Bericht: Achim Pollmeier, Lara Straatmann
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Georg Restle: "Dieses Jahr könnte ein hartes werden. Nicht nur wegen Corona; sondern auch deshalb, weil die explodierenden Gas- und Strompreise viele Menschen im Land in größte Not bringen dürften – vor allem diejenigen, die schon jetzt kaum genug zum Leben haben. Wehe dem, dem da jetzt sein Vertrag gekündigt wurde, weil einige Billiganbieter da plötzlich um ihre Gewinne fürchten. Skandal zu rufen, hilft da wenig, jetzt wären politische Sofortmaßnahmen nötig. Aber fast scheint es so, als würde die neue Bundesregierung den sozialen Sprengstoff, der hier zu explodieren droht, noch immer nicht so richtig ernst zu nehmen. Achim Pollmeier und Lara Straatmann."
Der Weg zum Gaszähler – für Siegfried Lipkowsky nicht nur beschwerlich, er macht ihm richtig Sorgen. Im Dezember hatte sich sein Gaspreis von einem Tag auf den anderen verdreifacht. Weil sein alter Versorger ihm einfach den Vertrag gekündigt hat.
Siegfried Lipkowsky: "Vor allen Dingen, wie eiskalt die einen abserviert haben, ne. Zwar ein paar schöne Worte geschrieben, es tut uns leid, schlechte Nachrichten und so weiter und so fort, der Weltmarkt, historische Preise und so weiter und so fort, was sie da geschrieben haben."
Wie den Lipkowskys geht es diesen Winter hunderttausenden Gas- und Stromkunden. Wie teuer das für sie werden würde, ahnte das Ehepaar zunächst nicht. Das Unternehmen sagt dazu, die Preisentwicklung am Energiemarkt sei nicht vorherzusehen gewesen. Wegen dieser historisch einmaligen Situation habe es zu den Kündigungen keine Alternative gegeben. Doch in den letzten Jahren hat das Unternehmen mit Strom und Gas Millionen verdient. Rechtlich hätten die Kunden wohl Anspruch auf Schadensersatz, denn die Kündigung sei unzulässig, sagen Verbraucherschützer.
Holger Schneidewindt, Verbraucherzentrale NRW: "Es gibt Vertragslaufzeiten, es gibt Preisgarantien, die vereinbart wurden. Die muss man nicht vereinbaren, die wurden aber vereinbart. Und dann komme ich innerhalb dieser Laufzeiten einfach aus dem Vertrag nicht raus. Auch nicht, wenn die eigenen Beschaffungspreise gestiegen sind. Das ist rechtlich unzulässig, die Firmen sind ja nicht insolvent."
Und der nächste Schock kam prompt: Nach der Kündigung rutschten die Lipkowskys automatisch in die sogenannte Grundversorgung des örtlichen Gasnetzbetreibers. Und dort sollten sie plötzlich mehr als das Dreifache für ihr Gas bezahlen, ein Sondertarif für Neukunden. Bisher zahlten sie 5,3 Cent pro Kilowattstunde – und jetzt plötzlich 16,3 Cent. Aufs Jahr gerechnet wären das Mehrkosten von rund 4.500 Euro.
Siegfried Lipkowsky: "Also, da hab ich schon Magenschmerzen gehabt, da konnte ich eine Nacht schon mal nicht schlafen. Also im Kopf habe ich gesagt, wie willst du das bezahlen im Moment?"
Das Unternehmen, die Erenja aus Gelsenkirchen, teilt uns mit, man habe für die neuen Kunden Gas teuer nachkaufen müssen und wolle die Bestandskunden vor Preiserhöhungen schützen. Deshalb seien die hohen Preise für Neukunden "zulässig" und "angemessen", denn:
Zitat: "Die Belieferung der Neukunden erfolgt zu den aktuell entstehenden Kosten."
Tatsächlich? Fakt ist, Millionen Haushalte rutschen aktuell – zumindest zeitweise – in neue, sehr teure Sondertarife in der Grundversorgung. Laut einem Vergleichsportal waren es 1,8 Millionen Haushalte in der Gas-Grundversorgung. Aufschlag auf die Standard-Tarife: durchschnittlich 178 Prozent. In der Stromversorgung sind sogar 3 Millionen Haushalte betroffen, Aufschlag zur normalen Grundversorgung im Durchschnitt 95 Prozent. Preiserhöhungen, die mit dem Weltmarkt alleine nicht zu begründen sind, sagen Fachleute. Der Chef des Bundeskartellamts sprach bereits von "missbräuchlich überhöhten Mondpreisen". Die Verbraucherzentralen halten teure Sondertarife für Neukunden für unzulässig und haben mehrere Grundversorger abgemahnt. Kritiker fordern eine strengere Regulierung – für die Billiganbieter, aber auch für die Grundversorger.
Prof. Marcel Fratzscher, Präsident Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: "Der Staat muss eine Grundversorgung gewährleisten, muss also die privaten Anbieter in die Pflicht nehmen, dass sie hier Menschen nicht abschneiden können. Und der Staat muss auch gewährleisten, dass Preise fair gestaltet werden, dass eben bei Preissteigerungen es eine Deckelung gibt. Dass eben es zu keiner Verdreifachung oder Vervierfachung der Preise kommen kann, was dann Menschen mit geringem Einkommen sich nicht mehr leisten können. Also da ist der Staat in der Pflicht und dieser Pflicht kommt er meiner Ansicht nach im Augenblick nicht ausreichend nach."
Die Energiepreise steigen – und nicht nur in der Grundversorgung! Was aber, wenn die Menschen sich das nicht mehr leisten können? Reinhold Balzer erlebt das täglich. Er ist Energiesparberater bei der Caritas. Heute ist er bei Anja Eilers, sie hat einen 450-Euro-Job, bekommt Wohngeld. Aus Angst vor bösen Überraschungen heizt sie schon jetzt wenig, ist sparsam – vor weiteren Preiserhöhungen hat sie richtig Angst.
Anja Eilers: "Das heißt für mich, dass ich jeden Monat noch mehr einsparen muss, damit ich ich diese Rate zahlen kann. Oder das, was ich mir vielleicht versuche zu sparen, um mal in Urlaub zu fahren, dass das dann wegfällt, weil das für die Rate draufgeht."
Die Angst vor der nächsten Preiserhöhung. Was das mit Menschen macht, hat Reinhold Balzer gerade erst wieder erlebt.
Reinhold Balzer, Caritas: "Eine junge Frau, kennengelernt mit ihrer Mutter, und die heizen zum Beispiel nicht. Die haben Angst vor der Heizungsrechnung und haben ein Schimmelproblem. Wenn man darüber mal nachdenkt und sich das vorstellt, dass Menschen im Dunklen und im Kalten sitzen, weil die Energiepreise so steigen und den Menschen so nicht geholfen wird. Da müsste der Gesetzgeber was tun. Ganz klar, da muss mehr geholfen werden."
Doch politisch passiert wenig. Die Bundesregierung plant aktuell einen Heizkostenzuschuss für Wohngeld-Bezieher. Für einen Vier-Personen-Haushalt wären das 245,- Euro. Einmalig, Auszahlung im Sommer. Gesamtkosten: 130 Millionen Euro. Viel zu wenig, sagen Sozialverbände und Verbraucherzentralen, zumal: Hartz-IV-Haushalte und die meisten Geringverdiener hätten davon gar nichts. Zum Vergleich: Frankreich etwa wendet gerade über acht Milliarden Euro auf, um die Energiepreiskrise abzufedern, vor allem für ärmere Haushalte.
Prof. Marcel Fratzscher, Präsident Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: "Ich befürchte, die Politik hat noch nicht wirklich erkannt, wie groß das Spaltungspotenzial und das Konfliktpotential der steigenden Energiepreise ist. Wir sind mitten im Winter, wir wissen nicht, wie es mit dem Konflikt mit Russland/Ukraine weitergeht. Also die Energiepreise könnten weiter explodieren, die Menschen nochmals stärker belasten und die steigenden Energiepreise sind sozialpolitischer Sprengstoff, denn es trifft Menschen mit geringem Einkommen sehr viel härter als Menschen mit hohen Einkommen."
Sozialpolitischer Sprengstoff. Doch die Bundesregierung setzt wohl noch darauf, dass der Winter nicht allzu kalt wird.
Georg Restle: "Die Bundesregierung beobachte das Marktverhalten der Marktakteure sehr genau und prüfe mögliche regulatorische Schritte, ließ Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke von den Grünen heute wissen. Damit allein dürfte den Betroffenen jetzt kaum geholfen sein."
Kommentare zum Thema
Dadurch verdreifachen sich die Steuereinnahmen der regierung das kommt Europa zu gute
Eben meinen neuen Vertrag erhalten, bisher 3,42 Cent , nun 14,01 Cent..(netto) Bin schockiert und sprachlos
Die Erenja kündigt gerade auch langfristige Stammkunden zum Vertragsende, nachdem sie erst im Januar bei meiner blinden Schwiegermutter eine Preiserhöhung vorgenommen hat, von 5,9 auf 7,24 Cent pro kWh. In dem Schreiben hat sie auch eine Preisgarantie ausgesprochen bis Ende 2022. Von dieser will sie jetzt aber nichts mehr wissen und verweisst auf die Vertragslaufzeit von einem Jahr. Die Änderungskündigung hat jetzt zur Folge, dass meine Schwiegermutter jetzt 13,58 Cent bezahlen soll, was einer Preissteigerung von 230% entspricht. Erenja, schämt Euch!!!! Geht man so mit Jahrelangen Stammkunden um, die eh wenig Rente haben? Wir werden jetzt rechtlich dagegen vorgehen und auch die Schiedstelle und Verbraucherzentrale einschalten.