Bericht: Markus Zeidler, Jan Schmitt, Rabea Ottenhues
Georg Restle: „Hallo und willkommen bei MONITOR. Können wir es uns erlauben, untätig zu bleiben? Das ist die Frage, die eigentlich immer wieder kommt, wenn es um militärische Interventionen geht. Erst recht angesichts der furchtbaren Bilder, die uns gerade täglich aus Syrien und dem Nordirak erreichen. Wo Menschen geköpft, Frauen gesteinigt und Kinder versklavt werden, scheint die Antwort alternativlos. Natürlich müssen wir eingreifen, mit Luftschlägen, Waffenlieferungen und ja - wenn nichts anderes hilft - auch mit Bodentruppen. Leisere Stimmen haben es dagegen schwer. Stimmen, die davor warnen, dass militärische Interventionen im Mittleren Osten immer nur neue Kriege gebären. Stimmen, die nach einer politischen Lösung rufen, und die danach fragen, welche Verantwortung wir eigentlich dafür haben, dass in Syrien und im Irak ein Machtvakuum entstehen konnte, in dem die selbsternannten Gotteskrieger des IS heute wüten können.“
Dürfen wir einfach wegsehen? Oder zwingen diese Bilder die zivilisierte Welt aufzustehen und einzuschreiten gegen die Gewalt-Exzesse des IS-Terrors? Was tun mit mordenden Fundamentalisten, die sich jeder Diplomatie verweigern? Der Ruf zu den Waffen, er wird immer lauter. Der IS-Terror sei nicht mit Gebetskreisen zu stoppen, mahnt der ehemalige Außenminister. Die Bundesregierung liefert Waffen und Ausrüstung in die Konfliktregion. Die Amerikaner fliegen Luftangriffe gegen den IS. Und selbst die, die das Militärische bislang strikt abgelehnt haben, beginnen zu wanken.
Dietmar Bartsch (Die Linke): „Ohne diese Bombardements wäre es natürlich so, dass die Lage dort noch schlimmer wird. Da ist jeder, der darüber nachdenkt, hin- und hergerissen. Und wir sind dann der Auffassung gewesen, ja, man muss dort helfen und man muss dort auch militärisch helfen.“
Die Grünen gehen noch weiter; denken laut nach über einen Einsatz der Bundeswehr gegen den IS.
Katrin Göring-Eckardt, Bündis90/Die Grünen: „Ich bin fest überzeugt, dass ISIS nicht militärisch bekämpft werden muss. Da bin ich eineindeutig.“
Und die Zeitungskommentatoren? Sie sehen den deutschen Pazifismus auf dem Prüfstand. In manchen Blättern wird gar sein Abgesang angestimmt.
Und die Pazifisten? Dortmund diese Woche, Mahnwache für den Frieden. So wie jeden Montag, nicht nur in Dortmund. Ein Häufchen Versprengter. Der Rest einer Friedensbewegung, die einst Hunderttausende auf die Straßen brachte. Sind sie die letzten Aufrechten oder die letzten Naiven, angesichts des täglichen Mordens der Islamisten?
Reiner Braun, Friedensaktivist: „Ich bin Pazifist aus einer Grundüberzeugung heraus, dass Kriege keine Konflikte lösen. Und diese Grundposition ist durch das, was heute im Nahen und Mittleren Osten geschieht, eher erhärtet worden.“
Sie demonstrieren für ihre Grundüberzeugung. Das Schlachten des IS stoppen sie damit nicht. Macht sich, wer festhält am Pazifismus, am Ende gar mitschuldig am Tod von Tausenden?
Ein Propagandavideo des IS. Es führt einen Gefangenen vor; kurz vor seiner Hinrichtung. Und auch die täglichen Nachrichtenbilder verstören uns. Im syrischen Kobane kämpfen und sterben sie seit Wochen. In Reichweite türkischer Panzer, die nicht eingreifen. Bilder, die an unsere Moral appellieren, die jedoch zu fatalen Fehlentscheidungen führen könnten, warnt Hugh Pope. Er ist kein Friedensaktivist, sondern Analyst der International Crisis Group, einem Think Tank, der von westlichen Regierungen und Konzernen finanziert wird.
Hugh Pope, International Crisis Group (Übersetzung MONITOR): „Jeder Fernsehzuschauer, der die Bilder aus Kobane sieht, die türkischen Panzer und Soldaten, die eigentlich eingreifen könnten, denkt sich sofort, hier muss man doch was tun und helfen. Warum schauen die Türken nur zu? Aber, wir müssen da viel vorsichtiger sein. Nur, weil wir sehen können, was in Kobane passiert, heißt das nicht, dass man hier eher intervenieren könnte, als in irgendeiner anderen Phase des syrischen Bürgerkriegs. Und der hat bis jetzt schon 200.000 Tote gefordert.“
Michael Lüders, Nahostexperte: „Wenn man nie die Frage nach den Ursachen stellt, sondern immer nur aktionistisch versucht, Probleme, die einen langen Vorlauf haben, jetzt gleich und sofort zu lösen und dann nach Möglichkeit auch vornehmlich mit militärischen Mitteln, dann kann man eigentlich nur scheitern.“
Sagt Michael Lüders, einer der führenden Nahost-Experten. Lüders berät das Auswärtige Amt und andere Ministerien. Und er verweist auf die verheerende Bilanz der westlichen Interventionen in der muslimischen Welt.
Beispiel Libyen 2011. Westliche Bomber fliegen Angriffe gegen Gaddafis Armee. Das Ergebnis: Libyen ist keine Diktatur mehr, jetzt herrscht Anarchie. Milizen bekriegen sich.
Beispiel Afghanistan, Kabul im Jahr 2014. Ein Selbstmordanschlag, Alltag am Hindukusch. Während die deutschen Soldaten abziehen, sind die Taliban auf dem Vormarsch.
Michael Lüders, Nahostexperte: „Man muss nüchtern sagen, dass es nicht eine einzige militärische Intervention in der jüngeren Vergangenheit in der arabisch-islamischen Welt gegeben hat, die erfolgreich gewesen wäre. Jede einzelne dieser Interventionen ist gescheitert, hat nicht zu einer Klärung der Verhältnisse beigetragen, sondern zu mehr Chaos, zu mehr Anarchie.“
Hugh Pope, International Crisis Group (Übersetzung MONITOR): „Schauen Sie auf den 11. September, als 3.000 Menschen bei grausamen Terroranschlägen auf New York und Washington gestorben sind. Eine Katastrophe größten Ausmaßes für die Vereinigten Staaten. Aber die Reaktion darauf, dieser Krieg gegen den Terror, hat bislang 7.000 amerikanischen Soldaten das Leben gekostet. Und in Afghanistan, im Irak und in Pakistan gab es 350.000 Tote.“
Zahlen eines tödlichen Mechanismus: Ein Konflikt befeuert den nächsten. Beispiel Irak. 1983 Handschlag des späteren US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld mit dem Diktator Saddam Hussein. Damals war man verbündet im Kampf gegen den Iran. 20 Jahre später ging es den Amerikanern um Saddams Kopf. Der ehemalige Verbündete war zum Feind erklärt worden. „Mission accomplished“ - „Mission erfüllt“, verkündete George W. Bush nach wenigen Wochen; voreilig. Der Irak versank im Bürgerkrieg, vollgepumpt mit westlichen Waffen. Husseins ehemalige Offiziere, nahezu alles Sunniten, wurden ausgemustert. Viele von ihnen gingen in den Widerstand. Sie formten den IS zu der Truppe, die heute scheinbar unaufhaltsam große Teile des Iraks und Syriens überrennt.
Michael Lüders, Nahostexperte: „Der Islamische Staat wäre gar nicht erst entstanden, wenn die Amerikaner nicht 2003 Saddam Hussein gestürzt hätten. Nach dem Sturz von Saddam Hussein haben die Amerikaner den großen Fehler gemacht, im Irak die konfessionelle Karte zu spielen, Sunniten gegen Schiiten auszuspielen. Und das Ergebnis war, dass man zwar dann eine demokratische Fassade errichtet hat im Irak, es gab Wahlen. Die Schiiten sind natürlich an die Macht gekommen, denn sie stellen die Mehrheit der Bevölkerung. Die Sunniten wurden vollkommen an den Rand gedrängt. Und das Ergebnis war, dass die Sunniten in den Widerstand gegangen sind.“
Und im Syrien-Konflikt? Wieder eine westliche Politik, die scheinbar nur Gut und Böse kennt. Der Westen lieferte Waffen an Aufständische. Hauptsache, sie kämpften gegen den Diktator Assad. Die Waffen landeten auch in den Händen von Dschihadisten, bei Gruppen, die untereinander verfeindet sind. Eine davon der IS.
Hugh Pope, International Crisis Group (Übersetzung MONITOR): „In Syrien findet nicht ein Krieg statt, sondern eine ganze Reihe von Kriegen. Die Vorstellung, dass der Westen nun noch einen Krieg anfängt - eine Flugverbotszone oder Pufferzone errichtet, zusammen mit der Türkei in Nordsyrien einmarschiert - das würde nur noch einen weiteren Krieg zu den Kriegen hinzufügen, die sowieso schon alle außer Kontrolle sind.“
Wie aber geht es weiter? Ein Propagandavideo des IS, seit Dienstag im Internet. Der IS-Kämpfer präsentiert Handgranaten. Handgranaten vom Typ DM 41. Genau diese Beschriftung deutet auf eine deutsche Herkunft. Angeblich wurden die Waffen von einem amerikanischen Transportflugzeug falsch abgeworfen.
Michael Lüders, Nahostexperte: „Wir liefern heute den von uns als gut befundenen Gruppierungen in der Region, die aber möglicherweise morgen, weil die Sachzwänge so groß geworden sind, sich mit ganz anderen Gruppen verbünden und dann sind es auf einmal unsere Feinde. Und die kämpfen mit unseren Waffen.“
Was aber sind die Alternativen zum militärischen Eingreifen? Hunderttausende Menschen in Syrien und im Irak haben zur Zeit nur eine Wahl. Vor dem Terror des IS fliehen oder ihr Leben riskieren. Hier könnte der Westen schnell helfen, mehr Flüchtlinge aufnehmen, die Türkei und die arabischen Nachbarstaaten nicht alleine lassen mit dem Problem. Und auch hier könnte gehandelt werden. Der Ölschmuggel - inzwischen die Haupteinnahmequelle des IS - müsste an den Grenzen unterbunden werden. Vor allem aber: Rund um den Krisenherd gibt es machtvolle Nachbarstaaten, nicht nur die Türkei, auch der Iran, Saudi-Arabien. Staaten mit großem Einfluss auf die Konfliktparteien. Sie müssen an einen Tisch, fordern die Experten.
Hugh Pope, International Crisis Group (Übersetzung MONITOR): „Wir brauchen einen Friedensplan. Die Regionalmächte müssen da eingebunden werden. Russland und Amerika müssen an einem Strang ziehen. Und hier kann Deutschland eine Vermittlerrolle spielen. Darauf sollte Deutschland sich konzentrieren.“
Michael Lüders, Nahostexperte: „Eine militärische Intervention in Sachen Islamischer Staat würde keine Probleme lösen, sondern neue Probleme schaffen, die im Ende dann noch komplizierter wären als die, die wir jetzt schon haben. Wen will man denn militärisch bewaffnen gegen den Islamischen Staat, solange keine Bodentruppen entsendet werden sollen? Würde man Bodentruppen entsenden, was sollen die denn leisten? Ganze Städte besetzen? Würde Widerstand auslösen. Es wäre sozusagen eine Endlosspirale in Richtung Abgrund.“
Hände halten für den Frieden. Die alten Symbole, sie mögen naiv wirken. Doch die Argumente sprechen für die Friedensbewegung. Wer den IS-Terror besiegen will, braucht mehr Pazifismus in der Politik - nicht weniger.
Georg Restle: „Apropos Wegschauen. Dem Krieg im Sudan sind in den letzten zehn Jahren mindestens 300.000 Menschen zum Opfer gefallen. Darüber redet kaum jemand in Deutschland. Soviel zum selektiven Blick aufs Weltgeschehen.“