vorgehen. Gegen ihren 14-jährigen Sohn wird nun wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt. Und wir erfahren, er ist nicht allein – nahezu alle erhalten noch in der Nacht eine Anzeige. Immer der gleiche Vorwurf: Schwerer Landfriedensbruch – Höchststrafe zehn Jahre. Sind die Menschen im Kessel tatsächlich alle Straftäter? Wir selbst beobachten noch am selben Abend, nur ein kleiner Teil im Kessel ist schwarz vermummt. Ansonsten viele Jugendliche, die sich friedlich verhalten, dies zeigen auch unsere Aufnahmen. Den ganzen Abend bis in die Nacht sind wir vor Ort. Hunderte werden festgehalten, auch Minderjährige. Stunde um Stunde vergeht, die Menschen im Kessel sind empört.
Mann im Kessel: "Wir kriegen kein Wasser, nach vier Stunden kommt Wasser, keine Toiletten, wir wollen hier raus endlich."
Wir beobachten, erst nach mehreren Stunden erhalten die Menschen Wasser. Wir hören uns um und finden zwei Mädchen, 14 und 17 Jahre alt. Gegen beide wird ebenfalls ermittelt wegen schweren Landfriedensbruchs. Dabei hätten auch sie niemanden angegriffen, sagen sie. Bis 5:00 Uhr morgens habe man sie festgehalten.
1. Mädchen: "Die meisten waren halt wirklich noch sehr jung und das ist nicht in Ordnung, die bis nachts festzuhalten. Mir wurde auch mein Handy abgenommen."
2. Mädchen: "Uns wurde keine Toilette zur Verfügung gestellt, wir sollten in den Busch. So, und wenn da mehrere Hunderte Leute sind, natürlich schwimmt es irgendwann."
Neben ihnen waren noch viele andere Minderjährige dabei, erzählen sie uns. Dieser Busch musste für die Menschen im Kessel als Toilette dienen. Festgehalten wurde auch dieses 12-jährige Mädchen. Sie habe gemeinsam mit ihrer Schwester und Mutter friedlich demonstrieren wollen, erzählt sie.
12-Jährige: "Deswegen war es natürlich beängstigend ein bisschen, weil natürlich die Polizei um uns rumstand, teilweise recht nah an uns dran, mit Schilden und Knüppeln in der Hand. Und hinter der Polizei, vor der wir standen – die ja aufgereiht war – standen manche, die die Polizei angeschrien hatten, dass sie die Kinder rauslassen sollen."
Da sie unter 14 Jahre alt ist, sei sie am frühen Abend freigekommen. Und dennoch, es bleibe das Gefühl der Ohnmacht. Die Erfahrungen im Polizeikessel werden prägen, befürchtet eine betroffene Mutter.
2. Mutter: "Das ist eigentlich das Schlimme an diesem ganzen Verhalten – sowohl des Staates als auch der Polizei – dass unsere Kinder merken, sie haben einfach keine Chance. Sie sind desillusioniert. Sie sehen in der Polizei keinen Freund mehr."
Die Bilder der Nacht wird er nicht los, sagt er. Auch dem Studenten wird schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Er erzählt von massiver Gewalt durch die Beamten.
Student: "Ich habe Leute gesehen, die wurden nach unten gedrückt. Ich habe Leute gesehen, die wurden gerade ins Gesicht geschlagen. Das wurde auch gefilmt und ich habe auch Leute gesehen, die wurden mit dem Knüppel geschlagen, obwohl sie sich nicht gewehrt haben, einfach aus purer Willkür."
Schwere Vorwürfe – klar ist, auch unser Kameramann hat Gewalt durch Polizisten aufgenommen. Faustschläge gegen den Kopf. Schläge durch Polizeibeamte? Willkürliche Strafanzeigen gegen Menschen, die friedlich demonstriert haben? Auf MONITOR-Anfrage äußert sich das sächsische Innenministerium mit Verweis auf einen Sonderausschuss im Landtag nicht. Landfriedensbruch – was heißt das eigentlich? Gemeint sind Gewalttaten, die mit vereinten Kräften aus einer Menschenmenge begangen werden. Wer dann Teil der Gruppe ist, macht sich strafbar. Doch war das in Leipzig der Fall? Viele Betroffene erzählen uns, dass sie nur zufällig in den Kessel gerieten, weil sie in der Nähe standen. Clemens Arzt lehrt Polizeirecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht. Er hält das Vorgehen für rechtlich höchst problematisch.
Prof. Clemens Arzt, Polizeirechtler, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin: "Also die Voraussetzungen für einen Landfriedensbruch erfordern eben gewalttätige Auseinandersetzungen. Für mich ist nicht nachvollziehbar, wie man diesen Vorwurf gegenüber einer so großen Anzahl von Menschen begründen könnte. Es gibt nicht die rechtliche Möglichkeit, tausend Menschen einzukesseln und festzunehmen und für Stunden ohne hinreichende Versorgung und so weiter, festzuhalten, weil es sein könnte, dass sie an Straftaten beteiligt waren. Das ist rechtlich nicht haltbar."
Rechtswidrige Polizeipraxis? Willkürliches Festhalten? Das Gelände am Tag nach der Einkesselung. Die Polizeidirektion Leipzig schreibt heute, das lange Festhalten sei "zum Zwecke der Identitätsfeststellung für die Strafverfolgung" notwendig gewesen. Man habe Minderjährige "beschleunigt" bearbeitet. Was in Erinnerung bleibt, sind die Bilder weit weg vom Polizeikessel – brennende Barrikaden, zerstörte Scheiben der Polizeiwache, Ausschreitungen. Von rund 50 verletzten Beamten spricht die Polizei. Für die Menschen, die stundenlang eingekesselt wurden, bleibt dagegen der Schrecken über das Agieren der Polizei. Und die Angst vor willkürlicher Strafverfolgung – mit Folgen für die Zukunft ihrer Kinder.
Mutter: "Wir kämpfen da wie die Löwen, weil ich weiß, mein Kind ist unschuldig. Er hat sich überhaupt nichts zuschulden kommen lassen. Ich empfinde das als persönlichen Angriff auf meine Heimatstadt, auf meine Community und auf mein Engagement, auf meinen Aktionismus, aber meine ganz normale Zivilcourage."
Erschütterte Zivilcourage? Die Ermittlungsverfahren gegen die Menschen im Polizeikessel fließen in die Polizeistatistik ein. Zahlen, mit denen dann auch Politik gemacht werden wird.
Georg Restle: "Ja, tatsächlich, all die Hunderte Ermittlungsverfahren, die da jetzt gegen die Demonstranten von Leipzig eröffnet wurden, werden als Straftaten in die polizeiliche Kriminalstatistik eingehen. Deren aktuelle Zahlen sehen übrigens so aus: Demnach kam es im letzten Jahr zu 23.493 Ermittlungsverfahren wegen rechts motivierter Straftaten, ein Anstieg um 7 Prozent. Demgegenüber stehen 6.976 Ermittlungsverfahren wegen Straftaten aus dem linken Spektrum – ein Rückgang um 31 Prozent."
Kommentare zum Thema
Die Einkesselung der Demonstrierenden ist nicht neu. Hier geht es um die Strategie den "Starken Staat" darzustellen. Das sich die Beamtinnen dadurch zu willfährigen Helfern eine Politik machen die unsere Rechte zunehmend einschränken ist Ihnen nicht bewusst. Die Politik sieht sich im Handeln bestärkt. Den Eingekesselten wirft man "Straftaten" vor. "Straftaten" die ein weiteres Vorgehen gegen "Linksextreme" rechtfertigen und die Handlungsfähigkeit des Staates mit seinen Organen "Herausfordern". Genau das soll der Öffentlichkeit vermittelt werden. Die Zeiten der Deeskalation sind vorbei. Präventives "Einkesseln" und "Begleiten" Demonstrierender in martialischer Aufmachung, teilweise mit dem Mitführen von Kriegswaffen ist schon länger Teil der Polizeistrategie. Die Kriminalisierung Demonstrierender im Vorfeld ebenso. Das gab es schon mehrfach in der Geschichte unserer Republik und es hat auf beiden Seiten nur unnötig Opfer gefordert. Wir wissen es nur zu gut und ändern es trotzdem nicht.
Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er sich nicht auf das Thema der Diskussion bezieht. (die Redaktion)
Guten Tag, grüß Gott, einen Verstoß gehen die Netiquette in jenem anderen Kommentar von mir, kann ich diesesmal nicht nachvollziehen. Ansonsten: Es geht um die Gefahr von "Linksradikal". Das Problem hier ist, daß man die "linken Thesen" nie so ganz kritisch zu Ende debatierte. Seit 100 Jahren wird gestritten, was besser sei, "Sozialismus" oder "Privativismus". Die einen wollen mit Gewalt oder gewaltgleichkommenden Arglistigkeiten das eine etablieren, die Anderen das Andere. Ich rechnete es mal mit Vektoroptimierung nach: 2 Ziele sind gleichzeitig zu optimieren; der zulässigen Bereich und die Zielfunktion erfüllen den Satz, wonach aus "Pareto-optimal" und auch "Maxmin-optimal" bereits "Lexmaxmin"-optimal, dh eine "sinnvolle Aufgabenverteilung" folgt. Es ist unschwer nachzuvollziehen, daß "Fifty-Fifty" die einzige "lexmaxmin"-optimale Lösung ist. Seit Dr. Kohl's Privatisierungsorgie hat man in Deutschland mehr privat als sozial, dh es ist nicht mehr vernünftig was da abgeht. Adios