Bericht: Lutz Polanz, Achim Pollmeier
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Georg Restle: „Hunderte Milliarden für den Kampf gegen Corona und gegen die drohende Wirtschaftskrise. Da fallen einige weitere Milliarden ja nicht so auf, hat sich die Große Koalition wohl gedacht und kurz vor der Sommerpause ein Gesetz verabschiedet, das so richtig teuer wird. Das sogenannte Kohleausstiegsgesetz, wobei man Ausstieg wohl in dicke Anführungszeichen setzen muss. Denn erstmal geht’s darum, dass jede Menge klimaschädliche Braunkohle in Deutschland noch länger abgebaut werden darf als eigentlich vereinbart. Und dafür gibt es dann noch ein paar Milliarden für die Kohlekonzerne oben drauf. Wofür eigentlich? Jedenfalls nicht für den Klimaschutz – wie Lutz Polanz und Achim Pollmeier zeigen.“
„Alle Dörfer bleiben“, rufen sie am Sonntag im rheinischen Braunkohlerevier. Kohlegegner aus der Region treffen sich im Örtchen Lützerath. Bald soll es auch dieses Dorf nicht mehr geben. So hat es die große Koalition letzten Freitag beschlossen – im Kohleausstiegsgesetz.
Antje Grothus: „Die Bundesregierung, die hat mit diesem Gesetz deutlich unter Beweis gestellt, dass sie ohnehin macht, was sie will. Nein, noch schlimmer, sie macht nicht, was sie will, sie macht, was die Kohlekonzerne wollen.“
Der Braunkohletagebau Garzweiler II ist nur noch ein paar hundert Meter entfernt – und trotz Kohleausstieg sollen hier noch mehrere Orte weggebaggert werden. So will es eine Bestimmung, die für diesen Tagebau und den Betreiber RWE geradezu maßgeschneidert wurde. Paragraph 48 verfügt die
Zitat: „energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler II”.
Ein juristisches Manöver mit schwerwiegenden Folgen.
Felix Matthes, Öko-Institut e. V. ehem. Mitglied der“ Kohlekommission“: „Das ist ein bizarrer rechtlicher Vorgang, weil die Rechtsfolge davon ist, wenn das im Gesetz steht, dann gibt es ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit und aufgrund dieser Regelung kann man Leute enteignen. Und hier sagt ein Unternehmen, ich möchte einen Paragrafen im Gesetz, der dazu führt, dass Leute enteignet werden können und sie kriegen das einfach mal so.“
Ein Gefälligkeitsparagraph für RWE? Geht es also um Unternehmensinteressen – oder gibt es tatsächlich ein allgemeines Interesse wie die energiepolitische Notwendigkeit. Energieexpertinnen haben Zweifel.
Prof. Claudia Kemfert, Energieökonomin Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Wir haben nachgewiesen in unserer Studie, dass es in der Tat energiewirtschaftlich nicht notwendig ist, diese Dörfer in dem Umfang abzubaggern und die Zahlen, die uns dort zugrunde liegen, legen diesen Schluss nahe, dass man tatsächlich darauf verzichten kann.“
Belege für die angebliche „energiepolitische Notwendigkeit” dieses einen Tagebaus hat die Bundesregierung nicht vorgelegt. Der Gesetzgeber habe da einen „weiten Spielraum” schreibt uns das Wirtschaftsministerium. Die Kohlegegner sind außer sich, das Gemeinwohl liege doch eindeutig beim Klimaschutz!
David Dresen, Bündnis „Alle Dörfer bleiben!“: „Es gibt Studien, die sagen, man braucht die Kohle nicht und aus Pariser Klimazielesicht ist völlig klar, dass, wenn wir das hier verfeuern, dann wars das mit den Klimazielen. Und jetzt sagt ein Gesetz, die Dörfer müssen weg, obwohl dafür überhaupt kein Gutachten da ist, das das irgendwie bestätigen würde.“
Rückblick: Monatelang hatte die sogenannte Kohlekommission aus Energiewirtschaft, Politikern, Experten und Klimaschützern gerungen, um einen Konsens für den Kohleausstieg zu finden. Im Januar 2019 endlich ein Kompromiss. Und die Bundesregierung machte damals Versprechungen.
Peter Altmaier (CDU), Bundeswirtschaftsminister: „Es ist der Kommission gelungen, in harter, mühseliger, aber konstruktiver Arbeit eine ausgewogene Gesamtlösung zu präsentieren. Wir werden die Empfehlungen der Kommission ernst nehmen und deren Umsetzung angehen.“
Ernst nehmen, angehen! Die Regierung sagt, man habe die Empfehlungen der Kohlekommission umgesetzt. Doch das am Freitag beschlossene Ausstiegsgesetz verstoße in zentralen Punkten gegen den mühsam ausgehandelten Kompromiss, sagen ehemalige Kommissionsmitglieder, wie Antje Grothus. Sie kämpft seit Jahren um den Erhalt der Dörfer im rheinischen Braunkohlerevier.
Antje Grothus, ehem. Mitglied der „Kohlekommission“: „Dieses Kohlegesetz ist ein Geschenk an die Kohlekonzerne. Sie bekommen Milliarden hinterhergeworfen, zusätzlich einen Kraftwerksabschaltplan nach Wunschzettel, eine Bestandssicherung für Tagebaue bis 2038 und noch einen Freifahrtschein, um Dörfer zu vernichten.“
Ein Abschaltplan nach Wunsch. Die Kohlekommission forderte einen stetigen Kohleausstieg bis spätestens 2038. Laut Gesetz sollen die meisten Braunkohle-Kraftwerke jetzt aber erst später und in großen Sprüngen vom Netz gehen. Das bedeutet, mehr Braunkohlestrom, mehr
CO2-Emissionen. Experten kommen auf einen unnötigen Mehrausstoß von 130 Millionen Tonnen CO2, weit weg von den Pariser Klimazielen. Und noch etwas: Statt der Braunkohle lässt die Regierung nun weniger klimaschädliche Steinkohlekraftwerke gegen hohe Entschädigungen vom Netz gehen. Das treibt die Kosten für den Steuerzahler und schadet dem Klima, sagt der Energieexperte Felix Matthes, auch er war Mitglied der Kohlekommission.
Felix Matthes, Öko-Institut e. V. ehem. Mitglied der“ Kohlekommission“: „Wenn die Braunkohlekraftwerke später abgeschaltet werden, müssen Steinkohlekraftwerke früher abgeschaltet werden. Das ist ökologisch problematisch, weil die Abschaltung eines alten Braunkohlekraftwerks ungefähr die dreifache CO2-Emissionsminderung bringt als die Abschaltung einer entsprechenden Steinkohlekapazität. Das heißt, das ist ökologisch kontraproduktiv.“
Weniger Klimaschutz für sehr viel Geld. Denn die Abschaltung oder Umrüstung ihrer Kraftwerke wird den Energiekonzernen teuer bezahlt, sehr teuer. Bis zu 3,6 Milliarden Euro für die Steinkohle; 4,35 Milliarden für die Braunkohle. Zusammen also rund acht Milliarden Euro. Besonders brisant, die Entschädigung für die Braunkohle wurde auch noch pauschal vorab festgelegt. Und sei damit viel zu hoch, sagen Experten.
Prof. Claudia Kemfert, Energieökonomin Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Die Kommission hatte ja empfohlen – explizit empfohlen – dass man solche Entschädigungen nicht pauschal gibt, sondern entsprechend nachrechnet und dem Marktentwicklung auch schaut, was ist da los? Wie viel Geld würde da überhaupt ein Konzern erwirtschaften? Und da hat man sich jetzt im Vorfeld schon festgelegt, die Konzerne üppig entschädigt, die jetzt auch nicht nachvollziehbar sind, warum das so hoch sein muss.“
Wer verstehen will, warum man das nicht verstehen kann, der sollte nach Ostdeutschland schauen. Viele Tagebaue und Kraftwerke in der Lausitz und in Mitteldeutschland dürfen noch etliche Jahre weiterlaufen. Berechnungen zeigen, dass hier fast 90 Prozent der einst genehmigten
Braunkohlemengen abgebaggert und verfeuert werden dürfen. Trotzdem bekommt der Braunkohlekonzern LEAG eine Entschädigung von einer Milliarde und 750 Millionen Euro.
Felix Matthes, Öko-Institut e. V. ehem. Mitglied der“ Kohlekommission“: „Die Entschädigung für die LEAG ist definitiv unangemessen. Die können etwa genauso viel Kohle fördern, wie sie das vorher vorhatten, wie sie das vorher genehmigt hatten. Von den 1,75 Milliarden Euro hätten sie mit den jetzt stillzulegenden Kraftwerken vielleicht 0,75 Milliarden Euro verdient. Das heißt, die Differenz, eine Milliarde Euro bekommen sie für nichts.“
Eine Milliarde für nichts? Die Energiekonzerne haben Anspruch auf eine Entschädigung – aber die darf eigentlich nur entgangene Gewinne ausgleichen. Man fragt sich nur, welche Gewinne das wohl sein sollen. Dienstagmittag im Rheinischen Braunkohlerevier. Kein besonders guter Tag für erneuerbare Energien, lauer Wind, mäßig Sonne. Trotzdem stehen viele Kraftwerksblöcke still, kaum Dampf über den Kühltürmen. Denn die Konzerne werden ihren Kohlestrom kaum noch los. Und das nicht nur wegen Corona. Seit Anfang 2019 hat sich die Stromproduktion aus Braunkohle fast halbiert. Ein Grund, mehr Strom aus Erneuerbaren. Ein anderer Grund, die Stromproduktion rechnet sich immer weniger, denn auch der Großhandelspreis ist drastisch gefallen. Und das heißt, immer weniger Kohlestrom bringt den Konzernen kaum noch Gewinn.
Oliver Krischer (Bündnis‘90/Grüne), stellv. Vorstandsvorsitzender: „Wenn eine Anlage abgeschrieben ist, muss sie nicht mehr entschädigt werden. Es kommt hinzu, dass die Kohlekraftwerke im Moment zum großen Teil überhaupt nicht oder wenig laufen, sie sind also betriebswirtschaftlich wertlos und dafür Milliarden an Entschädigungen zu zahlen, finde ich absolut nicht gerechtfertigt. Hier wird etwas entschädigt, was am Strommarkt wegen veränderter energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen ohnehin keinen Wert mehr hat.“
Bis heute hat das Wirtschaftsministerium nicht transparent gemacht, wie man auf die Milliardenzahlungen kommt. Auf Anfrage von MONITOR heißt es nur, man habe intensiv verhandelt. Für die Kohlekonzerne hat sich das gelohnt.
Felix Matthes, Öko-Institut e. V. ehem. Mitglied der“ Kohlekommission“: „Das einzige, was hinten runterfällt, ist der Klimaschutz. Wenn das Paket, was jetzt beschlossen wurde, in der Kohlekommission zur Abstimmung gestanden hätte, hätte es keine Mehrheit gegeben.“
Der Konflikt um die Kohle ist mit voller Wucht zurück. Wegen der Dörfer, des Klimaschutzes und wegen der Milliarden an die Konzerne. Die Kohlegegner werden gegen das Gesetz klagen. Bis vors Verfassungsgericht.
Georg Restle: „Gestern noch hat die Kanzlerin vor dem Europaparlament den Klimaschutz als eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Ratspräsidentschaft genannt. Wäre schön, wenn sie das auch im eigenen Land befolgen würde.“
Kommentare zum Thema
Sehr gute Sendung, aber warum kam sie erst nach der Bundestagssitzung, bei der das Gesetz verabschiedet wurde?
Aus meiner Sicht, ist der CDU der Klima- und Umweltschutz egal, was am Beispiel von Armin Laschet und Julia Klöckner erkennbar ist. Kohlekraftwerk Datteln IV: Zwar sollen nach und nach, in einem Zeitraum von ca. 5 Jahren, die BraunkKohlekraftwerke vom Netz gehen, aber zusätzlich läuft seit Ende Mai Datteln IV paralel zu den Braunkohlekraftwerken. Mehr Co2-Ausstoß für weniger Klimaschutz, was Armin Laschet aber trotzdem als mehr Klimaschutz begrüßt. Oder der deutsche Beitrag zur Verschmutzung der Ostsee: Durch die starke Gülle Produktion unserer Schweinebauern, wird (neben dem Trinkwasser) langsam aber sicher auch die Ostsee durch hohe Nitratwerte vergiftet, mit dem ergebniss das Nahrungsketten zerbrechen, der Sauerstoff sich vermindert und Blaualgen sich ausbreiten. Man kann was dagegen tun. Dänemark tut was. Und Deutschland, also Julia Klöckner, will nichts dagegen tun. Frontal 21 vom 16.06.2020 Hering in Gefahr: Klimawandel in der Ostsee. Und die SPD? Schaut nur zu.
Tja, dieser Bericht ist ziemlich einseitig. Wenn man die Empfehlung der Kommission gelesen hat sieht man, das darin der Weiterbetrieb vom Tagebau Garzweiler bis 2038 nicht in Frage gestellt wurde. Wünschenswert ist der Erhalt des Rest vom Hambacher Forst. Ja diesem Wunsch wird entsprochen. Und die Studie über die benötigte Kohlemenge geht von Abschaltungen von Kraftwerken aus, die weit über die die der Empfehlung hinaus gehen. Und ja, 130 Mio t mehr CO² auf 18 Jahre sind nicht schön. Aber 7 Mio t pro Jahr bei weltweit ca. 36573 Mio t pro Jahr (2018 statista) .......