Bericht: Jan Schmitt, Michael Kees, Lutz Polanz, Frank Konopatzki
Georg Restle: "Der Krieg in der Ukraine tobt täglich weiter, auch wenn er von Tag zu Tag ein Stückchen weiter aus unserem Bewusstsein rückt. Von "Kriegsmüdigkeit" ist hier sogar die Rede, als seien wir selbst unmittelbar betroffen vom Grauen dieses verbrecherischen Krieges. Klar, das hat sicher auch mit den steigenden Sprit- oder Lebensmittelpreisen zu tun, die vielen hier an die Substanz gehen. Von Kriegsfolgen wird dann gesprochen, aber stimmt das überhaupt? Jedenfalls deutlich weniger als uns von Mineralölkonzernen und Handelsunternehmen eingeredet wird. Tatsache ist, viele Unternehmen nutzen gerade schlicht die Gunst der Stunde, um möglichst hohe Profite zu machen. Dagegen könnte dieser Mann hier eigentlich etwas unternehmen. Aber Finanzminister Christian Lindner wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, die größten Profiteure dieses Krieges in die Schranken zu weisen. Jan Schmitt, Michael Kees und Lutz Polanz."
Der Wocheneinkauf bereitet Katja Eujen immer mehr Sorgen. Die 57-jährige ist Mutter von zwei Kindern, alleinerziehend. Netto verdient sie mit ihrem Teilzeitjob etwas über 1.700 Euro. Früher kam sie damit gerade noch klar, doch jetzt landet immer weniger in ihrem Einkaufswagen.
Katja Eujen: "Es geht direkt ans Eingemachte. Wenn ich früher für 50,- Euro eingekauft habe, dann zahle ich heute 15,- Euro mehr oder 20,- Euro mehr. Indem ich die günstigen Produkte kaufe, damit versuche ich schon mal, Geld zu sparen. Und manche Sachen sage ich auch, nee, die nimmst du jetzt nicht mit, vielleicht nächsten Monat."
Vor allem seit dem Krieg in der Ukraine ist vieles teurer geworden. Katja Eujen hat dafür sogar Verständnis.
Katja Eujen: "Für die Ukraine mache ich das gerne, dass ich mich einschränke. Ich weiß auch nicht, wie lange das dauern wird. Also, wir müssen gucken, dass … dass ich das gut schaffe."
Einschränken also für die Ukraine? Wegen des Krieges? Tatsächlich ist die Inflation in Deutschland seit Februar explodiert. Derzeit liegt sie bei 7,9 Prozent. Butter, Mehl, Gemüse – plötzlich Luxusware. Aber sind die hohen Preise immer nur eine Folge des Krieges? Beispiel: Sonnenblumenöl. Nach Beginn des Ukraine-Krieges stieg der Welthandelspreis stark an, auf bis zu 62 Prozent über Vorkriegsniveau. Die Supermärkte verkauften das Öl aber für bis zu 270 Prozent mehr als vor dem Krieg. Für Verbraucherschützer nicht nachvollziehbar.
Wolfgang Schuldzinski, Verbraucherzentrale NRW e.V.: "Die alten Vorräte sind ja noch da, das Öl ist ja bereits produziert, der Weltmarktpreis ist angestiegen, aber nicht so stark wie der Preis, der von den Endverbrauchern verlangt wird. Und auch das deutet darauf hin, dass hier versucht wird am Markt, wesentlich höhere Gewinnmitnahmen zu realisieren als das rein von den objektiven Faktoren her erforderlich wäre."
Aber die Preisbildung bei Lebensmitteln findet hinter verschlossenen Türen statt. Da verhandeln Hersteller wie Kraft Heinz, Unilever oder Nestlé mit Händlern, also etwa Edeka, REWE oder Aldi. Aber wie genau kommen die Preise dabei zustande?
Wolfgang Schuldzinski, Verbraucherzentrale NRW e.V.: "Das wird nicht transparent gemacht. Und deshalb ist es auch nicht nachzuvollziehen, warum er ansteigt. Das … wir müssen glauben, dass es möglicherweise am Krieg, möglicherweise an den Energiekosten, möglicherweise an gestörten Lieferketten liegt, aber wir können das nicht überprüfen."
Teure Lebensmittel, explodierende Energiekosten. Katja Eujen führt inzwischen ein Haushaltsbuch. Eine Schuldnerberaterin hat ihr dazu geraten – vorbeugend.
Katja Eujen: "Es herrscht ein gewisser Druck auf mich, weil ich alleinerziehend bin und weil ich alles schaffen muss. Also, ich kann nicht einfach sagen, jetzt schaffe ich nix mehr, jetzt kann ich nix mehr bezahlen. Also meine Monatsabrechnungen und meine Kosten und Einnahmen, das muss irgendwie funktionieren."
Für den Weg zur Arbeit, Ausflüge mit den Kindern oder Einkäufe hat Katja Eujen hin und wieder ihr Auto benutzt. Aber wegen der hohen Spritpreise holt sie es kaum noch aus der Garage.
Katja Eujen: "Den Luxus kann ich mir jetzt nicht leisten, dass ich einfach fröhlich weiter tanke wie bisher, das geht bei mir nicht. Und dann bleibt das Auto eben stehen."
Teurer Sprit für Autofahrer heißt hier gleichzeitig enorme Profite für die Mineralölkonzerne. Denn der steigende Ölpreis spült ihnen automatisch – ohne eigenes Zutun – Milliarden in die Kassen. Ihre Kosten sind quasi gleich geblieben; nur die Verbraucher zahlen deutlich mehr.
Christoph Trautvetter, Netzwerk Steuergerechtigkeit: "Nach unseren Schätzungen zahlen die Menschen weltweit allein dieses Jahr 1.000 Milliarden Euro zusätzlich und diese zusätzlichen Ausgaben der Menschen kommen fast 1:1 als Gewinne bei den Mineralölkonzernen an."
Und die Konzerne können sich durch Preisspekulation Profite auch noch selbst verschaffen. Beispiel Dieselpreis. Seit Anfang des Jahres ist der Preis für Rohöl der Sorte Brent kontinuierlich gestiegen. Der Dieselpreis verlief zu Beginn des Jahres noch ähnlich. Dann der Ukraine-Krieg. Der Dieselpreis stieg sprunghaft an und blieb seitdem deutlich über dem Rohölpreis. Sinkende Preise wurden kaum an die Verbraucher weitergegeben.
Marion Tiemann, Greenpeace: "Hier fällt definitiv auf, dass die Konzerne auf Kosten der Autofahrer ihre Gewinne machen und den Rohölpreis – wenn er hoch geht – eben weitergeben bzw. ihn durch die Autofahrer zahlen lassen. Und wenn er eben niedriger wird, eben nicht runtergehen mit den Spritpreisen. Das führt zu höheren Gewinnmargen der Ölkonzerne und zu höheren Preisen an der Tankstelle."
Die Mineralölkonzerne teilen uns mit, die höheren Preise würden nur die höheren Beschaffungskosten widerspiegeln. Dagegen spricht allerdings, dass trotz vergleichbarer Beschaffungskosten der Aufschlag an den Tankstellen auf den Rohölpreis in keinem westeuropäischen Land größer war als in Deutschland. Und auch beim Diesel lag Deutschland ganz vorne. Das zeigt, die Mineralölkonzerne machen höhere Gewinne, sogenannte "Übergewinne", im Schatten des Ukraine-Krieges, ohne dafür irgendeine Mehrleistung zu erbringen. Eine "Übergewinnsteuer" könnte einen Teil dieser zusätzlichen Kriegsgewinne abschöpfen.
Christoph Trautvetter, Netzwerk Steuergerechtigkeit: "Eine Übergewinnsteuer versucht, die durch die Krise verursachten außergewöhnlichen Gewinne zu erfassen und mit einer zusätzlichen Steuer, über die normale Gewinnsteuer hinaus, zu belegen und damit einen Teil dieser Krisengewinne abzuschöpfen."
Aber Bundesfinanzminister Lindner und die FDP bezweifeln, dass die Konzerne überhaupt Übergewinne machen.
Christian Lindner (FDP), Bundesfinanzminister, 07.06.2022: "Mit Blick auf die so genannte Übergewinnsteuer muss ich sagen, dass ich amtlicherseits auch nicht bestätigen kann, dass es sogenannte Übergewinne überhaupt gibt, uns liegen keine Zahlen über die Gewinnsituation im Mineralölbereich zur Stunde vor."
Seltsam, die Mineralölkonzerne ExxonMobil, Shell, Total und BP haben ihre Meldungen für das erste Quartal längst gemacht. Zusammen fast 26 Milliarden Dollar Gewinn. Mehr als doppelt so viel wie im Vorjahresquartal. Auch EU-Kommission und EU-Parlament fordern die Länder deswegen zur Prüfung einer Übergewinnsteuer auf. Bundesfinanzminister Lindner sieht allerdings noch andere Hindernisse.
Christian Lindner (FDP), Bundesfinanzminister, 04.05.2022: "Unser Steuerrecht kennt keine Übergewinne. Das würde uns in eine sehr schwierige Definitionsrolle bringen. Da müsste man politisch willkürlich entscheiden, was ist ein Übergewinn, was ist ein normaler Gewinn. Davon kann man nur abraten."
Kann man Übergewinne also wirklich nicht definieren? Andere Länder haben das bereits getan. Italien erhebt eine Steuer auf Gewinne von Energieunternehmen. Definition einfach: Umsätze von über 5 Millionen Euro und mindestens 10 Prozent höher als im Vorkriegsjahr. Auch Großbritannien führt eine Übergewinnsteuer ein, für Unternehmen im Gas- und Ölsektor, Griechenland für Stromerzeuger und Ungarn unter anderem für die Bereiche Energie, Banken, Versicherungen und Einzelhandel.
Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: "Ja, ich kann es nicht nachvollziehen, dass die deutsche Bundesregierung zumindest nicht eine Übergewinnsteuer prüft. Andere europäische Länder – konservativ regiert – haben sie bereits eingeführt, Europa hat uns angewiesen, das zumindest zu prüfen. Das von vorne herein kategorisch auszuschließen, halte ich für falsch."
Dass eine Übergewinnsteuer auch nach deutschem Recht möglich wäre, hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bereits festgestellt. Und noch mehr:
Zitat: "Die Höhe des Steuersatzes der Übergewinnsteuer ist (...) nicht durch verfassungsrechtliche Vorgaben begrenzt."
Auch das Bundesland Bremen hält eine Übergewinnsteuer für verfassungskonform und will über den Bundesrat erreichen, dass sie in Deutschland eingeführt wird.
Andreas Bovenschulte (SPD), Regierender Bürgermeister Bremen: "In anderen Ländern ist es möglich, Übergewinne zu besteuern und dann kriegen wir das hier in Deutschland auch hin. Das ist fair und das ist sachlich sinnvoll und auch notwendig, dass ein Teil dieser ganz besonderen Gewinne – nicht der normalen Gewinne, aber der übermäßigen Gewinne – tatsächlich abgeschöpft wird und dazu verwendet wird, di staatlichen Entlastungspakete für die Bürgerinnen und Bürger zu finanzieren."
Eine Übergewinnsteuer könnte auch Katja Eujen helfen. Denn wenn Unternehmen weniger Anreiz hätten, zu spekulieren und Preise künstlich zu erhöhen, würde auch ihr, am Ende des Monats, ein wenig mehr zum Leben bleiben.
Kommentare zum Thema
Kapitalismus ist Übergewinn, so wie das Füttern eines Stellvertreterkrieges mit Waffen für die Freiheit à la Julian Assange. 95% der Wähler haben sich für Sklaverei und gegen George Orwell entschieden (demokratischer Sozialismus).
Wegen Lohndumping durch Unterschiede im Lohnniveau bin ich für Zerschlagung der EU und gegen Anbindung der Ukraine. Steuerdumping gibt es aber auch noch in der EU weshalb Alleingänge ins Leere laufen solange nicht gemeinsame Regeln im gemeinsamen Markt gelten. Ikea macht kaum Gewinne in Deutschland weil Ikea Niederlande hohe Lizenzgebühren für Deutsche berechnet die aber in den Niederlanden kaum besteuert werden. So ungefähr dürfte die Geschichte ausgehen wenn Deutschland versucht multinationale Konzerne mit einer nationalen Sondersteuer zu belegen. Kriegsgewinnler besonders zur Kasse zu bitten ist an sich ein guter Gedanke, egal welcher Krieg und egal auf welcher Seite man steht. Es muss nur in der Realität funktionieren und Symbolpolitik oder Sanktionen die wie Eigentore wirken haben wir schon genug.
Warum sollen denn Konzerne keine Rekordgewinne machen ? Was macht denn der Staat mit dem Geld das er zusätzlich einnimmt ? ? Gibt er es zum "Wohle des Deutschen Volkes" aus ? Wohl kaum, das hätte er schon längst machen können denn wir sind bzw. waren ja ein reiches Land.