MONITOR vom 17.06.2021

Auslastung der Intensivstationen: Manipulierte Daten?

Bericht: Lisa Seemann, Mathea Schülke, Markus Grill

Auslastung der Intensivstationen: Manipulierte Daten? Monitor 17.06.2021 05:27 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lisa Seemann, Mathea Schülke, Markus Grill

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Zunächst aber zu einer Geschichte, die nicht nur das politische Berlin letzte Woche in ziemlichen Aufruhr versetzt hat. Haben Krankenhäuser mitten in der Pandemie die Zahl von Intensivbetten manipuliert und heruntergerechnet, nur um an staatliche Zahlungen zu gelangen? Einen solchen Verdacht hat der Bundesrechnungshof geäußert und sich dabei auf ein Schreiben des Robert-Koch-Instituts bezogen. Dieses Schreiben schien bis vor kurzem verschollen. Jetzt ist es aufgetaucht und gibt Anlass für jede Menge kritischer Nachfragen, auch an den Bundesgesundheitsminister. Lisa Seemann, Markus Grill und Mathea Schülke.“

Die Corona-Pandemie hat Deutschland seit Anfang letzten Jahres fest im Griff. Über 3,7 Millionen Infizierte, über 90.000 Tote. Immer wieder formulierten Politiker die Sorge, die Intensivstationen stießen an ihre Belastungsgrenzen:

Jens Spahn (29.04.2021): „Die Intensivstationen, die sind weiterhin in zu vielen Städten, in zu vielen Regionen zu voll.“

Angela Merkel (13.04.2021): „Wenn wir warten würden, bis alle Intensivbetten belegt sind, dann wäre es zu spät.”

Doch wie knapp waren die Intensiv-Kapazitäten tatsächlich? Darüber ist eine Diskussion entbrannt. Grundlage dafür ein noch unveröffentlichter Bericht des Bundesrechnungshofs, der MONITOR vorliegt – mit Verweis auf das Robert-Koch-Institut. Der Verdacht: Krankenhäuser könnten die Zahl ihrer Betten künstlich heruntergerechnet haben, um Steuergelder zu kassieren.

Zitat: „Das Robert-Koch-Institut äußerte gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium mit dem Schreiben vom 11. Januar 2021 die Vermutung, dass Krankenhäuser zum Teil weniger intensivmedizinische Behandlungsplätze meldeten, als tatsächlich vorhanden waren.”

Zum Verständnis: Zu Beginn der Pandemie hatte der Bundestag beschlossen: wenn Krankenhäuser dringend benötigte Betten für Covid-Patienten freihalten, bekommen sie Ausgleichszahlungen vom Bund. Seit Mitte November waren diese an Bedingungen geknüpft. Eine hohe Inzidenz und weniger als 25 % freie Intensivbetten in der Region. Anders formuliert, es gab nur Geld, wenn Intensivbetten knapp waren. Hatten die Krankenhäuser dadurch ein Interesse, den Anschein von Mangel zu erwecken?

Ein Blick ins DIVI-Intensiv-Register: Hier melden alle Krankenhäuser täglich ihre Belegungen. Im Herbst gingen die Zahlen der gemeldeten freien Betten tatsächlich runter, obwohl die Zahl aller Intensivpatienten weitgehend gleich blieb. Allerdings schon einige Wochen bevor das neue Gesetz im November in Kraft trat. Intensivmediziner sagen, das liege unter anderem an der steigenden Zahl von Covid-Patienten und an fehlendem Personal in den Kliniken. Doch war es nur das? SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach meint, nein. Das neue Gesetz sei geradezu eine Einladung zum Schummeln. Es biete falsche Anreize. Einige Mediziner hätten ihm das bestätigt.

Karl Lauterbach (SPD), Gesundheitsexperte: „Ich glaube, dass der Verdacht leider richtig ist. Ich kann nicht einschätzen, wie viele Krankenhäuser das betrifft, aber es scheint kein Einzelfall zu sein eines einzelnen Hauses, sondern es haben sehr viele Krankenhäuser – offenbar nachdem diese Regelung gekommen ist – ihre Intensiv-Betten zum Teil abgemeldet.“

Also doch Manipulation? Dieser Verdacht wird gestützt durch dieses Schreiben des Robert-Koch-Instituts an das Bundesgesundheitsministerium vom Januar. Es liegt MONITOR exklusiv vor. Darin berichtet das RKI, die Ausgleichszahlungen seit Mitte November hätten

Zitat: „… monetäre Anreize für eine veränderte Eingabe der Bettenkapazitäten geschaffen.”

Diese Einschätzung ergebe sich aus

Zitat: „… zahlreichen E-Mails und Anrufen…”,

die das RKI erhalten habe. Das Ausmaß sei schwer einzuschätzen, aber

Zitat: „… bereits die Zunahme der Nachfragen ist Grund zur Sorge.“

Zusammengefasst: Das RKI sieht Fehlanreize und Anhaltspunkte dafür, dass die medizinisch wichtigen Daten des Intensivregisters manipuliert worden sein könnten, um Geld einzustreichen. Daher hat es empfohlen, die Ausgleichszahlungen nicht weiter an die Bettenkapazität zu knüpfen. Doch das Gesundheitsministerium blieb dabei – bis vorgestern, als das Gesetz auslief. Wir wollen wissen, wie häufig wurden Daten tatsächlich manipuliert? Intern heißt es beim RKI, freie Intensivbetten seien nur in einem kleinen einstelligen Prozentbereich verheimlicht worden. Offiziell bestätigen will man das aber nicht. Verlässliche Daten gibt es nicht. Darauf verweist auch das Bundesgesundheitsministerium. Kritik von der Opposition.

Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Gesundheitspolitische Sprecherin: „Ich fordere Transparenz. Wenn man von den Bürgern verlangt und vom Parlament verlangt, dass wir gemeinsam die Pandemie bekämpfen, indem wir Zahlen vorgelegt bekommen, dann erwarte ich, dass diese Zahlen auch stimmen.”

Fest steht, die Pandemie hat viele Intensivstationen und das medizinische Personal an ihre Belastungsgrenzen gebracht. Zu klären bleibt, wie groß waren die Engpässe in einzelnen Kliniken wirklich? Wie viele Intensivbetten fehlten tatsächlich? Und in welchem Ausmaß ist die Bundesregierung für Manipulationen mitverantwortlich?

Georg Restle: „Ja, Aufklärung täte jetzt dringend Not. Allein schon deshalb, damit sich hier keine Mythen breitmachen über das Ausmaß einer Pandemie, die laut WHO weltweit fast vier Millionen Menschenleben forderte – und die noch lange nicht vorbei sein dürfte.“

Kommentare zum Thema

  • Blumen 24.06.2021, 22:25 Uhr

    Die Bundesregierung sollte sich endlich dafür einsetzten dass keine bisher funktionierende Krankenhäuser mehr geschlossen werden. Wären in den letzten Jahren nicht unzählige Krankenhäuser geschlossen worden gäbe es auch mehr Intensivbetten. Die Krankenhäuser müssen den erkrankte Menschen dienen und nicht dem finanziellen Gewinn der Träger. Zu deutsch: Die Krankenhäuser dürften keinen auf einen Gewinn abzielenden Geschäftsprinzip führen. Es ist unsinnig dass zum Beispiel die Bundeswehr ein Recht darauf hat voll subventioniert zu werden und die Krankenhäuser nicht. Auf eine Armee kann verzichtet werden, auf Krankenhäuser und eine funktionierende Gesundheitsversorgung nicht. Die Armeen der Erde dienen der Zerstörung von Leben und Krankenhäuser dem Erhalt von Leben. Die Modebehauptung Betreff Rentner und Krankenhäuser: „Das ist nicht finanzierbar“ sollte in anderen Bereichen verwendet werden, nicht in der Gesundheitsversorgung, hier geht es um die Erhaltung von Menschenleben.

  • Hübner 24.06.2021, 12:27 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • Jenny 23.06.2021, 12:50 Uhr

    Scheinbar vorsätzlich will man uns im Volk nicht klare Statistiken Betreff Corona vorweisen. Es sollen unsere Gedanken manipuliert und ausgerichtet werden. Die genannten Anzahlen von Infizierten sind glaubhaft dargestellt (selbstverständlich sind diejenigen welche nicht als infiziert erkannt wurden auch nicht in der Zahl eingeschlossen). In der Anzahl der Gestorbenen werden jedoch immer wieder diejenigen mitgezählt welche durch einen Unfall oder einer schweren Erkrankung verstarben und zeitgleich auch an Corona infiziert waren. Wird etwas intensiver im Internet gesucht so liest man häufig in den Medien dass das RKI „verboten“ hätte die Zahl der Gestorbenen zu gruppieren, und auch Politiker uns nicht einen „klaren Wein“ einschenken wollen.