Kürzungen bei Demokratie-Projekten: Fatales Signal? Monitor 10.08.2023 08:03 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Herbert Kordes, Till Uebelacker, Laurie Stührenberg

MONITOR vom 10.08.2023

Kürzungen bei Demokratie-Projekten: Fatales Signal?

Ausgerechnet in Zeiten, in denen der Rechtsextremismus sich in der Gesellschaft wieder breit macht, plant die Bundesregierung deutliche Einsparungen bei Bildungs- und Demokratieprojekten; auch bei solchen, die Opfer von rechter Hetze im Netz unterstützen oder die über Rechtsextremismus aufklären. Ein fatales Signal, sagen Kritiker, zumal der Spareffekt sehr gering sei.

Von Herbert Kordes, Till Uebelacker, Laurie Stührenberg

Georg Restle: "Gleichgültigkeit als größte Gefahr für eine Demokratie, wenn der Rechtsextremismus sich wieder breit macht in der Mitte der Gesellschaft. Dagegen bräuchte es eigentlich eine starke Zivilgesellschaft, die auch vom Staat gefördert wird. Schwer zu glauben, aber ausgerechnet jetzt will die Bundesregierung daran sparen. Ausgerechnet bei solchen Projekten, die sich für Demokratie oder gegen Rechtsextremismus einsetzen; und das alles nur, um die Schuldenbremse einzuhalten, heißt es, weil dies für den Finanzminister oberstes Gebot ist. Dabei geht es hier eigentlich um gar nicht so viel Geld. Herbert Kordes, Laurie Stührenberg und Till Uebelacker."

Tareq Alaows: "Raus aus Deutschland, du Tourist. Wir wissen, wo du wohnst. Und deine scheiß Familie und deine Unterstützer besuchen wir auch mal. Wenn du nicht verschwindest, du undankbares Schwein. Dieses Land und Europa schulden dir nichts. STIRB!"

Es ist nur eine von vielen Hassnachrichten, die Tareq Alaows in den vergangenen Jahren bekommen hat. Vor acht Jahren floh er aus Syrien nach Deutschland, lernte Deutsch und wollte für die Grünen im Bundestag kandidieren. Als er das öffentlich machte, wurde er mit Hass überschüttet. Doch er bekam Hilfe - von HateAid, einer Hilfsorganisation für Betroffene von Hassbotschaften.

Tareq Alaows, Flüchtlingspolitischer Sprecher Pro Asyl: "Als HateAid gemerkt hat, dass große Hasskampagnen gegen mir in der Öffentlichkeit gab, haben sie proaktiv mit mir Kontakt übernommen. Und für HateAid bin ich dankbar für die ganze Unterstützung, die sie mir damals angeboten haben."

Und das ist HateAid. In einem Berliner Büro beraten Mitarbeiterinnen Menschen, die in den Sozialen Medien beschimpft und bedroht werden - weil sie sich politisch engagieren oder schlicht eine andere Hautfarbe haben. HateAid hilft bei Sicherung von Beweisen, Vorbereitung von Strafanzeigen, berät zu Sicherheitsfragen.

Josephine Ballon, Juristin, HateAid: "Das wichtigste Ziel unserer Arbeit ist, Betroffene zu befähigen, sich nicht aufgrund von Gewalterfahrungen, von Hass, von Hetze im Netz zurückzuziehen. Denn das würde bedeuten, dass sie nicht länger an der Meinungsbildung teilnehmen und dass sie nicht mehr Bestandteil der öffentlichen Debatte sind."

Doch HateAid drohen jetzt massive Einschränkungen, denn das Bundesjustizministerium streicht bereits zugesagte Mittel in Höhe von 1,2 Millionen Euro für die kommenden beiden Jahre. Per Mail teilte das Ministerium HateAid mit: Der Haushalt 2024 sei

Zitat: "von der Einhaltung der Schuldenbremse geprägt."

Eine Bewilligung der weiteren Förderung

Zitat: "ist demnach nicht möglich."

Für Betroffene wie Tareq Alaows - eine fatale Fehlentscheidung:

Tareq Alaows, Flüchtlingspolitischer Sprecher Pro Asyl: “In Zeiten, in denen wir einen massiven Rechtsruck gesellschaftlich erleben, in denen die Umfragewerte von der AfD auf über 20 Prozent hochgehen, dann ist das nicht der Zeitpunkt, wo ein Justizministerium innerhalb von Deutschland bei einer Ampel-Regierung die Mittel für Demokratieförderungsprojekte kürzt."

Doch HateAid ist kein Einzelfall. Insgesamt will die Regierung allein aus den Etats von Innen-, Justiz- und Familienministerium 130 Millionen Euro bei Projekten bundesweit einsparen. Viele Bundesfreiwilligen-Dienste sind betroffen. Oder das Projekt "Sinti und Roma für Demokratie" in Thüringen. Oder das Projekt "Zivilcourage im Ehrenamt" in Hessen-Thüringen. Viele dieser Projekte werden von der Bundeszentrale für politische Bildung finanziert - und auch deren Mittel sollen massiv gekürzt werden. Die Bundeszentrale wurde schon kurz nach dem Krieg gegründet - für die Demokratie, gegen totalitäre Bestrebungen. Sie soll im nächsten Haushalt 20 Millionen Euro weniger bekommen. Wilfried Klein vertritt die Interessen der politischen Bildungsträger und findet, das sei eine falsche Kürzung zur falschen Zeit.

Wilfried Klein, Bundesausschuss Politische Bildung: "In dieser Situation, in der wir uns jetzt befinden, mit diesen großen gesellschaftlichen Herausforderungen, verbietet es sich absolut, in der politischen Bildungsarbeit zu sparen. Es sind mehrere hundert Träger, die von diesen Fördergeldern auch abhängig sind, die ihre Angebote davon abhängig machen."

Es geht um Projekte wie im Leipziger Stadtteil Grünau. Hier steht eine der größten Plattenbausiedlungen der ehemaligen DDR. Die AfD bekomme hier immer mehr Zulauf, viele Menschen hingen Verschwörungserzählungen an, hören wir. Mittendrin liegt das KOMM-Haus. Uwe Walther und Oliver Kobe leiten es. Das Haus ist Treffpunkt und Veranstaltungsort für Menschen aller Altersgruppen in Grünau. Hier ergibt sich die Möglichkeit, in Ruhe mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Aber wie reagieren, wenn Leute einem mit Verschwörungserzählungen kommen?

Uwe Walther, KOMM-Haus, Leipzig: "Das ist anstrengend und deswegen ist es auch wichtig, dass es Vereine oder Institutionen gibt, die einen argumentativ unterstützen, die auch uns als Multiplikatoren bilden, um zu sagen okay, was entgegnen wir den Leuten, wie gehen wir mit den Leuten um?"

Denn das Wichtigste sei, dass man mit den Leuten im Gespräch bleibe. Die Sozialarbeiter haben dazu extra einen Workshop besucht, der von der Amadeu Antonio Stiftung bundesweit angeboten wird. Doch auch dafür soll es bald kein Geld mehr geben. Die Stiftung geht davon aus, dass ihr nächstes Jahr die rund 167.000 Euro für das Projekt gegen Verschwörungserzählungen verloren gehen.

Lisa Geffken, Amadeu Antonio Stiftung: "Wir haben ohnehin das Problem, dass politische Bildung viel zu selten erwachsene Menschen erreicht. Aber auch Menschen in strukturschwachen Regionen und die Menschen, die sich beherzt Rechtsextremismus entgegenstellen und demokratische Werte leben, werden durch diese Kürzungen allein gelassen, weil ihnen ein wichtiges Unterstützungsangebot entzogen wird."

Das Bundesinnenministerium antwortet uns: der geplante Haushalt biete - trotz Einsparungen…

Zitat: "(...) die Gewähr dafür, dass das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) seine unverzichtbare Arbeit auch in 2024 in allen Politikbereichen erfolgreich fortführen kann."

Wilfried Klein, Bundesausschuss Politische Bildung: "Das Gegenteil ist richtig! Weil wer den Haushaltsplan liest, sieht, dass es massive Kürzungen in Bereichen gibt, die Träger unmittelbar betreffen, die die Zivilgesellschaft betreffen. Und sie wird die Arbeit nicht mehr uneingeschränkt fortsetzen können."

Viele Träger aus Kirchen und Sozialverbänden protestieren seit Wochen gegen die Kürzungspläne der Bundesregierung. Doch Bundesfinanzminister Lindner setzt die Einhaltung der Schuldenbremse augenscheinlich über alles. Dabei hatte sich die Koalition gerade im Bereich der Demokratieförderung und der Bekämpfung der Hasskriminalität viel vorgenommen. Im Koalitionsvertrag heißt es, man werde …

Zitat: "… die Arbeit zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus fortsetzen …"

und

Zitat: "… die Arbeit gegen Hass im Netz und Verschwörungsideologien"

stärken. Lindners Parteifreund - Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum - verurteilt die Kürzungspläne der Bundesregierung und fordert ein Machtwort des Bundeskanzlers.

Gerhart Baum (FDP), Bundesminister des Innern a. D.: "Also ich erwarte zum Beispiel, dass der Bundeskanzler endlich ein klares Wort sagt, in welcher Gefahr wir stehen. Das muss er, muss er artikulieren. Er hat die Zeitenwende artikuliert. Diese Gefahr für die Demokratie sind alle auch eine Art Zeitenwende. Dieses negative Signal, das vom Bundeshaushalt ausgeht, darf nicht so stehen bleiben."

Tareq Alaows hat seine Bundestagskandidatur 2021 gestoppt. Er hatte Angst, dass Menschen aus seinem Umfeld angegriffen würden. Nur weil er Hilfe bekam, hat er sich nicht völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Georg Restle: "Noch haben einige der Projekte Hoffnung, dass sie von den Kürzungen verschont bleiben. Und vielleicht besinnt sich diese Bundesregierung ja auch noch einmal und erkennt, was die eigentlichen Herausforderungen dieser Zeit sind."

Startseite Monitor

Kommentare zum Thema

  • Birgit 25.08.2023, 20:49 Uhr

    Viele dieser Angebote sind im Bildungsbereich angesiedelt. Unglaublich, dass hier gespart werden soll. Die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen sollte dem Staat doch am Herzen liegen. Gerade im Bereich der politischen Bildung wird gespart. Manchen Parteien wird das gut gefallen, um so leichter wird es sein, unsere Jugend mit Populismus zu manipulieren, leider...

  • Dieter Stolte 11.08.2023, 14:59 Uhr

    Hat Monitor untersucht, Wer hinter HatAid steht? Ist das "Compact"? Steht der Besitzer der AfD sehr nahe? Vielleicht bei der nächsten Sendung Antworten. MfG

  • Tanja Leinweber 11.08.2023, 14:41 Uhr

    Ich bin einfach nur erschüttert, dass die Bundesregierung in der heutigen Zeit über solche Kürzungen ernsthaft nachdenkt.