MONITOR vom 29.08.2019

Landtagswahlen im Osten: Warum die AfD gewinnt

Bericht: Golineh Atai, Lutz Polanz, Kim Otto, Sarah Schröer López

Landtagswahlen im Osten: Warum die AfD gewinnt Monitor 29.08.2019 11:33 Min. UT Verfügbar bis 29.08.2099 Das Erste Von Golineh Atai, Lutz Polanz, Kim Otto, Sarah Schröer López

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Georg Restle: „Zunächst aber zu den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Wenn die Umfrageergebnisse sich bewahrheiten, könnte dieser Mann am Sonntag einer der großen Wahlsieger werden. Andreas Kalbitz, Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg. Ein Mann, dessen Biographie sich durch engste Beziehungen in die rechtsextreme Szene auszeichnet. Auf diesen Bildern ist er auf einem Treffen der rechtsextremistischen Heimattreuen Deutschen Jugend zu sehen. Zwölf Jahre ist das her. Und heute kam raus, dass das offenbar nicht das einzige Treffen war. Letztes Jahr marschierte Kalbitz dann an vorderster Front in Chemnitz, wo Rechtsextremisten ihren Schulterschluss mit der AfD zelebrierten. Und dann gibt es da noch diesen Film, an dem Kalbitz als Autor mitgewirkt hat. Ein Film, in dem Adolf Hitlers Rolle im Ersten Weltkrieg geradezu verherrlicht wird. Kann mich nicht erinnern, alles nur Kampagnen, meint Kalbitz dazu. Aber natürlich stellt sich die Frage, warum das so vielen Wählern und Wählerinnen in Brandenburg offenbar ganz egal zu sein scheint; auch solchen, die nichts mit Rechtsextremisten zu tun haben wollen. Warum wählen sie trotzdem die AfD? Dafür gibt es immer wieder die eine Erklärung: aus Protest, aus Frust über die anderen Parteien, weil man sich abgehängt, benachteiligt, verraten fühlt. Aber taugt das wirklich als Rechtfertigung? Golineh Atai, Lutz Polanz und Sarah Schröer López waren tief im Osten Brandenburgs unterwegs und haben da frustrierte, aber auch sehr tatkräftige Menschen getroffen, die das alles ganz anders sehen.“

Brandenburg, wenige Tage vor der Landtagswahl. Wir sind unterwegs im Oderbruch, nahe der polnischen Grenze. Weites Land, wenig Menschen.

Wir fahren durch leere Ortschaften, zu jenen, die sich vergessen, verkauft, abgehängt fühlen. Wriezen, eine Kleinstadt.

Das Durchschnittseinkommen in Märkisch-Oderland - deutlich niedriger als im Rest der Republik. Wer Arbeit hat, muss oft stundenlang pendeln. Jeder Dritte in der Region ist über 60. Das war nicht immer so.

Thomas Ziegler, Einwohner Wriezen: „Wir hatten eine Brauerei früher. Alles gehabt hier, Molkerei, alles. Ist ja alles nicht mehr. Dann holen sie es vom Westen her. Ist so.“

Die Stimmung im Ort: eher gedrückt. Deutlich mehr Niedriglöhner gibt es hier als in Westdeutschland. Die Kaufkraft ist gering. Jeder zweite Laden im Zentrum hat aufgegeben. In den Leerständen hat ein AfD-Büro aufgemacht.

Frau: „Ein Geschäft nach dem anderen.“

Reporterin: „Das war zu welchen Zeiten?“

Frau: „Na die ganze DDR-Zeit über. Ja, sehr schön die Geschäfte. Das ist vorbei. Der neue Kaiser will es so. Tschüss.“

Wir fahren in die Kreisstadt Seelow, zur Tafel der Volkssolidarität. 900 Bedürftige versorgt die Einrichtung, alte wie junge. Tendenz steigend. Bei vielen hier reicht die Rente nicht – oder der Lohn ist so niedrig, dass sie aufstocken müssen.

Enrico Liebich: „Die Stimmung in der Region ist miserabel, weil keiner redet so richtig drüber, aber jeder denkt es. Jeder schimpft nur für sich, aber keiner will irgendwo mal aufstehen und sagen: Leute, wir müssen was tun!“

Gereizt, angespannt, ungerecht – die häufigsten Wörter in unseren Gesprächen. Die Leiterin der Tafel beobachtet, dass DDR-Nostalgie wieder ein Thema ist. Die Sehnsucht nach einem Staat, der jeden versorgte.

Sabine Horn, Tafel Seelow: „Die DDR ist eigentlich, ich glaube, immer daran kaputt gegangen, dass sie zu sozial war. Wir haben ja niedrige Mieten gehabt, wir haben die Krankenhäuser gehabt, die nicht bezahlt werden, Kindergärten waren relativ günstig und kein Schulgeld oder wie auch immer. Aber kein Staat kann sich das leisten. Und das vergessen sehr viele. Die denken immer: Ah damals – was hatten wir da alles. Das geht hier natürlich nicht. Aber es muss den Leuten richtig erklärt werden.“

Viele hätten resigniert, sich in Klage und Mangel eingerichtet. Anstatt es „selbst auf die Reihe zu kriegen“, wie sie sagt. An der Landstraße nach Gorgast, die Ruinen der früheren „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft“. In Märkisch-Oderland lag einst der Gemüsegarten Berlins. Für manche sind diese Überreste ein Mahnmal - für eine fehlgeschlagene Privatisierung der DDR-Volkswirtschaft. An der Straße treffen wir Florian. Er lebt von 1.500 Euro, sagt er, ist freiberuflicher Handwerker. Sein Vater arbeitete hier in der LPG und verlor seine Stelle nach der Wende. Die Familie zerbrach.

Florian: „Wir haben Berlin versorgt über Jahrhunderte und die haben uns einfach vergessen. Wir mussten … Die Turnhalle ist zu, Gemeinde kein Geld mehr, Kita ist zu, Grundschule ist zu. Dann muss ich ein Auto haben und muss die Kinder rüber, verstehst du? So und das ist nun mal historisch. Die haben uns einfach vergessen. Und dann erzählen mir Politiker, sie könnten nichts tun. Wer hat denn die Macht im Land, verdammte Scheiße? Und deshalb AfD, weil das sind die einzigen, die uns ernst nehmen hier. Und ich habe lieber ne Partei, wo die Inhalte noch so sind, weil sie neu ist, hab ich kein Problem.“

AfD aus Protest, Programm egal. Märkisch-Oderland ist AfD-Land. In einigen Ortschaften erreichte sie über 40 Prozent bei den Europawahlen. Die Partei gibt sich als der neue Kümmerer, neuerdings auch mit sozialen Parolen. Der Kandidat kommt aus Bayern. Blicken lässt er sich nur selten, hören wir. Viele Versprechungen, koste es was es wolle. Ihn ärgert, dass die AfD im Oderland damit so einfach durchkommt. Frank Schütz ist ehrenamtlicher Bürgermeister von Golzow, ein Dorf mit 800 Einwohnern.

Frank Schütz (CDU), ehrenamtlicher Bürgermeister Golzow: „Es gibt große Zusagen, es gibt große Versprechungen, es gibt - sobald irgendwo ein Problem - wir kümmern uns. Was natürlich aus einer komplett Opposition heraus sich auch immer als einfacher Weg macht, also wo man denn sagen muss, wir … wir wissen, wie schwer manche Bretter zu bohren sind.“

Schütz ist einer, der anpackt, der etwas bewegen will. Mit der propagierten Wende-Nostalgie der AfD kann er nichts anfangen. Er will nach vorne schauen.

Frank Schütz (CDU), ehrenamtlicher Bürgermeister Golzow: „Für mich ist es eher Ansporn zu sagen, ich zeige, wie es geht.“

Dicke Bretter bohren sind sie hier gewohnt. Hartnäckig kämpfen Schütz und seine Golzower um alles, was den Ort am Leben hält. Und wenn es nur die Eisdiele ist. Ärztemangel auf dem Land? Wird gelöst. Als die Hausärztin letztes Jahr in Rente ging, fanden Schütz und seine Golzower eine Nachfolgerin. Sogar ein Filmmuseum gibt es hier. „Die Kinder von Golzow“: eine legendäre Dokumentation über Jahrzehnte Dorfentwicklung. Der Bürgermeister zeigt uns, wie die Golzower sieben Wochen vor dem Ende der DDR gegen die Privatisierung ihrer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft kämpften. Damals verloren viele ihre Arbeit.

Frank Schütz, ehrenamtlicher Bürgermeister Golzow: „Das ist eines der Probleme die wir haben: Dass die eine Generation uns eigentlich im ostdeutschen Bereich fehlt. Die berufliche Perspektive in der Welt gesucht und erfreulicherweise auch vielfach gefunden hat, die sind aber natürlich die Brücke, die uns heute fehlt.“

Ein Drittel seiner Einwohner hat Golzow verloren seit der Wende. Die, die geblieben sind, geben sich selbst und ihr Dorf nicht auf. Weil es in Golzow kein Lebensmittelgeschäft mehr gibt, haben sie gleich das nächste Projekt gestartet: einen Dorfladen. Auch der ehrenamtlich geführt. Zwei Männer vom Seniorenverein legen hier Hand an.

Klaus-Dieter Lehmann, Seniorenverein Golzow: „Wir sind so ein bisschen Macher. Aber nicht erst seit … seit ein paar Jahren, sondern auch schon vor der Wende. Und da hat man uns manchmal gesagt, den Golzowern: Ja bei euch, bei euch läuft ja alles, bei euch ist alles gut, ihr seid ein Vorzeigedorf. Wir haben aus uns ein Vorzeigedorf gemacht. Wir wollen diesen Laden mit Leben erfüllen. Wir wollen also nicht nur, dass jemand herkommt und sagt: So, ich brauche jetzt ein Stück Butter und dann Tschüss. Sondern dass er herkommt und sich mit den Nachbarn, die sie sonst nicht so oft sehen, auch mal treffen, sich unterhalten, gucken, was ist denn hier am besten, was ist hier los.“

Die ersten Waren stehen schon im Regal. Eingelegte DDR-Ananas, auf Westdeutsch auch Kürbis genannt. Der Rest kommt später. Auch als die Grundschule vor dem Aus stand, ließen sich die Golzower etwas Besonderes einfallen. Sie holten zwei syrische Flüchtlingsfamilien ins Dorf. Damit blieben die Klassen groß genug und die Schule überlebte.

Frank Schütz (CDU), ehrenamtlicher Bürgermeister Golzow: „Und durch diese Aufnahme der zwei – drei Kinder waren es – war das dann auf einmal möglich und damit haben wir die Einrichtung der ersten Klasse dann mit 19 Schulkindern erreichen können.“

Die syrischen Flüchtlingsfamilien sind inzwischen waschechte Oderbruchler. Einer wurde Schützenkönig. Sie fühlen sich in Golzow und Umgebung zuhause. So wie Familie Sayed Ahmad. Vater Fadi arbeitet inzwischen als Hausmeister, Mutter Halima als Altenpflegerin. Beide Jobs unbefristet. Als nächstes wollen sie hier ein Haus kaufen.

Halima Taha: „Habe ich das versucht, auch in Golzow eine neue Heimat zu finden und habe ich das geschafft. Und weil die war ganz liebe Leute und ganz tolle Unterstützung. Die Schulleiterin, die Nachbar, Freunde, viele Freunde haben wir. Sie haben uns richtig ganz toll untergestützt und Unterstützung gegeben.“

Rassismus und fremdenfeindlicher Osten? Solche Erfahrungen haben die Sayed Ahmads hier nicht gemacht, sagen sie. Trotzdem wählten bei der Europawahl in Golzow 23 Prozent die AfD. Immerhin weniger als in einigen Nachbarorten. Für den Bürgermeister aber immer noch viel zu viel.

Frank Schütz (CDU), ehrenamtlicher Bürgermeister Golzow: „Warum greifen die Aussagen, die eine AfD tätigt, in unserem Ort? An welchen Stellen müssen wir noch mal nacharbeiten? An welchen Stellen haben wir Fehler gemacht? Wo haben wir vielleicht zu wenig auch die Leute dann doch mitgenommen?“

Lösungen finden, gemeinsam, ganz konkret. Schütz glaubt, dass das hilft gegen Ängste und Parolen. Sein nächstes Projekt: Der Zug nach Berlin soll hier künftig stündlich halten. Das mag dauern, aber dicke Bretter zu bohren, sind sie hier ja gewohnt.

Georg Restle: „Anpacken statt rechte Parolen schwingen, vielleicht geht es ja genau darum, Menschen in ihrem konkreten Engagement vor Ort zu unterstützen, statt ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. In diesem Sinne könnte man von Golzow eine ganze Menge lernen. Und das nicht nur im Osten.“

Kommentare zum Thema

  • Rudolf Wolff 03.09.2019, 11:02 Uhr

    Warum wird die AfD Gwählt, ist es vieleicht weil wir eine Altersarmut haben eine Kinderarmut und viele eine Hungerrente beziehen oder für einen Hungerlohn Arbeiten müssen, das diese mit ihren Lohn nicht mal ihre Familie Ernähren können, oder sind unsere Politiker die in Zügelloser weise unsere Steuergelder verschwenden und dafür nicht mal zur Rechenschaft gezogen werden, ich behaupte das unsere Regierung den Boden für eine Rechtsradikale Partei die da heist AfD gelegt hat, unsere Regierung hat sich für Unfehlbar gehalten ja für Unantastbar und was ist diese Regierung in der Realität sie ist Ideenlos Träge und Selbstherrlich sie ist Kilometer weit vom Bürger entfernt und sie kennen nur ihre Parteipolitik und was haben sie geschaffen, ein tief Enttäuschten Bürger der das Vertrauen in unseren Sozialen Rechtsstaat verloren hat und das wohl für immer, und das meine Damen und Herren ist der Nährboden für den Nationalsozialismus heute und so wie auch früher.r.wolff

  • Wahltag 01.09.2019, 08:47 Uhr

    Die Leute wählen die AfD weil die CDU und SPD so grottenschlechte Politik gemacht haben. So viel Sozialabbau mit der SPD in der Regierung??? Das ist keine Soziale Politik. Also selber schuld, wenn sie nun AfD wählen. Und Dank an Greta und die Hitze für, dass ihr uns die Grünen in die Regierung gebracht habt.

  • Willi 01.09.2019, 08:21 Uhr

    Zu Otto Marxens,Thema war Wahlkampf in Sachsen und Brandenburg. Es ist nun auch in Sachsen und Brandenburg so,dass SPD und Grüne Politiker auf Anti AfD Demos zusammen mit gewaltbereiten linksextremistischen Antifa Gruppen marschieren und das ist kein Einselfall zb. im Juni in Dresden. Herr Kretschmer hat es abgelehnt dort mit zumarschieren mit Verweis das dort linksextremistische Antifagruppen mitmarschieren was ich richtig finde und das machen alle CDU Politiker so.Grüne und SPD Politiker haben damit kein Problem die sind sogar in Bündnissen zusammen mit solchen Gruppen inkl.Staatsgeldern. Ich finde das schon sehr bedenklich! Auch muss man über die unglaubliche Gewalt gegen Afd Büros und Politiker mal reden?Herr Restle scheint das nicht zu stören! Ich finde es schon merkwürdig das originale Papiere und Dokumente zu Kalbitz von der deutschen Botschaft Athen und des BKA bein Spiegel landen! Zwei Tage vor der Landtagswahl in Brandenburg und alle Medien darüber berichten!