Bericht: Philipp Jahn, Andrea Miosga, Frank Konopatzki
Georg Restle: „Er gilt als der größte Discounter Europas und fast jeder in Deutschland kennt ihn: Lidl. Milliardengewinne mit billigen Lebensmitteln, das ist das Geschäftskonzept des Supermarkt-Giganten. Aber es gibt auch eine ganz andere Geschichte über Lidl. Und die eignet sich ganz sicher nicht fürs schöne Werbe-Image des Billig-Discounters. Guten Abend und willkommen bei Monitor. Wenn Sie an Entwicklungshilfe denken, denken Sie wahrscheinlich an Brunnen, Schulen oder Krankenhäuser. Ganz sicher nicht an millionenschwere Kredite für eines der reichsten Einzelhandelsunternehmen der Welt. Entwicklungshilfe ausgerechnet für Lidl? Und das nur, damit sich der Supermarktriese in Osteuropa ausbreiten kann? Warum vergibt eine Weltbank-Tochter solche Kredite an eine Supermarktkette, deren Mutterkonzern in den nächsten Jahren sage und schreibe 100 Milliarden Euro Jahresumsatz machen will? Das alles ist schwer zu glauben und doch wahr. Andrea Miosga, Philipp Jahn und Frank Konopatzki beginnen ihre Recherchen auf einem Gemüsemarkt mitten in einer osteuropäischen Hauptstadt.“
Nur selten geht hier heute Obst und Gemüse über den Markttisch. Es sind schwere Tage für die Händler, die meiste Zeit heißt es: Warten. Umgerechnet 42 Cent kostet ein Kilo Tomaten - das ist günstig. Trotzdem kommen keine Kunden, sind die Gänge fast leer. Im hinteren Teil der Halle bleiben die Verkaufstische sogar unbesetzt.
Reporter (Übersetzung Monitor): „Ist es normal, dass so viele Stände leer stehen?“
Frau (Übersetzung Monitor): „Sie sind leer, weil es sich für uns Händler nicht mehr lohnt, herzukommen.“
Reporter (Übersetzung Monitor): „Was machen Sie dann mit den Tomaten?“
Frau (Übersetzung Monitor): „Da machen wir Tomatensoße.“
Mann: „Carrefour ist hier, keinen Kilometer weiter ist Lidl, auf der anderen Seite Profi. Sie haben uns erwürgt.“
Frau (Übersetzung Monitor): „Zum Teufel mit den Supermärkten. Seitdem sie eröffnet haben, läuft unser Geschäft nicht mehr. Es ist sehr schwer.“
Seit etwa 15 Jahren breiten sich immer mehr westeuropäische Einzelhandelsketten in Rumänien aus - und immer mehr einheimische Händler verschwinden. Marktführer unter den Discountern in Rumänien ist Lidl. Die deutsche Kette hat innerhalb von nur fünf Jahren landesweit 186 Filialen aufgebaut. Für die Expansion hat Lidl eine ganz besondere Unterstützung erhalten: Kredite der Weltbank-Tochter IFC in Höhe von knapp 67 Millionen US-Dollar. Mit solchen Krediten will die IFC erreichen, dass sich Privatunternehmen in Entwicklungsländern engagieren. Das erklärte Ziel, Menschen zu helfen, „der Armut zu entkommen“ und „ein besseres Leben zu führen“. Die Konditionen sind zwar marktüblich, trotzdem ist so ein Kredit für Lidl Gold wert.
Petr Hlobil, Bankwatch (Übersetzung Monitor): „Wenn die IFC an dem Projekt beteiligt ist, wird es für private Investoren attraktiver, weil so in gewisser Weise garantiert ist, dass es keine Probleme mit der Regierung gibt, keine Gesetzesänderungen und solche Dinge. Wenn nämlich diese Probleme bei einem IFC-geförderten Projekt auftreten, wird die IFC bei der Regierung intervenieren.“
Kredite der Weltbank-Tochter IFC hat Lidls Mutterkonzern, die Schwarz-Gruppe, auch für Kaufland in Rumänien bekommen. Zudem für die Expansion des Konzerns in Polen, Bulgarien, Kroatien und Serbien, insgesamt 393 Millionen US-Dollar. Kredite, an die Bedingungen geknüpft sind. Auch für Lidl in Rumänien. Danach soll Lidl „günstige Produkte“ für Menschen mit wenig Geld „anbieten“, die „Anzahl lokaler Zulieferer“ erhöhen und „neue Vertriebswege für regionale Lebensmittelproduzenten eröffnen“. Macht Lidl das? Um einen ersten Eindruck zu bekommen, besuchen wir eine Lidl-Filiale in Bukarest. Gibt es hier günstige rumänische Produkte? Drinnen dürfen wir nicht drehen. Das Angebot ist auf den ersten Blick ähnlich wie in Deutschland. Zwar gibt es auch rumänische Produkte, der Großteil aber kommt aus anderen Ländern: Frühlingszwiebeln und Eisbergsalat aus Polen, Champignons aus Ungarn, Zwiebeln aus Neuseeland. Dabei wächst das alles reichlich auch in Rumänien. Auf Nachfrage räumt Lidl ein, dass 71 Prozent der Nahrungsmittel nicht aus Rumänien stammen.
Aurel Tanase, Verband der Obst- und Gemüseproduzenten (Übersetzung Monitor): „Es schreit zum Himmel, denn wir haben das, womit wir in die Läden gehen könnten, was wir dem rumänischen Verbraucher anbieten könnten: gute Produkte, aromatische. Rumänien hat gute klimatische Bedingungen dafür. Es ist eine Sünde, dass die Produkte nicht zum Verbraucher gelangen.“
Aurel Tanase ist Bauer und Vorsitzender des Verbands der Obst- und Gemüsehersteller in Rumänien. Er vertritt 650 Betriebe. Pro Jahr müssten 10 bis 15 Prozent von ihnen aufgeben, sagt er. Die Supermärkte diktierten die Regeln, auch Lidl.
Aurel Tanase, Verband der Obst- und Gemüseproduzenten (Übersetzung Monitor): „Die sind noch aggressiver, das ist wahr. Sie zahlen den Produzenten sehr niedrige Preise für hervorragende Produkte.“
Welche Folgen hat das für die Bauern, die eigentlich von dem Kredit der Weltbank-Tochter profitieren sollten? Wir fahren nach Baleni, 50 km von Bukarest entfernt. Eine der fruchtbarsten Regionen des Landes. Hier leben fast alle Menschen vom Obst- und Gemüseanbau. Auf dem Feld treffen wir Tagelöhner. Umgerechnet verdienen sie 1,50 Euro pro Stunde, erzählen sie. Ihre Ernte wird an ein Zwischenlager geliefert, das nur wenige Kilometer entfernt liegt. Über dieses Lager wird das Gemüse an die Einzelhandelsketten weiter verkauft. Durch die Kredite an Lidl gäbe es feste Lieferverträge, sagt die Weltbank-Tochter. Aber stimmt das auch?
Damian Ene, Händler (Übersetzung Monitor): „Die Bestellungen erfolgen je nach Nachfrage. Wir können keine Vorhersage machen, auch nicht einmal für einen Zeitraum von zwei Monaten. So kommt es vor, dass wir nicht wissen, wieviel Ware wir vorrätig haben müssen. Und wenn die Läden die bestellten Mengen doch nicht verkaufen, sind wir verpflichtet, sie zurückzunehmen.“
Zwei Jahre haben sie gebraucht, um das Lager hier aufzubauen - mit EU-Subventionen. Doch weil die Discounter die Preise drücken, machen sie kaum Gewinne, sagen sie. Was mit EU-Geldern aufgebaut wurde, könnte dank Weltbankkredit wieder zerstört werden, absurd. Doch damit nicht genug.
Damian Ene, Händler (Übersetzung Monitor): „Sie verlangen sogenannte Regalgebühren. Die sind nicht festgelegt, sie schwanken je nach Vertrag, den man mit ihnen abschließt. Die Prozente werden darin festgelegt. So kann es passieren, dass wir eine Ware für 10 Cent verkaufen und im Regal steht sie dann für 50 Cent.“
Dass Lidl Gebühren dafür verlangt, dass das Gemüse in die Regale kommt, bestreitet der Konzern. Die Verträge mit den Händlern seien rechtens, erklärt Lidl gegenüber Monitor.
Zitat: „Diese Vereinbarungen werden von beiden Seiten akzeptiert und beinhalten auch das Procedere bei der Nicht-Annahme von Ware.“ (Schwarz Dienstleistung KG)
Verhandlungen auf Augenhöhe seien das sicher nicht, sagen Experten.
Petr Hlobil, Bankwatch (Übersetzung Monitor): „Sie verdrängen nach und nach kleine und lokale Produzenten. Die Landwirte, lokale und kleine Bauern, sie haben keinen angemessenen Zugang zu den Discounter- oder Supermarktketten. Sie stehen im Wettbewerb zu den Läden. Und deshalb denke ich, dass hier ein Markt zerstört wird, so dass es am Ende nur noch die großen Player gibt.“
Für die Kleinbauern wird die Lage zunehmend dramatisch: Ionela bewirtschaftet in Baleni mit ihrem Mann einen kleinen Bauernhof. Ihr Schwager, erzählt sie, habe vor zwei Jahren aufgegeben. Er arbeitet jetzt als Spargelstecher in Deutschland. Vor kurzem musste ihr Mann Florin ein ganzes Gemüsefeld aufgeben, die Preise waren so niedrig, dass er nicht einmal die Tagelöhner für die Ernte bezahlen konnte. Jetzt müssen die Kinder bei der Aussaat helfen. Wie lange sie von ihrem kleinen Stück Land noch leben können, wissen sie nicht.
Florin (Übersetzung Monitor): „Was sollen wir machen? Wir geben auf. Dann gehen wir zur Stadtverwaltung, Sozialhilfe.“
Wie war das noch? Mit den IFC-Krediten sollen Menschen „der Armut entkommen“ und „ein besseres Leben führen“.
In ihren Statuten, den Articles of Agreement, legt die IFC fest, Unternehmen nur dann zu fördern, wenn „privates Kapital nicht verfügbar“ ist. Ihre Strategie: „Kleine und mittlere Unternehmen zu fördern“. Warum vergibt die IFC Kredite dann ausgerechnet an einen der umsatzstärksten Discounter der Welt? Ein Interview dazu lehnt die Weltbanktochter ab, schreibt uns, die Kredite sorgten für …
Zitat: „(…) die Entwicklung der Lieferkette für Lebensmittel mit einem Anstieg der Zahl lokaler Zulieferer und neuen Vertriebswegen für lokale Produzenten.“ (IFC)
Neue Vertriebswege für lokale Produzenten, darauf hatte Bibiana Stanciulov inständig gehofft. Sie produziert und verkauft „Magiun“, rumänisches Pflaumenmus, ein bekanntes Produkt mit langer Tradition. Vor fünf Jahren hat sie mit Lidl verhandelt. Der Discounter hatte Interesse an ihrem Mus. Doch Lidl wollte es nur als Billigprodukt vertreiben, für weniger Geld, unter dem Namen einer Lidl-Marke. Auf ihren Namen „Topoloveni“ sollte sie verzichten.
Bibiana Stanciulov, Herstellerin (Übersetzung Monitor): „Es war unmöglich, unter der Lidl-Marke zu arbeiten. Wir haben es gerade geschafft, unser Produkt europaweit zertifizieren zu lassen. Wir haben sehr viel in diese Kennzeichnung investiert. In dem Moment, als wir abgelehnt hatten, unter der Eigenmarke zu arbeiten, wurde uns sehr klar gesagt, dass die Herren von Lidl einen viel besseren Magiun als unseren auf den Markt bringen würden.“
Und tatsächlich: Kurze Zeit später tauchte unter dem Lidl-Label „Sympathica“ ein anderes Pflaumenmus bei Lidl auf - 30 Prozent günstiger als ihres. Bibiana Stanciulov machte Verluste. Doch ein Geschäft mit Lidl hätte das Traditionsunternehmen ruinieren können. Denn Lidl wählt für seine Eigenmarken meistens den günstigsten Produzenten. Das treibt die Hersteller in die Abhängigkeit.
Bibiana Stanciulov, Herstellerin (Übersetzung Monitor): „Für mich ist es jetzt völlig klar, dass ich alle meine Geschäfte hier auf lokaler Ebene mit Rumänen mache. Alles was möglich ist, beziehe ich von hier. Das ist meine Art von Patriotismus!“
Von dem Kredit der Weltbanktochter IFC sollten die Menschen in Rumänien profitieren, neue Chancen bekommen. Bislang spüren sie hier davon nichts.
Georg Restle: „Die deutsche Vertreterin bei der Weltbanktochter IFC legt übrigens Wert auf die Feststellung, dass es sich bei den Krediten nicht um Entwicklungshilfe handelt, sondern um Hilfe für Unternehmen, die in Entwicklungsländern investieren wollen. Na, wenn das einen Unterschied macht.“
Kommentare zum Thema
Was hier beschrieben wird ist nichts weiter als marktwirtschaftliches Handeln eines höchst erfolgreichen Konzerns. Wo ist das Problem? Das Problem liegt daran, dass offensichtlich keiner der Monitor-Journalisten auch nur ansatzweise über ökonomischen Sachverstand verfügt! Ein Unternehmen wie die Schwarz-Gruppe muss sich am Markt durchsetzen und nutzt somit alle sich bietenden legalen Möglichkeiten! Es kann nicht wie der WDR auf zwangsweise erhobene Gebühren zurückgreifen. Es bleibt jeden überlassen ob man eine Geschäftsbeziehung mit der Schwarz-Gruppe eingeht. Zur Mitfinanzierung der Monitor-Redaktion wird man jedoch gezwungen! Klar ist eine Zusammenarbeit mit einem großen Unternehmen wie der Schwarz-Gruppe für ein kleineren Produzenten ein Risiko. Jedoch ist eine Zusammenarbeit auch eine gewaltige Chance! Ein Unternehmen wie Lidl kann bspw. ein aktuell nur lokal erfolgreiches Produkt europaweit bekannt und erfolgreich machen! Risiko und Chance kommen in der Marktwirtschaft i.d.R. ...
Ich würde mich dem Buykott sofort anschließen. Allerdings habe ich noch nie bei Lidl gekauft, aus den bekannten Gründen. Ein Skandal ist die Vergabe solcher Kredite aber allemal.
lasst uns einen buy-stopp (-> boykott, buy=kaufen) gegen LIDL starten. Gar nicht über Avaaz und Co..., sondern einfach tun, unkontrollierbar, aber spürbar! ...bis LIDL diese Praxis stoppt und sich mit seiner vorhandenen großen Macht zufrieden gibt. Auf lange Sicht ist ein friedliches Nebeneinander gesünder und wirtschaftlicher für das Allgemeinwohl, weil unnötige Transporte vermieden werden, Wasser für Produktion dort verbraucht wird, am Ort, wo auch die Produkte verkauft werden und weil die Menschen regional ein Auskommen haben, da die Menschen aus der Region dort gerne einkaufen und das Miteinander noch gefördert wird. In solche Projekte müssten günstige Kredite fließen. Dann gibt es weniger Wirtschaftsflüchtlinge (was nicht schlimmes ist, jeder würde es in dieser Lage versuchen) und weniger Integrationsbedarf, dann bleibt auch noch Identität von Menschen mit ihrer Tradition und mit altgestammten Nachbarn und es bleibt die Chance für eigene Entwicklungen.